Diego Armando Maradona - größer als das eigene Leben
Die Fußballwelt trauert um Diego Armando Maradona, der am Mittwoch im Alter von gerade einmal 60 Jahren gestorben ist. Das Entsetzen ist weltweit riesig - aber warum eigentlich? Fragen an den Fußballautor Ronald Reng.
Herr Reng, können Sie sich erklären, warum die Trauer weltweit so groß ist?

Ronald Reng: Die Engländer haben einen guten Ausdruck dafür: Er war ein "bigger-than-life-character", ein Typ, der größer war als das eigene Leben. Jeder verbindet irgendetwas mit Maradona. Es steckte so viel in dieser Person - vor allem Genie und Wahnsinn: Auf dem Fußballplatz hat er uns das Gefühl gegeben, dass einer allein eine ganze Mannschaft besiegen kann. Gleichzeitig war er als Person völlig unverstellt: Er hat sein ganzes Leben vor uns ausgebreitet, mit seiner Drogensucht, seiner naiven politischen Verehrung für den Sozialismus - obwohl er selbst Millionär war. Er hat sein Geld verprasst, er ist dick, dann wieder dünn geworden. Er hat uns das ganze Leben in "Übergröße" vorgelebt. Da er so unverstellt war - auch wenn er wahnsinnige und negative Sachen gemacht hat -, hatte man immer das Gefühl: Eigentlich mag ich diesen Typen.
Was hat dieses Magische ausgemacht, was er aufs Fußballfeld gebracht hat?
Reng: Fußball ist ein Spiel, das immer mehr von Handwerkern betrieben wird: Es wird gekämpft, es wird gerackert, es wird versucht zu zerstören, es wird destruktiv gespielt. Und gerade in einer Zeit - 80er- und 90er-Jahre -, in der er nur von "Zerstörern" umgeben war, hat Maradona konstruktiv gespielt. Er hat das Spiel tatsächlich als Kunst betrieben - ich glaube, das Wort ist nicht zu hoch. Er konnte mit dem Ball unglaubliche Dinge machen, die kein anderer Mensch hingekriegt hat. Er hat zwei ganz berühmte Tore geschossen: Eines war die "Hand Gottes", ein Tor mit der Hand - da stand er für den "Frechen", der auch betrügt, um zu gewinnen. Das andere Tor schoss er im selben Spiel, beim Weltmeisterschaftsviertelfinale 1986 gegen England: Da ist er in der eigenen Spielfeldhälfte losgelaufen und hat einfach eine ganze Fußballmannschaft ausgedribbelt. Auch jemand, der nichts vom Fußball verstanden hat, hat gespürt, dass da ein Spieler war, der fast übermenschliche Dinge mit dem Ball machen konnte.
Dieses Tor ist sogar zum "Tor des Jahrhunderts" gewählt worden. Das ist die sportliche Seite - aber es gibt auch die menschliche Seite: Der kleine Diego kam aus ärmlichsten Verhältnissen und hat es nach ganz oben gebracht. Wieviel Charakter braucht es, um aus einem guten Fußballspieler so eine idolhafte Figur zu machen?
Reng: Er hatte auf jeden Fall die Lust an der Rollendarstellung. Er hat sich wohlgefühlt mit den Kameras im Gesicht, und irgendwann hat er sie auch gebraucht. Und wie es manchmal bei öffentlichen Personen passiert, hat er nicht mehr unterschieden zwischen öffentlichem und privatem Leben. Er hatte auch gar keine Lust, irgendetwas vor den Leuten zu verbergen - Affären, Drogensucht, seine Nähe zur Mafia, als er beim SSC Neapel in Italien gespielt hat. Das war sicherlich nicht immer ein glückliches Leben, aber das war für ihn das einzige Leben - da gab es nicht privat und öffentlich. Mit dieser öffentlichen Aufmerksamkeit ist er mehr oder weniger gut zurechtgekommen, und irgendwann brauchte er sie. Er ist einmal nachts aus der Klinik ausgebrochen und hat dann im Schlafanzug auf dem Golfplatz Golf gespielt, weil er wieder raus musste. In ihm war schon etwas Archaisches drin, ein Mensch, der keine große Erziehung genossen hat, aber der keine Komplexe hatte, sondern der in dem Gefühl gelebt hat, der Größte der Welt zu sein. Und das hat er ausgekostet.
Heute wird von Fußballern gefordert, Vorbild für die Jugend zu sein. Aber dieser Mann mit all den Skandalen war alles andere als eine Identifikationsfigur und schon gar kein Vorbild. Ist er aus der Zeit gefallen?
Reng: Nein. Das verdeutlicht wunderbar das Paradoxe in uns Menschen, das Widersprüchliche. Gerade bei Fußballspielern erheben wir große moralische Ansprüche, und gleichzeitig sehnen wir uns offenbar nach genau dem anderen Typ, der die Regeln bricht, der sich an nichts hält, der sich über alles hinweggesetzt. Das ist etwas sehr Menschliches, dass wir einerseits fordern, stromlinienförmig zu sein, dass wir andererseits aber diese Typen wie Diego Maradona verehren.
Andere Fußballer, die sich selber als Typen bezeichnen, zum Beispiel Mario Basler oder Stefan Effenberg, sind - Entschuldigung - im Herzen unsympathische Menschen. Und Diego Maradona hatte in all seinem Wahnsinn, in all seiner Unverstelltheit etwas sehr Kindliches, etwas sehr Liebes, fast Rührendes. Man bildete sich bei all seinen Fehltritten ein, dass er einfach nicht anders kann und eigentlich doch ein lieber Kerl ist. Das hat er ausgestrahlt, und deswegen wird er so verehrt, obwohl er viel vertritt, was wir eigentlich offiziell ablehnen.
Das Interview führte Jürgen Deppe.
