Reich im Altbau, Arm in der Platte - geteiltes Schwerin
In kaum einer anderen Stadt Deutschlands ist die Kluft zwischen arm und reich so groß wie in Schwerin - jedenfalls was die Wohnorte betrifft. Wer es sich leisten kann, lebt in einer sanierten Altbauwohnung in Citylage. Wer wenig verdient, muss an den Rand der Stadt.
Reich im Altbau, Arm in der Platte - in Mecklenburg-Vorpommern bestimmt das Portemonnaie die Nachbarschaft. Wer es sich leisten kann, wohnt in den sanierten Innenstädten, wer jeden Monat gerade so über die Runden kommt oder Sozialleistungen bezieht, lebt oft an den Rändern der Städte: in der günstigeren "Platte". Jede soziale Schicht bleibt unter sich. Die einen mehr, die anderen weniger freiwillig. Ein Phänomen ostdeutscher Städte und somit auch in Mecklenburg-Vorpommern.
Segregation - ein unbekannter Begriff mit vielen bekannten Gesichtern
Die Wissenschaftler sprechen von "Segregation", der "Entmischung" der Menschen in einer Stadt. Traurige Spitzenreiter Deutschlands: Schwerin, Rostock und Neubrandenburg. Den Grund für dieses Phänomen der Absonderung sieht der Sozialwissenschaftler und Hochschullehrer Professor Marcel Helbig von der Universität Erfurt vor allem in den Mieten: "Segregation ist […] die Folge von Angebot und Nachfrage. […] Umso breiter der Mietmarkt am Ende gespreizt ist und umso ungleicher auch die Einkommen in einer Stadt sind, umso eher entsteht Segregation."
Soziales Ungleichgewicht in Schwerin besonders groß
Zusammen mit anderen Wissenschaftlern errechnete Helbig 2019, wie viel Prozent der Hartz-IV-Empfänger in den größten Städten unseres Landes umziehen müssten, damit alle sozialen Schichten gleichmäßig über die Stadt verteilt leben würden. Den sogenannten "Segregationsindex". Das Ergebnis: Rostock und Greifswald lagen bei rund 40, also 40 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfänger müssten in einen wohlhabenderen Stadtteil ziehen, damit das soziale Gleichgewicht beider Städte wiederhergestellt wäre.
Mit einem Index von 45 führt Schwerin die Liste der traurigen Rekordhalter an. Damit liegt die Landeshauptstadt weit über dem bundesweiten Durchschnitt von rund 25. Auf diesem Niveau bewegen sich nur die Hansestädte Wismar und Stralsund. Aber auch hier beobachten die Sozialwissenschaftler den Trend zur "Entmischung".
Die Gründe liegen in der Vergangenheit - und Gegenwart
Vor der Wende lebten Lehrer, Maurer, Reinigungskräfte und Werftarbeiter Tür an Tür. Besonders in den neuen Plattenbausiedlungen am Rande der Städte. Mit dem Fall der Mauer und dem Zerfall der DDR gingen viele Bewohner in den "Westen". Wer blieb, träumte oft vom Eigenheim im Grünen, beziehungsweise in den "Speckgürteln" der Städte oder einer sanierten Altbauwohnung in Citylage.
Stadtteile wie Rostock-Groß Klein oder Mueßer Holz auf dem Schweriner Großen Dreesch kämpften mit Leerstand. Neue Mieter fanden sich in den vielen ALG-II-Empfängern, denn die Jobcenter des Landes orientierten sich an den günstigsten Mieten der Stadt.
Ein Teufelskreis, der nur schwer durchbrochen werden kann
Nicht nur die Mieten seien in der „Platte“ geringer - auch die Bildungschancen, so der Erfurter Sozialwissenschaftler Professor Marcel Helbig. Auf dem Schweriner Großen Dreesch gibt es lediglich zwei Schulen mit Gymnasialteil. Eine davon ist eine Privatschule, die andere eine Integrierte Gesamtschule. In Rostock sind es immerhin drei (von insgesamt elf). Laut Helbig kann sich die Kluft zwischen armen und reichen Wohngebieten nur durch einen vermehrten sozialen Wohnungsbau (zum Beispiel Lückenbebauung in der Innenstadt) und attraktiverem Wohnraum im Plattenbau verringern.
In der neuen Folge des NDR Podcasts Dorf Stadt Kreis sprechen Moderatorin Mirja Freye und der Schweriner Reporter Sebastian Giebel über die Kluft zwischen Arm und Reich, warum gerade in ostdeutschen Städten die Wohlhabenderen immer weniger neben Sozialleistungsempfängern, beziehungsweise Geringverdienern leben und ob diese Entwicklung überhaupt noch zu stoppen ist.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels berichteten wir, dass es auf dem Schweriner Dreesch nur eine Schule mit Gymnasialteil gebe. Wir haben dies auch in der verlinkten Podcastausgabe korrigiert. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.
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