Bundeswehr in Litauen: "Der Krieg ist wieder im Herzen Europas zurück"
Die Panzergrenadierbrigade 41 "Vorpommern" schützt derzeit die Nordostflanke der NATO in Litauen. Ihr Auftrag hat durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine schlagartig an Brisanz gewonnen. Interview mit dem Kommandeur der Battlegroup, Oberstleutnant Daniel Andrä.
Herr Oberstleutnant, Sie sind seit Januar hier, und am 24. Februar hat der Konflikt heiß begonnen in der Ukraine. Wie hat sich seitdem ihre Lage hier in Litauen bei dieser Übung verändert?
Oberstleutnant Andrä: "Ja, wir haben ja hier am 9. Februar genau genommen die Verantwortung übernommen. Und zu diesem Zeitpunkt waren die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine schon weit fortgeschritten. Und richtig. Am 24. Februar hat Russland dann den Angriff auf die Ukraine gestartet. Und natürlich hat das Auswirkungen auf unsere Rotation und hat das auch Auswirkungen auf die Männer und Frauen. Am 24. Februar haben wir direkt abends dann auch alle Männer und Frauen informiert, um Sie auch in ins Lagebild zu setzen, was tatsächlich gerade in der Ukraine vonstatten geht. Und am Anfang, kann ich sagen, keiner wusste, wie schnell geht es. Und vor allem keiner wusste, was kommt als Nächstes. Hier in Litauen ist die Bedrohungswahrnehmung noch eine deutlich andere als das zum Beispiel bei uns in Deutschland der Fall ist. Die Litauer sagen immer: Stoppen wir Russland in der Ukraine nicht, dann sind wir die nächsten.
So haben wir hier an unserem Auftrag grundsätzlich nichts geändert. Unser Auftrag ist weiterhin, einen robusten Beitrag für eine glaubwürdige Abschreckung zu liefern und zum zweiten natürlich bereit zu stehen, Litauen oder das Baltikum zu verteidigen, wenn das notwendig wird. Was hatte das für Auswirkungen konkret jetzt für uns? Erhöhte Ausbildungs- und Übungstätigkeit für uns. Wir zeigen hier jeden Tag, dass wir im Land verfügbar sind, dass wir bereit sind, dass wir auch einsatzbereit sind und tun das in einer Vielzahl von Ausbildungen und Übungen und tun dies jetzt gerade aktuell auch hier auf dem Truppenübungsplatz bei Pabrade im scharfen Schuss."
In der Politik heißt es, diese eFP-Battlegroup mit rund 1.600 Mann sei eine Art Stolperdraht für einen möglichen Aggressor auf dem Weg ins NATO-Gebiet. Jetzt wird darüber nachgedacht, hier einen Truppenaufwuchs herzustellen. Was könnte das bedeuten - eine Veränderung von der Bataillons- auf die Brigadestärke?
Oberstleutnant Andrä: "Erstmal kann ich nur darüber sprechen, was ich hier aktuell habe. Es ist richtig. Ich habe hier circa 1.600 Männer und Frauen mit einer Vielzahl an Fähigkeiten. Das Spektrum geht vom Schützenpanzer über den Kampfpanzer bis hin zur Artillerie, Flugabwehr. Und natürlich, mit Blick auf die Entwicklung in der Ukraine, haben die Balken zurecht den Ansatz, dass die Kräfte hier erhöht werden sollten. Aber das ist eine Entscheidung, die zum Schluss auf der politischen Ebene getroffen werden muss - beim Nato-Gipfel vor allem auch Ende des Monats. Wir sind hier auf alles vorbereitet. In Deutschland werden Planungen angestellt, sollten die entsprechenden Entschlüsse getroffen werden, dass wir auch bereit stehen. Und der Kanzler hat das ja auch letzte Woche hier bei seinem Besuch öffentlichkeitswirksam geäußert - dass Deutschland bereit ist, auch mehr Verantwortung zu übernehmen."
Sie haben gerade im Blick nach Deutschland gerichtet. Dort ist gerade ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr verabschiedet worden. Da geht es um Ausrüstung für die Bundeswehr, diese wieder zu ertüchtigen. Fragen wir mal nach der Ausrüstung bei Ihnen hier bei der Battlegroup. Wie sind sie aufgestellt, was das Material angeht?
