Nord Stream 1: Gasleitung wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet
Seit 6 Uhr am Montagmorgen fließt kein Gas mehr aus Russland über die Ostseepipeline Nord Stream nach Deutschland. Grund für den Lieferstopp sind Wartungsarbeiten. Es gibt Befürchtungen, dass auch danach kein Gas mehr kommen könnte.
Das Gas landet normalerweise in Lubmin bei Greifswald an und wird dann über drei Leitungen auf dem Landweg in Europa weiterverteilt. Bei den jetzigen Arbeiten handelt es sich um Wartungen, die jedes Jahr im Sommer turnusgemäß durchgeführt werden, wenn die Heizungen in der Regel ausgeschaltet bleiben. Es werden Sicherheitssysteme, Software und Ventile überprüft, auch Software-Updates werden gemacht.
Gespannter Blick nach Lubmin
Nach zehn Jahren in Betrieb müssen aber auch Turbinen gewartet werden und deshalb schauen Energieversorger momentan ganz gespannt nach Lubmin, ob denn in zehn Tagen - so lange sollen die seit langer Zeit angekündigten Wartungsarbeiten ungefähr dauern - wieder Gas aus Russland kommt. Die Turbinen müssen aus technischen Gründen bei einer Firma im kanadischen Montréal gewartet werden. Es gibt insgesamt fünf davon in der Kompressorstation Portovaya. Sie erhöhen den Druck in der Leitung.
Wirbel um Turbinen-Lieferung an Russland trotz Embargos
Vor einigen Wochen ist eine der Turbinen schon ausgebaut und nach Kanada geschickt worden. Zuerst hieß es, die Turbine könne wegen eines Embargos nicht nach Russland zurückgeschickt werden, aber inzwischen wurde eine Lösung gefunden, was von der Ukraine kritisiert wird. Man sei "zutiefst enttäuscht" über die Entscheidung der kanadischen Regierung, in diesem Fall eine Ausnahme von den gegen Russland verhängten Sanktionen zu machen, hieß es in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung von Außen- und Energieministerium in Kiew. Die Turbine soll über Deutschland weiter nach Russland geliefert werden. Der Hersteller Siemens teilte mit, dass man mit Hochdruck daran arbeite, um etwa die Logistik per Flugzeug zu organisieren. Russland hatte deutlich gemacht, dass es die zuletzt gedrosselte Gasmenge wieder erhöhen wolle und das an der Turbinenproblematik festgemacht.
Wartung der Turbinen politisch motiviert?
Nach Angaben der Bundesnetzagentur kann die Drosselung wegen der Technik aber nicht begründet werden. Vielfach heißt es, dass die Wartung politisch motiviert sei. Deshalb gibt es Befürchtungen, dass auch nach Abschluss der Wartungsarbeiten in zehn bis 14 Tagen kein Gas geliefert wird. Auch für diesen Fall laufen Vorbereitungen. Kommt nicht genügend Gas in Deutschland an, dann tritt der Notfallplan des Bundes in Kraft, dieser sieht gegebenenfalls auch vor, dass der Staat entscheidet, wer Gas bekommt und wer nicht.
Bundesnetzagentur: "Ehrlich gesagt, es weiß keiner"
Dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, zufolge gibt es unterschiedliche Signale aus Moskau zu künftigen Gaslieferungen durch die Pipeline. Auf der einen Seite gebe es Aussagen von Kreml-Sprechern, man könne in Kombination mit der zugesagten Lieferung der Turbine wieder wesentlich mehr Gas liefern, sagte Müller am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Auf der anderen Seite habe es auch sehr martialische Ansagen gegeben. "Ehrlich gesagt, es weiß keiner", sagte Müller. Im schlimmsten Fall, wenn Russland die Gas-Lieferungen durch Nord Stream 1 auch nach der Wartung der Leitung stoppe, gebe es mehrere Szenarien, in denen Deutschland in eine Gas-Notlage rutsche.
Touristiker: "Werden das zweite Mal Sonder-Opfer"
In Vorpommern treibt die sich abzeichnende Gaskrise bereits Teilen der Wirtschaft Sorgenfalten auf die Stirn - vor allem der Tourismusbranche. "Die ganze Branche macht sich Gedanken, wir haben Alarmstufe Rot", sagte Krister Hennige vom Gaststättenverband Dehoga MV bei NDR MV Live. "Nicht nur, weil das Energiesicherungsgesetz das sagt, sondern auch, weil wir selber schon jetzt spüren können, dass wir das zweite Mal wieder Sonder-Opfer werden." Hennige sprach von einem "Dolchstoß". "Das kann auch das Ende bedeuten für ganz Vieles."
Flüssiggas als Alternative?
Grundsätzlich will Deutschland unabhängig vom russischen Erdgas werden und arbeitet deshalb an Alternativen. Eine könnte in Lubmin umgesetzt werden: Dort könnte zum 1. Dezember das erste Flüssiggas per Schiff angelandet und dann umgewandelt und ins deutsche Verteilernetz eingespeist werden. Daran arbeitet das mitteldeutsche Unternehmen Deutsche ReGas mit Hochdruck. Zuletzt hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) optimistisch gezeigt, dass das Projekt zum Jahreswechsel in Betrieb gehen könnte.
Tankschiff vor Lubmin löst Tiefgang-Problem
"Das funktioniert so, dass wir eine Regasifizierungseinheit, also ein Schiff, das aus flüssigem Erdgas wieder gasförmiges Erdgas macht und im Industriehafen von Lubmin anlegt", sagte Stephan Knabe von der Deutsche ReGas bei NDR MV Live. Draußen auf der Ostsee soll demnach ein Tankschiff liegen. Dort könnten große LNG-Tanker anlegen. So werde das Tiefgang-Problem gelöst, erklärte Knabe. Kleine LNG-Tankschiffe würden dann das Gas nach Lubmin bringen, wo es umgewandelt wird. "Die technischen Rahmenbedingungen sind sehr gut, finanziert ist das Ganze auch", sagte Knabe.
Vorpommerscher "Spirit" als Trumpf
Das Gesamtbudget des Projekts bezifferte er mit rund 100 Millionen Euro. Knabe zeigte sich optimistisch, dass die Pläne rechtzeitig umgestezt werden können. "Wir arbeiten mit einem 30-köpfigen Team an vielen Handlungssträngen." Dazu zählten die Planung, Veränderungen am Hafen, zudem müsse das Schiff dort eingebracht werden und eine Anschlusspipeline gebaut werden. Es liefen derzeit "sehr, sehr viele parallele Prozesse". Knabe lobte insbesondere die gute Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort. "Der Spirit der Leute in Vorpommern ermöglicht das Projekt."
