Valeria Kovtan: "Entweder du überlebst, oder du stirbst"
Die studierte Journalistin Valeria Kovtan flüchtete kurz vor ihrem 25. Geburtstag aus der umkämpften Ukraine nach Rostock. Mittlerweile ist sie wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt.
Valeria Kovtan hätte ihren 25. Geburtstag gerne mit ihren Freunden und der Familie in Romny, ihrem Heimatdorf im Norden der Ukraine gefeiert. Stattdessen treffen wir sie in einem knapp 12 Quadratmeter kleinem Hotelzimmer, das sie sich mit Ihrer Mutter teilt. Die junge Journalistin hat bereits in London studiert, gelebt und gearbeitet und ist danach wieder die Ukraine zurückgekehrt, um dort ihre Leidenschaft für kritischen Journalismus und Faktenchecks weiterzugeben. Sie liebt das Reisen, sagt aber heute: "Wenn du als Flüchtling in ein anderes Land kommst, dieses Gefühl ist ein komplett anderes und kaum zu beschreiben."
"Ich erinnere mich an jedes kleine Detail dieses ersten Tages. So ist das vermutlich, wenn das menschliche Gehirn unter Stress und Schock steht - ich reagierte automatisch."
Kriegsbeginn in Echtzeit bei Twitter: "Ich erinnere mich an jedes kleinste Detail"
Zuletzt leitete Valeria im Auftrag der Ukraine ein Medienkompetenzprojekt namens "Filter". "Um 5 Uhr in der Früh hat mich meine Kollegin angerufen und fragte mich: Hast Du die Nachrichten gesehen? Ich checkte alles und sah auf Twitter die ersten Einträge, dass Leute in Kiew und der Umgebung Explosionen gehört haben…". Valeria ruft sofort bei ihrem Arbeitgeber im Ministerium für Informationspolitik an. Auch dort ist man völlig überascht. "Und dann wurde es chaotisch. Ich war nicht vorbereitet - wie alle."
Flucht in den Keller: Wasser, Medikamente, zwei Pullover
Das erste, was Valeria auf die Schnelle packt, sind eine halb gefüllte Flasche Wasser, Medikamente zwei Pullover und etwas zu essen, um im Keller ihres Hauses Schutz zu suchen. Es ist Mitte März und Winter. "Als ich das Haus verließ gingen die ersten Sirenen los. Es war das erste Mal, dass ich sie hörte und ich war total gestresst, wusste nicht, was ich tun soll."
Flucht als Grenzerfahrung: "Entweder du überlebst, oder du stirbst"
"Ich betete und überlegte", erzählt Valeria, sichtlich aufgewühlt. "Wenn wir jetzt auf russische Truppen treffen, dann könnte dies unser Tod sein. Und das war, wie durch ein Minenfeld zu laufen. Entweder du überlebst oder du stirbst - zwei Möglichkeiten, mehr nicht." Valeria kann nicht essen, kaum schlafen, verliert fast sechs Kilo Gewicht. "Ich verstand: So kann es nicht weitergehen."
Die Flucht trennt die Familie
Sie spricht mit ihrem Vater, doch er ist gegen eine Flucht. "Wir haben gestritten. Am Ende sagte er: 'Ich fahre dich außer Landes, aber Ich werde zurückkehren.'" Die Entscheidung fällt Valeria sehr schwer. "Ich wusste, dass ich ihn damit gefährde, weil er den gefährlichen Weg zweimal fahren muss - meinetwegen. Das war für mich moralisch kaum zu ertragen."
Was nimmt man mit, wenn man flüchtet?
"Was würdest du mitnehmen wenn du fliehen musst' ist die falsche Frage. Für mich sollte es immer heißen: Wen möchtest du mitnehmen. Und für mich wäre es das größte Geschenk, meine Familie in ein Auto zu setzen und alle in Sicherheit zu bringen. Materielle Dinge zählen in solchen Momenten nicht mehr." Mit dem Hass, der ihr und den Menschen in der Ukraine entgegenschlägt kan sie nur schwer umgehen. "So viele Ukrainer haben diesen Horror überlebt, so viele Familien sind davon betroffen." In der Zwischenzeit ist Valeria zurück nach Kiew gereist. Wie es weitergeht, weiß sie noch nicht.