Jobst Plog: Abschied nach drei Jahrzehnten im NDR
1977 kamen Sie als Justitiar zum NDR. Rückblickend: Wie haben Sie den Sender damals erlebt?
Was mir gleich zu Beginn auffiel, war, dass es hier Menschen gab, die sehr hilfsbereit und liebenswürdig waren - wache, selbstbewusste Kollegen, die man gerne hat. Das war prägend, genau wie die Tatsache, dass der NDR damals doch noch sehr stark eine Rundfunkanstalt war, mit der Betonung auf Anstalt. Und wenn man wie ich als Anwalt aus einem freien Beruf kam, dann hatte man schon zunächst Schwierigkeiten, diese ganzen Hierarchie-Abläufe zu begreifen. Ich habe mich dann schnell eingewöhnt und begonnen, Abläufe zu verändern. Ich glaube, das Haus hat damals einen, der so sozialisiert war wie ich, sehr gut gebrauchen können.
Sie galten und gelten als streitbar, wenn es die Sache erfordert. Haben Sie Spaß an der Auseinandersetzung?
Eindeutig ja. Aber es ist auch ein spielerischer Umgang mit Streit. Als Anwalt vertritt man die Position A, der Gegenanwalt mit gutem Grund die Position B. Das relativiert sich gegenseitig, denn man könnte theoretisch ja auch jeweils die Position des Gegenüber einnehmen. Das argumentative Streitgespräch habe ich in meiner Ausbildung sehr schätzen gelernt.
Was ist Ihrer Einschätzung nach der größte Erfolg, den Sie als Intendant errungen haben?
Das Wichtigste, über die gesamte Amtszeit betrachtet, ist der Erfolg beim Kampf um die Unabhängigkeit des NDR. Insgesamt ist der NDR heute ein von politischem Einfluss freies Haus. Dies ist natürlich nicht für die Ewigkeit garantiert, aber wir haben eine gute Basis erreicht, auf der meine Nachfolger aufbauen können.
Gab es auch Niederlagen oder Projekte, die liegen geblieben sind, obwohl Sie diese gern noch angepackt hätten?
Ja, es gibt das eine oder andere, das zu tun bleibt. Darunter sind besonders jene Dinge, die ich bewusst noch angestoßen habe, bei denen ich aber nicht mehr die maßgeblichen Entscheidungen treffen wollte - zum Beispiel die Prüfaufträge in Sachen Trimedialität. Im Bereich der neuen Medien und der Digitalisierung merke ich, dass ich doch anders geprägt bin. Es steht ein grundlegender Wandel an. Ich denke, da sollten jüngere Menschen die Verantwortung tragen.
Was war für Sie das größte Ärgernis der vergangenen Jahre?
Die größten Schwierigkeiten, denen man begegnet, resultieren oft aus der Einschränkung der Handlungsfähigkeit, unter der ein öffentlich-rechtliches Unternehmen leidet. Es sind an Entscheidungen viele beteiligt. Auch dauert die Entscheidungsfindung oft viel länger, als es gut ist. Auf der anderen Seite - am Ende kommt man oft hin. Man muss listig und standhaft sein, dann erreicht man sein Ziel. Voraussetzung ist allerdings, dass man auch ein klar formuliertes
Ziel hat.
In der ARD gibt es viele Sitzungen. Welche empfanden Sie als die gefühlt längste von allen?
Quälend ist eigentlich nie die einzelne, sondern die Häufung von Sitzungen. Ich denke allerdings, das ist bei allen Großunternehmen ähnlich. Über meine ganze Arbeitszeit hinweg habe ich aus meiner subjektiven Sicht zu viele Sitzungen erlebt. Übrigens: Wenn ich eine Tagung selbst geleitet habe, habe ich mich natürlich weniger gelangweilt und konnte die Länge selbst beeinflussen. Gott sei Dank habe ich im meinem Berufsleben sehr viele Konferenzen selber leiten dürfen.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, denen sich die ARD in den kommenden Jahren stellen muss?
