Anklams neues Gesicht: Eine Stadt erfindet sich neu
Einst war die Stadt vor allem als Nazi-Hochburg bekannt. Heute flanieren Urlauber durch die Kleinstadt und es gibt wieder Zuzug. Statt Frust und Perspektivlosigkeit versprüht die Stadt seit Jahren Aufbruchstimmung.
Anklams Peeneufer hat schon bessere Zeiten erlebt. Auf der Freifläche am Bollwerk, wo einst das Rathaus der Stadt gestanden hatte, parken Autos. Spaziergänger gehen mit ihren Hunden Gassi und auf dem Gelände des nahe gelegenen Schrotthandels werden unüberhörbar Waggons entladen. Nur der Blick über die Peene lädt zum Verweilen ein. In wenigen Jahren wird sich hier einiges verändert haben. Ein Investor aus Dachau in Bayern, dem die Grundstückspreise an der Ostseeküste viel zu teuer geworden sind, will das Areal bebauen. Der Parkplatz mit den inzwischen abgeholzten Bäumen und Sträuchern wird zum Hansequartier. Die Fläche dafür hat die Stadt bereits an ihn verkauft. Im Herbst könnte Baustart für den Neubau sein, sagt Anklams Bürgermeister, Michael Galander. Der markante Bau mit zwei Türmen erinnert etwas an das im letzten Weltkrieg zerstörte Rathaus und auch an die maritime Architektur in den Ostseebädern auf Usedom. Nach den Vorstellungen der Planer sollen im Untergeschoss Geschäfte und Restaurants einziehen. Die Etagen darüber werden vermietet und als Eigentumswohnung verkauft. Geht das Konzept auf, hat der Investor Pläne für einen weiteren Bau in unmittelbarer Nähe.
Zurück zu den architektonischen Wurzeln
Gewandelt haben sich bereits der Marktplatz und die Steinstraße. Noch vor gut 15 Jahren standen dort Plattenbauten aus den 1970er Jahren, es gab kaum Geschäfte. Außerdem standen bis zu 50 Prozent der Neubau-Wohnungen leer - ein trostloses Bild. Die Anklamerin Christine Vandree erzählt, sie sei damals von Urlaubern gefragt worden, wo denn das Zentrum der Stadt sei. Inzwischen sind die Plattenbauten verschwunden und neue Häuser gebaut. Mit Absicht erinnern sie an das Stadtbild der Vorkriegszeit: Giebelhäuser, mal verklinkert, mal verputzt. Einige haben Erker, andere Balkone, eines hat ein Türmchen. Die Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft sind begehrt. In der Innenstadt betrage der Leerstand nicht einmal ein Prozent, erzählt der Bürgermeister.
Der Marktplatz: heute wieder beliebtes Zentrum
Die neue Stadtmitte lockt auch mehr und mehr Besucher nach Anklam. Sie spüre die Belebung der Innenstadt, erklärt Antje Dünow, die an der Westseite des Marktes ihr Modegeschäft hat. Früher seien Usedom-Urlauber an Anklam vorbeigefahren. Heute kommen sie in die Stadt, besuchen auch ihr Geschäft, genauso wie die Anklamer, die früher ihren Einkauf in Neubrandenburg oder Friedland gemacht haben. Heute sagt sie wieder gern, aus welcher Stadt sie kommt, so die Unternehmerin. Nicht so wie damals vor 20 Jahren als "hier nix war".
Die Stadt der fünf A´s und der Neonazis
Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Kleinstadt bekannt für Armut, Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Alter = Anklam. Fünf A´s. Die Stimmung der Menschen war tief im Keller, für viele gab es keine Perspektive. Wie an anderen Orten auch wurde Anklam ein Exodus bis 2030 prognostiziert: von 14.000 Einwohnern im Jahr 1990 auf 8.000. Rechtsextremisten schafften es, die Stadt deutschlandweit in die Schlagzeilen zu bringen. Anklam hat dadurch den Ruf bekommen, eine Nazihochburg zu sein. Rechtsextremismus gibt es noch immer in der Stadt, so hat hier der Landesverband der NPD seinen Hauptsitz. Wohl auch dieses Image hat die Stadt lange Zeit Investoren gekostet und damit dringend benötigte Arbeitsplätze. Seit knapp 20 Jahren ist Michael Galander Bürgermeister der heute rund 12.500 Einwohner zählenden Stadt. Anfang der 1990er Jahre kam der Niedersachse nach Vorpommern. Sein Eindruck von Anklam damals: "Schwierig", sagt der 52-Jährige. Für die Stadt habe es nur zwei Alternativen gegeben, "entweder ganz aufgeben und auf irgendein Wunder warten oder selbst Gedanken machen, wo die Chancen liegen."
