Gummistiefel und Jacken an einer Kindergarten Garderobe. © picture alliance / dpa Foto: Christian Charisius

Kitaplatz-Suche: Achterbahn der Gefühle

Stand: 02.05.2022 05:00 Uhr

Eltern haben einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Doch das Angebot ist knapp, die Nachfrage hoch. Eltern haben massive Schwierigkeiten - und es wird schlimmer.

von Stella Kennedy

Für die Kielerin Christiane Biermann war die Kitaplatz-Suche für ihre Tochter eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Dabei hatte sie eigentlich alles richtig gemacht: Schon gleich nach der Geburt setzte sie den Namen ihres Neugeborenen auf zwei Kita-Wartelisten. Zudem meldete sie sich über das offizielle Kita-Portal des Landes an. "Über das Portal kam keine Zusage", erzählt Biermann. "Und die anderen Kitas meldeten sich auch nicht." Erst nachdem die 38-Jährige mehrmals nachhakte, war sie schlauer: "Eine sagte mir gleich ab, bei der anderen hätte ich fünf Monate bis zur Eingewöhnung warten müssen."

Eigentlich hätte ihre Tochter ab ihrem ersten Geburtstag in einer Kita betreut werden sollen. Durch Zufall konnten sie nach drei Monaten mit der Eingewöhnung anfangen. "Das war aber ein Glücksfall. Ein anderes Kind war kurzfristig abgesprungen." Probleme traten später aber erneut auf - dazu später mehr.

Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gilt seit 2013

Unter Eltern von Kita-Kindern sind Geschichten wie von Christiane Biermann mittlerweile Normalzustand. Der Grund: Seit 2013 gilt der individuelle Rechtsanspruch für Kinder auf einen Kitaplatz ab dem ersten Lebensjahr bis zur Einschulung. Die dementsprechend erhöhte Nachfrage bei gleichzeitig mangelndem Angebot von Kitaplätzen führt allerdings seither dazu, dass Eltern flächendeckend im Land massive Schwierigkeiten haben, einen Betreuungsplatz für ihre Kita- und Krippenkinder zu finden. Hinzu kommen Probleme wie Personalmangel und hohe Fluktuation der Beschäftigten innerhalb der Einrichtungen.

Preetz: Kinder müssen Einrichtungen wechseln

Die mangelnden Plätze sind also nur das Ergebnis eines großen Problems: Den Kindergärten im Land fehlt es an Erzieherinnen und Erziehern sowie an Sozialpädagogischen Assistenteninnen und Assistenten. Doch die sind schwer zu finden. Die Träger klagen über zunehmende Personalnot in den Kindergärten – und die Eltern über fehlende Kitaplätze und oft wechselnde Erzieher. Das hat Auswirkungen. So mussten zum Beispiel in Preetz Kinder aus einer Einrichtung in die andere umziehen - eine Übergangslösung, die verhinderte, dass Gruppen ganz geschlossen werden mussten. Andere Träger stellen gar Attraktivitätsprogramme wie Geldprämien zusammen, um mehr Personal anzulocken.

Jahr für Jahr mehr unbesetzte Stellen für Pädagogen

Auf NDR Anfrage bei der Bundesagentur für Arbeit gab es in Schleswig-Holstein im März 2019 noch 757 offene Stellen. Seither werden es pro Jahr mehr Stellen, die unbesetzt sind. Momentan (Stand März 2022) sind 1.103 offene sozialversicherungspflichtige Stellen für Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet.

Viele Erzieher verlassen ihren Jobbereich

Kinder sitzen in einer Kita am Tisch und malen. © picture alliance/dpa/dpaweb Foto: Jens Büttner
In vielen Kitas fehlt Personal. Die Zahl der offenen Stellen steigt.

Darüber hinaus gibt es immer mehr Erzieherinnen und Erzieher, die nach nur wenigen Jahren aus dem Arbeitsfeld der frühkindlichen Bildung abwandern. Der Grund: Sie sind unzufrieden mit den Rahmenbedingungen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung zeigen Studien, dass fast ein Viertel der Kita-Fachkräfte innerhalb der ersten fünf Jahre nach Berufsstart das Arbeitsfeld wieder verlässt. Ein Drittel wechselt in diesem Zeitraum mindestens einmal die Stelle. 

Verantwortung bei Kreisen und kreisfreien Städten?

Carsten Höhn vom Verband Evangelischer Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein geht davon aus, dass in den nächsten Jahren - ganz abgesehen vom Zuzug ukrainischer Kinder - der Bedarf an Kitaplätzen noch weiter steigen wird. Höhn fordert deshalb eine nachhaltige und langfristige Jugendhilfeplanung in den Kreisen und kreisfreien Städten. Kitaplätze müssen ihm zufolge neu geschaffen und gebaut werden. Und "eine echte Fachkräfteoffensive" sei nötig.

Auch das Sozialministerium richtet sich auf NDR Anfrage an die Kreise und kreisfreien Städte. Sie sind verantwortlich für die Bedarfsermittlung und den Ausbau von Kitaplätzen. Laut Sprecherin Hannah Beyer "weist das Land den örtlichen Trägern Fördermittel zum Ausbau zusätzlicher Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in eigener Verantwortung zu". Im Anschluss würden die örtlichen Träger dann über die Bewilligung konkreter Maßnahmen entscheiden. Zuletzt wurden mit dem Förderprogramm zur Umsetzung des Bundesinvestitionsprogramms "Kinderbetreuungsfinanzierung 2020 bis 2021" Fördermittel über das Konjunkturpaket der Bundesregierung in Höhe von 32,83 Millionen Euro zum Ausbau der Kindertagesbetreuung in Schleswig-Holstein bereitgestellt.

Landkreistag: Die Fristen für Investitionen sind zu kurz

Dr. Johannes Reimann vom Landkreistag Schleswig-Holstein spielt den Ball allerdings an das Sozialministerium zurück: "Wir haben in letzter Zeit die absurde Situation gehabt, dass Investitionsmittel des Bundes und des Landes verfallen sind, schlicht, weil sie in der Kürze der Bindungsfrist, der Zeit, an die die Mittel gebunden sind, nicht verbaut werden konnten. Die bereitgestellten Mittel wurden also nicht ausgeschöpft, weil man gar keine Zeit hatte, Aufträge zu vergeben."

Auch Kinder leiden unter den Kita-Missständen

Christiane Biermann und ihrem Kind hilft diese Diskussion nicht weiter. Auch nach der Eingewöhnung fand ihre Kita-Erfahrung kein gutes Ende. "Erst waren wir froh, überhaupt einen Platz zu haben", sagt Biermann. "Aber seither ist der Kindergartenalltag meiner Tochter vor allem durch eines geprägt: dem ständigen Wechsel ihrer Erzieherinnen." Neben zwei Wechseln wegen Elternzeitvertretungen verließen seit der Eingewöhnung drei Pädagoginnen die Einrichtung. "Meine Tochter leidet richtig darunter, keine verlässliche Bezugsperson während ihrer Betreuung zu haben."

Die anstrengende Kitaplatz-Suche ist also nur der Anfang einer nervenaufreibenden Erfahrung für die Eltern von Kita- und Krippenkindern im Land - aber auch für die Kinder selbst.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 02.05.2022 | 08:00 Uhr

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