Also, ich denke bei bestenfalls gleichbleibenden Einnahmen wird es mehr Angebote auf mehr Ausspielwegen geben müssen. Das ist ein Problem, das man nur lösen kann, indem man alle Rationalisierungsreserven nutzt, diese sozialverträglich gestaltet und sich außerdem zutraut, klare Prioritäten zu setzen. Bis jetzt haben wir immer noch Additives tun können, ohne anderes aufzugeben. Da stoßen wir heute an unsere Grenzen. Darüber hinaus, glaube ich, bleiben die Probleme mehr oder weniger dieselben. Wir müssen uns auseinandersetzen mit einer Zeitungslandschaft, in der die Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer seltener fair dargestellt wird, weil sich die Verleger selbst als Konkurrenten begreifen. Wir geraten über das Internet sogar in eine verschärfte Wettbewerbssituation. Das wird sicher ein schwieriger Punkt.
Ist das Pay-TV noch immer eine Bedrohung?
Das Pay-TV hat in Deutschland eigentlich nie den Durchbruch geschafft, weil die Verkabelung eine Fülle von Free-TV-Angeboten mit sich gebracht hat. Ein Siegeszug des Pay-TV wäre hierzulande nur möglich gewesen, wenn die kommerziellen Veranstalter ihre Rosinen aus dem Free-TV ins Pay-Angebot umgeschichtet hätten - und wenn es gelungen wäre, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nachhaltig zu schwächen, wie es ja eine Zeitlang auch strategisch gewollt war. Eine konkrete Gefahr aus dieser Richtung sehe ich gegenwärtig aber nicht.
Was antworten Sie jemandem, der sagt, in 30 Jahren sei der öffentliche Rundfunk tot?
Wir haben jetzt gerade in Karlsruhe ein richtungsweisendes Urteil erstritten, in dem erneut eine wichtige Weiche gestellt worden ist in Richtung Zukunftsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeit. Wenn es uns gelingt, die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Gegengewicht zu kommerziellen Programmen unverzichtbar ist, dann muss sich das auch auf die Verbreitung unserer Inhalte im Internet erstrecken. Wenn sich allerdings die Auffassung durchsetzt, dass wir dort, wo ein funktionierender Markt besteht, nichts zu suchen haben, dann wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk von existentiell wichtigen Zukunftsentwicklungen abgeschnitten. Ich bin zuversichtlich, dass es in der Gesellschaft auch künftig Zustimmung zu unserem Modell des Rundfunks geben wird. Ich denke, viele Hoffnungen auf private Modelle sind inzwischen enttäuscht worden.
Glauben Sie, dass die Politik die Lektionen der vergangenen Jahre gelernt hat und von direkten Einflussnahmeversuchen künftig absieht?
Nein, das Problem wird sich nicht erledigen, sondern latent immer da sein. Nur haben wir nachweisen können, dass man sich mit einem klaren Ziel, einer klaren Linie der Unabhängigkeit durchsetzen kann. Freiheit muss immer wieder verteidigt werden. Dass die Politik aus ihrer Sicht heraus versucht, Einfluss auf die elektronischen Medien zu gewinnen, ist vordergründig sogar nachvollziehbar. Doch klar sein muss: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf ihr nicht einmal einen kleinen Finger reichen und muss allen Versuchen, seine Unabhängigkeit anzutasten, kompromisslos widerstehen.
Wie würden Sie Ihren derzeitigen Gemütszustand beschreiben?
Fröhlich und gelassen. Ich denke, ich habe das für den NDR getan, was ich tun konnte in 30 Berufsjahren. Ich bin der Auffassung, dass es eine gute Zäsur ist, jetzt zu gehen. Ich habe durch meine Entscheidung dazu die Nachfolge deutlich beeinflusst. Jetzt ist eine Regelung gefunden, die professionell ist. Ich habe das Programm, mit dem ich gestartet bin, größtenteils abgearbeitet. Und nun ist wieder eine neue Truppe dran.
Sie sind einer der Mediengewaltigen in Deutschland. Wird Ihnen die Macht und die Bedeutung des Amtes fehlen?