Oberstleutnant Andrä: "Ich kann sagen, die Battlegroup selbst ist mit allem ausgerüstet und ausgestattet, was wir brauchen. Die wenigen Dinge, die wir vielleicht am Anfang noch nicht zu 100 Prozent hier hatten, haben wir sehr, sehr schnell bekommen. Ich habe ja bereits angesprochen die Fähigkeiten sind mittlerweile permanent vor Ort. Zusätzliche Artillerie-Fähigkeiten, Aufklärungs-Fähigkeiten, ABC-Abwehrfähigkeiten - alles Kräfte, die vorher immer nur temporär hier im Land gewesen sind, sodass die Battlegroup eben jetzt auch permanent um über 400 bis 500 Männer und Frauen aufgewachsen ist. Genauso haben wir eine umfangreiche Anzahl an Munition hier verfügbar. Alles, was man braucht, um das Gefecht hier klassisch im Kampf der verbundenen Waffen zu führen."
Nun ist es eine multinationale Brigade, und ich glaube, sie waren es sogar, der das schonmal angesprochen hat die Kommunikation ist da mitunter etwas schwierig. Wir waren gestern auf einem ihrer Marder-Führungs-Truppentransportpanzer mit analogem Funk, während die Norweger, Holländer und wer noch alles hier ist. Digitalfunk haben. Das ist so ein Problem der Ausrüstung oder?
Oberstleutnant Andrä: "Ja, das ist auch kein Geheimnis. Ich meine, Sie können das Nachlesen in einem Bericht der Wehrbeauftragten, die aus ihrer eigenen Erfahrung hier in Litauen im Prinzip berichtet. Genauso hat mein Inspekteur vor drei Wochen sehr deutlich gemacht, dass er drei Prioritäten hat für die Zukunft: Führungsfähigkeit, Führungsfähigkeit, Führungsfähigkeit. Das heißt, natürlich sind wir hier den anderen einen Schritt zurück und haben hier eine Menge nachzuholen. Und nicht umsonst wird auch ein großes Stück des 100-Milliarden-Euro-Paketes dafür vorgesehen, die Führungsfähigkeit und auch die digitale Führungsfähigkeit entsprechend zu verbessern, um hier State oft he Art zu werden."
Wir haben bei unserem Besuch jetzt hier schon mit vielen Soldaten diverser Dienstgrade sprechen können - vom Mannschaftsdienstgrad bis zum Offizier. Und etliche haben uns gesagt, sie hätten das Gefühl, selten sei die Welt dichter an einem potenziellen dritten Weltkrieg. Sie als Kommandeur, der noch mal ein ganz anderes Lagebild und eine andere Einschätzung hat - wie schätzen Sie das ein?
Oberstleutnant Andrä: "Erstmal ist es natürlich so, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine eine Art Game-Changer war. Nicht umsonst haben wir jetzt 100 Milliarden. Das ist ja ein Ausdruck dessen. Der Krieg ist wieder im Herzen Europas zurück, und wir sind hier noch ein bisschen dichter dran am Geschehen, als man das in anderen westeuropäischen Ländern ist. Die ukrainische Grenze ist hier 450 Kilometer entfernt. Wir haben mit Litauen eine Grenze zu Kaliningrad, also spricht zu Russland und zu Belarus.
Und insbesondere dort beobachten wir sehr genau, was passiert. Wir haben da gute Aufklärungsergebnisse. Und ich kann selber erst einmal für uns sagen, dass es derzeit keine Indikatoren eines Angriffs auf Litauen, das Baltikum oder auf NATO-Gebiet gibt. Aber wie immer: Be prepared, sei vorbereitet. Wir haben entsprechende Pläne auch für die Verteidigung Litauens und des Baltikums verfügbar. Ich bin überzeugt, dass es, wenn es irgendwann dazu käme, wir auch bestehen können."
Es ist ein multinationaler Verband und wir reden davon, dass seit dem 24. Februar die NATO deutlich enger zusammengerückt ist. Spüren Sie das hier in der Zusammenarbeit mit den anderen Nationen?
Oberstleutnant Andrä: "Wir standen vorher schon sehr eng zusammen. Da hat sich ja auch nichts daran geändert. Klar sind wir alle noch fokussierter, noch aufmerksamer und geben noch mehr, als wir eh schon gegeben haben. Wo wir es aktuell am deutlichsten spüren, ist erhöhte Übungstätigkeit auch der NATO auch außerhalb der Battlegroup hier im Baltikum. Stichwort „Swift Response“ - eine Übung, die hier vor einem knappen Monat stattgefunden hat, gemeinsam dann mit unserer Übung „Iron Wolf“ verknüpft wurde. Wir haben eine Vielzahl anderer Fähigkeiten der NATO hier im Land und im Baltikum, vor allem auch Luftfahrzeuge. Daran können wir es sehr deutlich festmachen. Wir haben jede Woche die Möglichkeit hier mit A10-Flugzeugen mit F18-Kampfflugzeugen zu üben. Das ist zum Schluss für die Männer und Frauen hier natürlich ein deutlicher Vorteil. Und wenn man das so sagen darf: ein Benefit aus der gesamten Situation."
Das Interview führte Christoph Kümmritz