Schwerkranker enttäuscht über Urteil zu tödlichem Medikament

Stand: 03.02.2022 11:04 Uhr

Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat entschieden, dass Schwerkranke kein Recht auf den Erhalt eines Medikaments zur Selbsttötung haben. Kläger Brennecke aus dem Landkreis Lüneburg ist enttäuscht.

Das Urteil sei für ihn "schwer erträglich", sagte der 77-jährige Hans-Jürgen Brennecke aus Reppenstedt im Gespräch mit dem NDR in Niedersachsen. Die Gründe der Ablehnung könne er gar nicht akzeptieren. Er und die anderen Kläger haben bereits angekündigt, vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in Revision zu gehen.

OVG: Pflicht des Staates Leben zu schützen

Die Kläger hatten sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes berufen, in dem es vor knapp zwei Jahren hieß, dass jeder Mensch das Recht habe, über sein Lebensende frei zu entscheiden. Die Richter am Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschieden jedoch am Mittwoch, dass das den Staat nicht von seiner Pflicht entbinde, das Leben zu schützen. Betäubungsmittel dürften daher nur freigegeben werden, damit sie Beschwerden lindern oder Krankheiten heilen, aber nicht, um Leben zu beenden. Der Staat müsse schwerstkranken Menschen nicht den Zugang zu einem Suizid-Mittel verschaffen. Das OVG wies die Klagen ab.

Sterbehilfe - Namen und Definitionen

Die geschäftsmäßige Sterbehilfe hat - trotz ihres Namens - erst einmal nichts mit Geld zu tun. Geschäftsmäßig bedeutet, dass eine Selbsttötung für Patienten regelmäßig und mehrmals angeboten wird. Der Terminus bedeutet also "auf Wiederholung angelegt". Aktive Sterbehilfe - also eine Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze - bleibt auch nach dem neuen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verboten. Bei der sogenannten assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt - der Patient nimmt es selbst ein.

Antrag beim BfArM abgelehnt

Das Gericht in Münster ist deshalb für Brennecke zuständig, weil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seinen Sitz in Bonn hat. Der 77-Jährige hatte, genau wie seine beiden Mitstreitenden beim BfArM die Erlaubnis beantragt, das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital erwerben zu dürfen. Der Antrag wurde abgelehnt. So auch bei dem 51 Jahre alten Kläger, der seit mehr als 20 Jahren an Multipler Sklerose leidet und einer 68 Jahre alten Klägerin aus dem Landkreis Schwäbisch-Hall, die neben Krebs an multiplen Erkrankungen leidet. Brennecke litt vor fünf Jahren an einem besonders bösartigen Krebs, der ihm eigenen Angaben zufolge monatelang schlimmste Schmerzen bereitete. Über das tödlich wirkende Mittel zu verfügen, würde ihn enorm beruhigen, sollte der Krebs wiederkommen, sagte der 77-Jährige.

Bundesverfassungsgericht kippt Verbot - läuft Grundrecht ins Leere?

Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der organisierten Sterbehilfe in Deutschland gekippt, weil damit das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzt werde. Aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlangen, bleibt dagegen verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe, bei der ein tödliches Medikament zur Verfügung gestellt wird, nimmt der Patient das Mittel selbst ein. Anspruch auf Hilfe durch Mediziner oder den Staat gibt es ausdrücklich nicht. Dabei geht es um die Frage, ob das höchstrichterlich festgestellte Grundrecht auf Selbsttötung ins Leere läuft, wenn es faktisch nicht umgesetzt werden kann. Natrium-Pentobarbital wird in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz im Rahmen der dort erlaubten Sterbehilfe eingesetzt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 03.02.2022 | 09:00 Uhr

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