Wladimir Putin © picture alliance/dpa/POOL Foto: Mikhail Metzel

"Heiliger Krieg": Historiker analysiert Putins Rede

Stand: 09.05.2022 17:18 Uhr

Mit Spannung ist Wladimirs Putins Rede am Tag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland erwartet worden. Ein Gespräch mit Jörn Happel, Professor an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

Herr Happel, was waren für Sie die entscheidenden Sätze in Putins Rede?

Jörn Happel: Der entscheidende Satz, der meiner Meinung nach auch erwartbar war, ist dass vom "heiligen Krieg" gesprochen wurde. Das wird jedes Mal ausgesprochen: Man kämpft einen "heiligen Krieg" für die Heimat. Das erinnert an das berühmte sowjetische Kriegslied "Swjaschtschennaja woina", das kurz nach dem deutschen Überfall 1941 veröffentlicht worden ist. Da gibt es auch die erste Erwähnung, dass die "Heldenstädte" gemeinsam stehen: Moskau, Leningrad, Kiew, Minsk und Stalingrad, aber auch Charkiw und Odessa. Putin betont, dass man damals, im großen deutsch-sowjetischen Krieg die "heilige Heimat" verteidigt hat und dass man dies jetzt mit dem Krieg wieder tue - für das Volk im Donbass, für die Sicherheit der "heiligen Heimat" Russlands.

In dem Lied "Swjaschtschennaja woina" von 1941 kämpft man gegen die "faschistische", "dunkle Macht" an, gegen die "verfluchte Bande". Man spricht von "Gewalttätern", "Räubern", "Peinigern" der Menschen. Man spricht davon, dass man gegen "Abschaum der Menschheit" kämpfe. Das sind alles Vokabeln, die auch in der heutigen russischen Propaganda auftauchen, und Putin ist in dieser Rede dieser Propaganda auch treu geblieben, dass 1945 mit 2022 verbunden wird. Ich fand es gerade heute hoch aufregend, dass er diese "Heldenstädte" Kiew und Charkiw auch so betont - "Heldenstädte", die heute von Russland zerbombt werden.

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Es wurde im Vorfeld eine Generalmobilmachung befürchtet, auch eine offizielle Kriegserklärung an die Ukraine. Das hat nicht stattgefunden. Haben Sie die Rede, trotz der Bezüge, die Sie dargelegt haben, als deeskalierend wahrgenommen?

Happel: Man ist so leicht versucht zu sagen, dass es deeskalierend war. Aber ich glaube, dass diese Rede nur Normalität ausstrahlt. Es ist für uns fremd, dass man hier gegen "Nazis" in der Ukraine kämpft. Aber man führt auch keinen Krieg, sondern es ist eine "Spezialoperation". Letztlich weiß aber nur Putin, was kommen wird. Die Deeskalation könnte man dahingehend sehen, dass hier auch erwähnt wird, dass man gemeinsam gekämpft habe, alle Sowjetvölker gegen den faschistischen Feind, dass es Alliierte im Westen gab - die Amerikaner und die Briten werden ausdrücklich erwähnt.

Aber ich glaube, dass der "Tag des Sieges" nicht der Ort ist, um irgendwelche Ankündigungen über Spezialoperationen, über Generalmobilmachung und so weiter zu machen. Das ist eher der Ort, um den Völkerschaften des heutigen Russland zu sagen: Wir hören euch, wir kümmern uns um euch. Und zwar gerade diejenigen, die nicht in Moskau und in St. Petersburg leben, sondern die aus den hintersten Regionen Russlands kommen, wo auch die Soldaten her stammen, die im heutigen Krieg gegen die Ukraine an der Front fallen. Diese Rede sollte eher nach innen wirken.

Putin hat in seiner Rede dem Westen vorgeworfen, eine Invasion Russlands und der Krim vorbereitet zu haben. Die Nato habe Bedrohungen an den Grenzen Russlands aufgebaut, Russlands Argumente ignoriert und damit begonnen, das ukrainische Territorium militärisch zu erschließen. Was lesen Sie daraus? Eine Umdeutung der sogenannten Militäroperation als Selbstverteidigung Russlands?

