Wie hoch ist die Arbeitsbelastung im Rostocker Jugendamt?
Laut Sozialsenator Steffen Bockhahn (Die Linke) müssen sich die Verantwortlichen mittlerweile um deutlich weniger Fälle kümmern. Sozialarbeitende in der Hansestadt sehen dagegen im Amt noch eine sehr hohe Belastung.
Sexueller Missbrauch in Familien, Verwahrlosung oder Probleme bei der Erziehung: Das Jugendamt in der größten Stadt des Landes hat es täglich mit schweren Fällen zu tun. Aber die Mitarbeitenden helfen gern, sagt Carolin Schumski, die als Sachgebietsleiterin für drei Stadtteile zuständig ist: "Wir sind mit Multi-Problemlagen konfrontiert, wir sind auch mit viel Elend konfrontiert. Das ist sehr herausfordernd. Aber ich glaube: Jeder Fallmanager, der hier arbeitet, ist mit Herzblut dabei." Das Fallmanagement ist das Herzstück des Jugendamtes, das in Rostock in eine sehr große Behörde mit knapp 330 Mitarbeitenden integriert ist: Das Amt für Jugend, Soziales und Asyl. Wenn eine Kindeswohlgefährdung bemerkt oder angezeigt wird, entscheiden die Fallmanagerinnen und -manager, was zu tun ist. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, bei der es in den vergangenen Jahren zu hohen Arbeitsbelastungen kam.
Noch vor wenigen Jahren: bis zu 150 Fälle pro Fallmanager
Laut Rostocks Sozialsenator Steffen Bockhahn (Die Linke) seien es vor nicht allzu langer Zeit 120 und teilweise auch bis zu 150 Fälle pro Mitarbeiter und Mitarbeiterin gewesen. "Wir haben vor etwa drei Jahren festgelegt, dass jede Kollegin hier nur noch 1:35 arbeitet", betont Bockhahn gegenüber dem NDR. Die Anzahl der vorhandenen Stellen reiche aus, um genau das gewährleisten zu können. Andererseits seien aber zur Zeit nicht alle Stellen besetzt, weil sich nicht genug geeignetes Personal finde, zudem seien einige Mitarbeitende auch krank oder im Erziehungsurlaub, beschreibt Bockhahn die Realität. Derzeit liege der Personalschlüssel realistisch bei ungefähr 40 Fällen pro Fallmanagerin oder -manager, wobei dieser Wert besonders in der Stadtmitte aktuell noch höher liege.
Sozialarbeiter sehen weiterhin hohe Belastung im Amt
Für die Recherche hat das NDR Nordmagazin Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter aus verschiedenen Stadtteilen gesprochen. Sie möchten anonym bleiben. Die meisten von ihnen würden immer noch eine hohe Belastung im Jugendamt wahrnehmen. Das machen sie daran fest, dass Fallmanagerinnen und -manager teils wenig Zeit hätten, um mit ihnen über laufende Fälle zu sprechen. Zu Beginn der Corona-Pandemie sei teilweise gar kein Ansprechpartner im Jugendamt erreichbar gewesen. Daraus seien laut Wahrnehmung der Sozialarbeiter, mit denen der NDR gesprochen hat, offenbar Lehren gezogen worden: Mittlerweile habe sich ein System etabliert, das schnelle Antworten von der Behörde möglich mache. Zudem gebe es eine ständig besetzte Notruf- bzw. Schutzhotline. Chaotische Zustände im Jugendamt sehen die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter nicht.
