Salut Sempé: Norddeutsche Reaktionen auf den Tod des Zeichners
Der Jahrhundert-Zeichner Jean-Jacques Sempé ist kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben. Norddeutsche Illustratorinnen und Kunst-Expertinnen sind überzeugt: Er war in Deutschland genauso beliebt wie in Frankreich.
Vor vier Monaten fasst Maren Amini sich ein Herz und schreibt ihrem Idol einen Brief. Darin die Zeilen: "Sie können es sicherlich kaum noch hören, aber ich will und muss Ihnen schreiben, wie unglaublich glücklich Sie mich all die Jahre gemacht haben. Und wie ein unsichtbarer Kollege waren Sie stets an meiner Seite."
Maren Amini: "Seine Bilder berühren jeden Menschen"
Die Hamburger Illustratorin hätte sich gerne den Wunsch erfüllt, Jean-Jacque Sempé einmal persönlich kennenlernen. Also den Menschen zu treffen, der ihr all die Jahre ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat. "Wie glücklich ein Sonnenstrahl machen kann, der durch die Häuserschluchten scheint" erzählt die Künstlerin. "Das berührt und erwärmt einen. Ich glaube, seine Bilder berühren jeden Menschen."
Der Betrachtende wird durch Sempé zum Menschenfreund wird, sagt Amini: "Man erkennt sofort Situationen wieder und denkt: Ach, das ist ja wirklich schön in der Welt. Diese kleinen Momente, wie wenn zum Beispiel ein Vater seine Tochter am Bahnhof an der Hand hält, hat er alle zu Papier gemacht - und das ist das Besondere."
"So viele Menschen erreicht wie kaum ein anderer Cartoonist"
In Hannover sieht Amini die Illustrationen im Original vor sich, im Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst. Sie findet sie viel größer als angenommen - sowohl in der tatsächlichen als auch künstlerischen Größe. Und weiß: An Jean-Jacques Sempé heranzukommen, das schafft keiner. Aber sie will es zumindest ein wenig schaffen.
Direktorin des Museums in Hannover ist Dr. Gisela Vetter-Liebenow. Ihr Amt hat sie mit einer Sempé-Ausstellung begonnen. Seit 35 Jahren arbeitet Vetter-Liebenow im Museum, steht kurz vor der Rente und urteilt: Sempé ist einmalig und wird es bleiben. "Ich glaube, Sempé gehört zu den Zeichnern, die so viele Menschen erreicht haben wie kaum ein anderer Karikaturist oder Cartoonist", so die Museumschefin. "Er hat eine tiefe Menschlichkeit und Empathie in seinen Zeichnungen vermittelt und damit ganz vielen etwas gegeben, was man kaum in Worte fassen kann: einfach ein Gefühl von Glückseligkeit, wenn man seine Zeichnungen anschaut." Die Ausstellung wird ein voller Erfolg. Heute noch sind Werke von Sempé vor Ort.
Otto Waalkes verabschiedet sich mit Ottifanten
Der im Emden geborene Komiker Otto Waalkes verabschiedete sich via Twitter von Sempé mit einer charakteristischen Ottifanten-Zeichnung.
"Jean-Jacques Sempé berührt Themen, die universell sind"
Sempés Humor komme in Deutschland genau so gut an wie in Frankreich, findet Ariane Camus. Die Hamburger Künstlerin ist - genau wie Sempé auch - in Bordeaux geboren. Soeben kommt sie nach eineinhalb Monaten aus Frankreich zurück. "Ich glaube, sein Humor ist in Deutschland nicht weniger beliebt als in Frankreich", so Camus. "Er berührt Themen, die einfach universell sind."
Jedes Mal, wenn sich die 39-jährige Illustratorin an ein neues Kinderbuch wagt, blättert sie Werke von Sempé durch, um ein Gefühl für die Wirklichkeit zu bekommen. Dabei sei seine Wirklichkeit fast realer als die Realität selbst: "Ich erlebe immer wieder Situationen auf der Straße, wo ich denke: Das hat Sempé gezeichnet - obwohl es die Wirklichkeit ist. Es ist etwas Besonders an ihm. Man weiß nicht, was vorher da war: Sempé oder die Wirklichkeit."
Auf die Frage, ob Sempé noch in 100 Jahren bekannt sein wird, braucht Camus höchstens eine Millisekunde Zeit zum Antworten: "Ja, auf jeden Fall." So sieht es auch Gisela Vetter-Liebenow vom Wilhelm-Busch-Museum in Hannover.
Im Scheitern die Momente des Glück festgehalten
Sie spricht von Sempés tiefer Melancholie, die sich in der Freude der Alltäglichkeit ausdrückt, und hält fest: "Dieses Wissen darum, wie schwer das Leben für uns oft ist, hat er in eine Zeichenwelt umgesetzt, die in dem Scheitern immer die Momente des Glücks festhält. Sie ist wie Balsam für die Seele. Der Zeichner Ralph Statman sagt: 'Wenn ich mir einen Tod vorstelle, dann ist es der, in eine Zeichnung von Sempé zu gehen und nie wieder aufzutauchen'."
Jean-Jacques Sempé hat die Illustratorinnen und Kunst-Expertinnen in Norddeutschland beruflich geprägt und persönlich begleitet, bis heute und darüber hinaus. Längst geben sie Sempés Werke an die nächsten Generationen weiter. Und wissen: Mindestens so wird Sempé uns erhalten bleiben.