Anklam - Ein Zentrum der Bioökonomie
Auch wirtschaftlich musste es aufwärts gehen. Nach und nach haben sich in Anklam Unternehmen angesiedelt, wie etwa Anklam Extrakt und der Reifenhersteller Continental, der an Löwenzahn forscht, um aus dem Kautschuk nachhaltige Autoreifen herzustellen. Zudem baut derzeit ein norwegisches Unternehmen eine Produktionshalle für veganen Joghurt. Die Stadt entwickelt sich zu einem Zentrum der Bioökonomie. Im ehemaligen Schlachthof tüfteln etliche Start-ups an der Nutzung biologischer Ressourcen. Anklam setzt auch auf erneuerbare Energien. Möglicherweise entsteht in einigen Monaten im Stadtgebiet einer der größten Photovoltaik-Parks in Deutschland. Derzeit läuft dafür der sogenannte Aufstellungsbeschluss. Die Unternehmen, die nach Anklam kommen, schaffen Arbeitsplätze, obendrein noch gut bezahlte. Und sie ziehen Fachkräfte aus anderen Regionen Deutschlands oder dem Ausland an die Peene. Darauf sei der Stadtumbau ausgerichtet, erklärt Galander. Den Menschen müssen, neben einem guten Job, auch modernes Wohnen und gute Freizeitmöglichkeiten geboten werden.
Anklams Dreiklang
Schon in der alten Schwimmhalle haben Wasserwacht und DLRG trainiert, Senioren ihre Bahnen gezogen und Kinder das Schwimmen gelernt. Seit vergangenem Dezember ist das "Hansebad" in Betrieb, ein rund elf Millionen Euro teurer Neubau, ein "Luxus", den Städte wie Wolgast und Grimmen nicht haben. Um das "Hansebad" haben die Anklamer hartnäckig gekämpft und das Land von dem Projekt überzeugen müssen. Die Rechnung ist aufgegangen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern zahlte rund 90 Prozent der Baukosten. In die Zukunft investiert die Stadt derzeit auch mit seinem Schulcampus. Für mehr als 25 Millionen Euro werden Regional- und Grundschule umgebaut. Beide Projekte sind Teil des sogenannten Anklamer Dreiklangs, zu dem das künftige Ikareum gehört.
Ikareum - Ein würdiges Museum für Flugpionier Otto Lilienthal

Das Lilienthal-Museum soll in die Nikolaikirche einziehen. Bis zur Zerstörung 1945 war der Backsteinbau das Wahrzeichen der Stadt Anklam. Mehr als einhundert Meter ragte der Turm der Nikolaikirche in die Höhe. Die einstige Ruine hat wieder ein Dach, derzeit bekommt die Kirche einen neuen Fußboden. Und gerade bekommt das künftige Museum einen Anbau - dreistöckig, mit Platz für Multimediavorstellungen. Fördergeld für die Emporen, auf denen die Ausstellung zu sehen sein wird, ist bereits genehmigt, ebenso für den gläsernen Fahrstuhl. Sorgen macht dem Bürgermeister jedoch noch die Finanzierung des 103 Meter hohen Turms. Knapp 15 Millionen Euro fehlten dafür noch, sagt Galander. Somit wird sich die einst für 2024 geplante Eröffnung des Lilienthal-Flight-Museum, so der offizielle Name, wohl um zwei Jahre verschieben. Mit dem neuen Museum direkt am Marktplatz von Anklam hofft die Stadt auf mehr Besucher, die Geld in der Stadt lassen. Projekte und Ideen gibt es genug.
Auch mit ihrer Lage am "Amazonas des Nordens", der Peene, will die Stadt künftig werben. Die ehemalige Perspektivlosigkeit ist längst von einer Aufbruchstimmung verdrängt worden. Welche Ideen und Projekte in der Kleinstadt noch geplant sind und was es braucht, um sich vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan zu entwickeln, das hören Sie im neuen Podcast Dorf Stadt Kreis mit starken Geschichten aus dem Norden.