Sozialarbeiter kritisieren Machtverhältnis
Bei der Zusammenarbeit mit den Fallmanagerinnen und Fallmanagern allerdings machen die Befragten gemischte Erfahrungen: Oft habe man es mit sehr engagierten Leuten zu tun, die auch mal um die Ecke denken. Doch manchmal würden im Jugendamt Entscheidungen gefällt, mit denen die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter garnicht einverstanden seien. Damit müsse man dann aber meistens leben, denn es gebe keine spezielle Beschwerdestelle, so der Vorwurf eines bei einem freien Jugendhilfe-Träger beschäftigten Sozialarbeiters, der ebenfalls anonym bleiben möchte: "Es gibt da ein gewisses Machtverhältnis. Das Jugendamt belegt uns ja mit Fällen, das sind unsere Aufträge. Wenn man zum Beispiel durch zu viel Kritik unangenehm auffällt, könnte die Karriere als Sozialarbeiter schnell vorbei sein, weil man eben nicht mehr mit Fällen belegt wird."
Freie Träger organisieren die praktische Hilfe
Die Aufgabenverteilung zwischen Amt und freien Trägern funktioniert so: Bei Problemen in Familien oder auch akuten Kindeswohlgefährdungen sind die Fallmanagerinnen und Fallmanager im Jugendamt die erste Ansprechstelle. Sie treffen dann die Entscheidung, welche Hilfen geleistet werden. Freie Träger in Rostock wie die GGP Gruppe oder auch die Diakonie übernehmen dann die praktische Arbeit: Sie betreiben beispielsweise Wohngruppen oder helfen in Familien als Erziehungsbeistand und werden dafür vom Jugendamt bezahlt. Bei diesen freien Trägern arbeiten viele Sozialarbeiterinnen und -arbeiter.
Zwei Seiten der Medaille Wirtschaftlichkeit
Welches Volumen die Hilfsleistungen annehmen können, regelt im Jugendamt auch eine Wirtschaftsabteilung. Deren Entscheidungen werden in der Praxis teils kritisch gesehen, berichtet uns der Sozialarbeiter, der anonym bleiben möchte: "Einen Hilfefall in einer Familie oder bei einem Jugendlichen kann man eigentlich nicht von wirtschaftlichen Faktoren abhängig machen. Wir erleben es oft, dass uns - und auch den Fallmanagern im Jugendamt - von der Wirtschaftsabteilung ein Riegel vorgeschoben wird." Wenn für eine Person zum Beispiel keine Jugendhilfe mehr bewilligt werde, könne es bei einer schlechten Entwicklung später zu höheren Kosten durch sogenannte Transferleistungen kommen, kritisiert er weiter. Aber er spricht auch von der anderen Seite der Medaille: "Auf der anderen Seite ziehen manche Sozialarbeiter ihre Hilfsmaßnahmen künstlich in die Länge, um ihre Jobs zu sichern."
Ermittlungen gegen einzelnen Träger
Möglicherweise gibt es beim Thema Geld für Leistungen in der Jugendhilfe auch schwarze Schafe: Gegen den freien Träger GeBEG ermittelt beispielsweise zur Zeit die Staatsanwaltschaft Rostock. Der Verdacht des Abrechnungsbetrugs steht im Raum. Auf NDR-Anfrage hat sich die GeBEG dazu nicht geäußert. Dem Jugendamt jedenfalls ist an einer guten Zusammenarbeit mit den Trägern sehr gelegen, betont auch Sachgebietsleiterin Carolin Schumski: "Die Träger sind essentiell wichtig: Die machen Familienhilfe, die machen den Familienbeistand, die arbeiten in den Wohngruppen, Tag und Nacht! Wenn eine partnerschaftliche und kooperative Zusammenarbeit mit den Trägern nicht funktioniert, laufen keine Hilfen." Sozialsenator Bockhahn ergänzt, dass in der Summe mit fast allen Trägern sehr gut zusammen gearbeitet werde. Hier und da "klemme es mal", das müsse man sich dann genauer anschauen. Klar ist: Hilfe für Kinder und Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommerns größter Stadt ist jeden Tag eine Herausforderung. Der verantwortliche Senator, Steffen Bockhahn, steht am heutigen Mittwoch in der Rostocker Bürgerschaft zur Wiederwahl.