Mit der Macht ist es so eine Sache: Wenn man sie hat, nimmt man sie vielleicht weniger wahr, als wenn man sie nicht hat. Ich habe mich eigentlich nicht so sehr mächtig gefühlt. Ich habe immer gern entschieden, dass da keine Zweifel aufkommen. Aber meine Aufgabe habe ich primär darin gesehen, anderen zu ermöglichen, professionell zu arbeiten. Ich habe versucht, dafür Freiräume zu schaffen. Journalistische Macht habe ich selbst gar nicht ausgeübt. Die Attribute der Macht waren für mich nicht so wichtig. Ich habe von 100 Einladungen zu großen Anlässen 99 abgesagt. Einen Dienstwagen mit Fahrer zu haben, ist praktisch: Man kann im Wagen arbeiten, man muss keinen Parkplatz suchen. Das ist sicher ein Privileg. Aber ich fahre auch sehr gern selbst Auto und werde den Dienstwagen nicht vermissen.
Was an Ihrem Amt werden Sie denn vermissen?
Die Menschen in diesem Haus. Nicht alle, auch das muss man klar sagen, aber den Umgang mit Leuten, die Rundfunk machen, mit den Kreativen, aber auch mit denen in den Produktions- und sonstigen Gewerken. Das habe ich immer geschätzt. Ich habe im NDR viele intensive Begegnungen erlebt. Wenn ich hier über das Gelände gehe, treffe ich immer Leute, von denen ich sage, die mag ich. Sie werden mir fehlen.
Was machen Sie am 13. Januar, Ihrem ersten Tag nach dem NDR?
Der 13. Januar ist ein Sonntag, da mache ich das gleiche wie sonst an Sonntagen auch. Ich bin kein Mensch, der sich an Wochenenden durch Aktenberge gewühlt hat. Wahrscheinlich laufe ich morgens erst einmal um die Alster, und dann wird in Ruhe gefrühstückt. Der Sonntag ist für mich immer ein Ruhetag gewesen, an dem ich nur die wichtigsten beruflichen Dinge erledigt habe.
Und was sind Ihre Pläne für die Zeit danach?
Ich verfolge derzeit nichts mit Dringlichkeit. Es gibt erfreulicherweise ein paar Dinge, die fortbestehen, zum Beispiel das Kuratorium der ZEIT Stiftung, in dem ich persönlich Mitglied bin - übrigens eines der jüngeren, was ja auch mal ganz schön ist. Es gibt den Aufsichtsrat von Madsack, die Vize-Präsidentschaft in der ARTE Mitgliederversammlung. Dazu habe ich ein paar Anfragen von Menschen erhalten, die meinen Rat in der einen oder anderen Frage einholen wollen. So weit es sinnvoll und machbar ist, wird es also Beschäftigung geben. Aber ich werde deutlich reduzieren, das ist überhaupt keine Frage. Ich möchte irgendwo hinfahren können und sagen: Es ist schön, ich bleibe. Und ich möchte auch dem norddeutschen Winter ausweichen, der nicht mal kalt ist. Kälte würde mich nicht so sehr stören, aber er ist ohne Licht. Ich denke, je älter man wird, je klarer ist das Bedürfnis nach Licht.
Ihre Liebe zu Frankreich ist bekannt. Werden Sie Ihren Lebensmittelpunkt jetzt dorthin verlegen?
Nein, ich werde das teilen. Ich habe es immer geteilt, aber der Part von Frankreich war immer etwas kleiner. Es beschränkte sich auf Festtage und Ferien. Und jetzt wird sich das neu sortieren. Immer, wenn ich von Frankreich nach Hamburg fahre, habe ich das Gefühl, nach Hause zu fahren, und schlage ich die entgegengesetzte Richtung ein, ist das genauso. Aus diesem guten Gefühl werde ich in Zukunft mehr machen.
Haben Sie noch einen Rat für Ihren Nachfolger Lutz Marmor?
Nein, als ich angefangen habe, hätte ich mir auch jeden Ratschlag verbeten. Lutz Marmor wird das gut machen.
Das Interview führten Martin Gartzke und Ralph Coleman.
