Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin bei Greifswald. © picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Energieexperte zu Nord Stream 1: Gas wird strömen, aber weniger

Stand: 20.07.2022 18:59 Uhr

Am Donnerstag sollen die regulären Wartungsarbeiten bei Nord Stream 1 abgeschlossen sein. Dass danach weniger Gas als zuvor durch die Ostseepipeline strömen könnte als vor der Wartung, hält Energieexperte Lohmann für ausgemacht.

Es gab am Mittwoch erste Anzeichen dafür, dass nach dem planmäßigen Ende der Wartungsarbeiten der Gaspipeline Nord Stream 1am Donnerstag wieder Gas aus Russland fließt. Laut vorläufigen Daten des Netzbetreibers Gascade sind für Donnerstag ab 6 Uhr Gaslieferungen vorgemerkt. Gascade betreibt die beiden Empfangspunkte von Nord Stream 1 im vorpommerschen Lubmin. Diese Vormerkungen - sogenannte Nominierungen - seien Voraussetzung, damit nennenswerte Mengen transportiert werden können, so eine Gascade-Sprecherin. Die Anmeldungen können sich demnach allerdings noch bis kurz vor der tatsächlichen Lieferung ändern.

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Bundesnetzagentur: Liefermenge für Donnerstag reduziert

Laut dem Chef der Bundesnetzagentur hat das russische Gasunternehmen Gazprom die für Donnerstag angekündigte Gas-Liefermenge über die Pipeline Nord Stream 1 reduziert. Den Ankündigungen zufolge würden nun etwa 530 Gigawattstunden am Donnerstag geliefert, twitterte Klaus Müller am Mittwochabend. Ihm zufolge wäre das eine etwa 30-prozentige Auslastung. Weitere Änderungen seien möglich. Vor der planmäßig am Donnerstag endenden Wartung der Pipeline war diese zu etwa 40 Prozent ausgelastet.

Gasfluss am Dienstag aufgrund technischen Druckausgleichs

Schon am Dienstag war zwischen 14 und 17 Uhr eine Gasmenge von mehr als 50.000 Kilowattstunden geströmt. Das habe mit dem notwendigen technischen Druckausgleich zu tun gehabt, hieß es von Nord Stream 1. Russlands Staatschef Putin hat angekündigt, dass nach der Wartung auch wieder Gas nach Deutschland fließen soll. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge will Gazprom nach dem Ende der Wartungsarbeiten wieder Gas liefern, aber wie vor der Abschaltung ebenfalls in gedrosselter Menge. Ob das politische Gründe hat oder an der noch immer fehlenden Turbine liegt, ist nicht bekannt.

Gazprom hatte mit Aussagen für Verunsicherung gesorgt

Der russische Konzern Gazprom hatte den Weiterbetrieb der Pipeline Nord Stream 1 vor dem Hintergrund der Reparatur infrage gestellt. Am 11. Juli hatten reguläre Wartungsarbeiten an der Nord-Stream-Pipeline begonnen. Durch den Stopp des Gasflusses durch die Ostsee-Pipeline war die Einspeicherung von Gas in Deutschland fast zum Erliegen gekommen.

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Energieexperte geht von reduzierten Gaslieferungen aus

Heiko Lohmann, Energieexperte beim Fachmagazin Energate, wertet den kurzzeitigen Gasfluss am gestrigen Mittwoch als normalen technischen Vorgang, etwa um Instrumente oder Leitungen zu prüfen. Das habe jedoch "überhaupt keine kommerziellen Hintergründe" und sei "kein Indiz dafür, was morgen passiert", so Lohmann. Er geht davon aus, dass am morgigen Donnerstag wieder Gas durch Nord Stream 1 fließt, gibt aber zu bedenken, dass von russischer Seite bereits angekündigt wurde, dass "deutlich weniger Gas fließen soll, als vor der Wartung". Seine persönliche Einschätzung: "Wenn er das ankündigt, dann wird das auch passieren". Unklar sei Lohmanns Ansicht nach, was danach passiere.

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Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) sind vor Sonnenaufgang zu sehen. © dpa Foto: Jens Büttner

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Lohmann: Begründung der russischen Gasdrosselungen "geschickte Strategie"

Der Pipelinebetreiber Gazprom hatte die Gaslieferungen bereits Mitte Juni auf 40 Prozent der technischen Kapazität gedrosselt. Die Drosselung begründete Gazprom damit, dass eine der Turbinen zur Wartung auf dem Weg nach Kanada sei und eine zweite ebenfalls nicht zur Verfügung stünde. Die Turbine ist mittlerweile auf dem Weg zurück nach Russland, bisher aber nicht eingebaut. Lohmanns schätzt, dass die Gaslieferung jetzt weiter reduziert werde, "müsste ja den Ausfall einer weiteren Turbine bedeuten." Technisch sei das weder geklärt, noch unabhängig zu überprüfen, so Lohmann.

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Kommunikatorisch sei es allerdings "eine sehr geschickte Strategie", um "für Verunsicherung zu sorgen. Formal sagt man: Wir wollen durchaus liefern, aber wir können einfach nicht. Man hält damit die Unsicherheit hier sehr hoch, behält sich weiter alle Schritte vor." Damit sei nach Ansicht Lohmanns weiterhin schwer einzuschätzen, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird. "Denn das ist eine Kommunikation, die die russische Seite bestimmt und die für uns keiner Überprüfung zugänglich ist. Das macht die Sache so schwierig."

Nord Stream 2 zu nutzen "völlig undenkbar"

Ein Vorschlag, der während der Debatte um die Wartungsarbeiten bei Nord Stream 1 immer wieder im Raum steht, ist, stattdessen die betriebsbereite Ostseepipeline Nord Stream 2 zu nutzen, um den Gasengpass zu lösen. Eine Idee, die Lohmann persönlich aber auch "aus politischer Sicht für völlig undenkbar" hält, auch nicht, "um Engpässe zu vermeiden." Nord Stream 2 in der jetzigen Situation in Betrieb zu nehmen, verstoße aus Lohmann Sicht "gegen jedes politische Selbstverständnis". Ähnlich sieht es die Landesregierung. Diese Frage stelle sich nicht, äußerte sich Regierungssprecher Andreas Timm am Mittwoch in Schwerin. "Die Bundesregierung hat Ende Februar die Zertifizierung und damit die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gestoppt. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern hat diese Entscheidung unterstützt", so Timm.

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NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 20.07.2022 | 12:30 Uhr

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