Happel: Zunächst muss man festhalten, dass Präventivkriege immer gut zu verkaufen sind. Das hat das nationalsozialistische Deutschland auch versucht: Die Sowjetunion greift uns an - also greifen wir die Sowjetunion an. Es ist eigentlich schon komisch - wenn es nicht so tragisch wäre -, dass das heutige Russland mit solchen Nazi-Argumenten antritt, um gegen "Faschisten" zu kämpfen. Die "Selbstverteidigung" Russlands muss betont werden, um die russischen Opfer zu rechtfertigen - nicht nur in Form von Sanktionen, sondern vor allen Dingen angesichts der Tausenden Toten, die es bereits gibt.

Putin hat von den Soldaten gesprochen, die im "gerechten Kampf" für Russland gefallen sind. Das war auch ungewöhnlich, oder?

Happel: Es ist ungewöhnlich. Normalerweise wird das totgeschwiegen. Aber das liegt daran, dass diese Botschaft, dass es Opfer gegeben hat, bedeutet, dass wir von der russischen Führung, wir um Putin, uns um euch kümmern, die im Ural, in Sibirien hocken und die dort ihre Söhne zur Verteidigung Russlands geopfert haben. Es ist also eher eine Botschaft für die Peripherie, ein Zugeständnis an die dort auf ihre Söhne wartenden Mütter und Väter.

Es geht an einem solchen Tag immer auch um Symbole, um eine sprichwörtliche Inszenierung der Macht. Welche Symbole sind heute gesetzt worden?

Happel: Ein Symbol, das schon im Vorfeld überragte, war das Sankt-Georgs-Band, das schwarz-gelbe Band, das an die Kämpfe im russischen Kaiserreich erinnert, das auch im Zweiten Weltkrieg eine Rolle spielte, aber letztlich erst unter Putin wiedereingeführt wurde. Dieses Bändchen erscheint ohne Jahreszahl. Das ist sehr symbolhaft.

Wir haben noch zwei weitere Dinge. Natürlich hat Putin auch Blumen niedergelegt am Grab des unbekannten Soldaten aus der Heldenstadt Kiew, aus der Heldenstadt Charkiw, aus der Heldenstadt Odessa.

Das dritte Symbol waren Einheiten aus dem Donbass, die auf ihren Militärfahrzeugen über den Roten Platz fuhren. Man sieht daran, dass diese Einheiten aus dem Donbass offenbar schon als reguläre Einheiten Russlands angesehen werden und damit auch im russischen Heldengedenken an diesen 9. Mai in die Reihen aller Völkerschaften eingereiht werden.

Ganz reibungslos ist die Siegesfeier nicht über die Bühne gegangen. Immerhin konnte die Luftwaffe nicht den Buchstaben "Z" in den Himmel malen, das in Russland gebräuchliche Symbol für die sogenannte "Militäroperation" in der Ukraine. Wie bewerten Sie das?

Happel: Ich glaube, das ist gar nicht wichtig, denn das "Z" ist mittlerweile so allgegenwärtig - es wird von allen Schichten benutzt, geht durch alle Altersklassen. Dass es heute nicht am Himmel war, steht nicht dafür, dass das keine Rolle mehr spielt, sondern man kämpft sich weiterhin mit diesem "Z" ab.

Kam heute irgendwie zum Ausdruck, dass Ukrainer und Russen gemeinsam diesen Sieg über Nazi-Deutschland errungen haben? Oder fand eine russische Umdeutung des Tages des Sieges statt?

Happel: Das Gemeinsame wird betont. Was man aber da nicht hineininterpretieren darf, ist, dass Putin den Ukrainern oder den die westlichen Alliierten eine Hand ausstreckt. Aber man kann ihm vielleicht zugute halten, dass er zumindest nicht sofort auf die ausgestreckte Hand des Westens draufgehauen hat.

Das Interview führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 09.05.2022 | 17:15 Uhr

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