Schausteller Upleger: "Wie ein Hansa-Spiel, das zur Halbzeit abgebrochen wird"
Wie geht es den Menschen im Land, die direkt mit der Coronakrise zu tun haben? Wut, Angst, Hoffnungslosigkeit oder doch "Jetzt erst recht": Welche Stimmung dominiert im Land? Seit zwei Jahren begleitet die Coronakrise die Menschen. Der NDR hat einige von Ihnen über die ganze Zeit begleitet.
Für Selbständige ist Covid neben einer gesundheitlichen Bedrohung auch eine existenzielle. Ganze Beufszweige stehen vor dem Aus. Wie bei der Schausteller-Familie Upleger aus Reddelich (Landkreis Rostock). Sie verdienen in der fünften Generation ihr Geld mit Verkaufsständen auf Volksfesten. Doch dann, zum Höhepunkt der Weihnachtsmarktsaison, steht plötzlich alles still.
"Das Kribbeln war wieder da"
Hinter dem Spuckschutz blinkt der Edelstahl. "Klar, ist ja auch alles neu", versichert Igor Upleger. Der Schausteller hatte seinen Verkaufsstand für den Weihnachtsmarkt selbst umgebaut. Und dabei wieder Hoffnung geschöpft. "Endlich geht es wieder los. Das Kribbeln war wieder da, die Freude auf die Gäste... Meine Frau und meine beiden Kinder waren so aufgeregt, als würden sie das erste Mal 'rausfahren."
Mit Spuckschutz und Weihnachtsdeko
Igor Upleger investierte gern für den Weihnachtsmarkt. Insgesamt 3.500 Euro für spucksichere Plexiglasscheiben, alles Corona-konform und mit einem neuen Konzept für einen der vier Weihnachtsmarktstände: Statt Bratwurst und Fischbrötchen setzte er auf Kartoffelpuffer. Das Ganze mit einer extra angefertigten Weihnachtsdeko, damit die Verkaufshütte auffällt.
Weihnachtsmarkt schließt wieder kurz nach Öffnung
Und ohne Heizung. Darauf haben sie verzichtet, im Verkaufsraum der Ausschankhütte. "Lieber frieren als Aerosol-Streuschrot zu spielen," so der 54-Jährige. Unter anderem wollte die Familie pro Tag 50 Kilogramm frische Kartoffeln unter die Gäste bringen. Wollte, aber konnte nicht. Am 22. November wurde der Weihnachtsmarkt aufgemacht, und am 8. Dezember wieder dicht gemacht. „Das war so, als würde man ein Hansa-Spiel zur Halbzeit abbrechen“, meint Igor Upleger.
Ein großer Reinfall
Normalerweise macht ein Schausteller ein Drittel des Gesamtumsatzes im Jahr durch Verkaufsstände auf dem Weihnachtsmarkt. 18 Euro gibt jeder Besucher im Schnitt aus und 1,5 Millionen Bummelgäste besuchen den Rostocker Markt in normalen Jahren. Die Kunden und das Geld fehlen jetzt in Uplegers Reibekuchen-Kasse. Insgesamt hatte die Familie vier Geschäfte auf dem Weihnachtsmarkt, auch die beiden Kinder Patrick (33) und Steve (30) hatten ihre eigenen Stände am Start. Zwei Wochen dauerte der Aufbau inklusive Vorbereitung und dann plötzlich: Einpacken, runterfahren, ab nach Hause. "Im Nachhinein wäre es vielleicht besser gewesen, den Weihnachtsmarkt gar nicht erst stattfinden zu lassen", meint der vierfache Großvater. "3G, 2G, 2G-Plus: Das hat die Leute dann schon abgeschreckt."
"Ich bin Schausteller, kein Finanzfachmann"
Und jetzt? Der KfW-Kredit der Familie läuft zwei Jahre zinsfrei, ein Jahr ist schon um. "Das wird hart", vermutet Igor Upleger. Ein Verkauf der Bayern-Wippe oder des Kinderkarussells kommt nicht in Frage. "Geht auch gar nicht, denn wer kauft schon einen Fahrbetrieb, der kein Fahrbetrieb mehr ist, sondern einfach nur rumsteht." Über den eigenen Steuerberater versucht die Familie herauszufinden welche Hilfen es noch gibt. "Aber sorry, ich bin Schausteller, kein Finanzfachmann, der Staatshilfen hinterherlaufen will und weiß wo was zu holen ist."
Die ersten Absagen für 2022 sind schon da
In Deutschland gibt es jährlich 150.000 Volksfeste. Für die ersten im neuen Jahr wäre jetzt eigentlich die Zeit, sich für einen Stand zu bewerben. Aber die Absagen häufen sich. "Das Baumblütenfest im brandenburgischen Werder hat schon abgesagt wegen Corona." Was aus den hiesigen Volksfest-Dinosauriern wie Warnemünder Woche und Hanse Sail wird, weiß noch niemand. Da hofft die Familie einfach noch. Oder umsatteln, etwas anderes machen? "Wir sind Schausteller in der fünften Generation. Lachende Kinder, vergnügte Eltern, der Schnack mit Stammgästen: Das ist mein Lebenselixier. Da kann ich nicht einfach sagen: Schluss-Aus-Ende. Ich habe keinen Beruf, ich habe eine Berufung."
Gäste sagen: 'Durchhalten' - "Und verdammt, das werden wir"
Und so hat der Kurzzeit-Weihnachtsmarkt in Rostock den Kampfgeist geweckt. "Wir haben noch nie so viel Trinkgeld und Zuspruch erhalten wie dort. Die Leute haben sich zwei Stunden angestellt, um einen Test zu machen und ein Bändchen für den Reibekuchen bei uns zu bekommen. Die haben gesagt: Schön, dass ihr da seid. Haltet durch. Und verdammt, das werden wir". Igor Upleger kämpft dabei mit den Tränen.
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