Kommentar zur documenta: Wo bleibt die Selbstkritik?
Die documenta kommt nach dem Skandal um das antisemitische Bild "People's Justice" nicht zur Ruhe. Jetzt hat die Generaldirektorin Sabine Schormann ein langes Statement veröffentlicht. Reicht das aus, um die Kunst zu retten?
Viel zu spät meldet sich Sabine Schormann zu Wort. Dass sie sich überhaupt meldet, ist gut. Wie sie sich meldet, ist schlecht. Es ist der Ton, der nicht behagt, der nicht gefällt, der zurückweist und der irgendwie der Sache nicht angemessen ist. Ja, da sind Formulierungen wie, sie bedauere "zutiefst", es sei "ungeheuer schmerzlich". Aber kein Wort der Selbstkritik, eher Schuldzuweisungen in alle anderen möglichen Richtungen.
Antisemitismusvorwürfe gegen die documenta bereits seit Jahresbeginn
Der Reihe nach: Seit Jahresbeginn muss sich die documenta mit Antisemitismusvorwürfen auseinandersetzen. Eine Dauerschleife von Vorwürfen, Briefen, Erklärungen folgte, nie aber die Einsicht der Verantwortlichen der documenta, dass tatsächlich Fehler auf ihrem Konto zu verbuchen sind. Als dann, kurz nach der Eröffnung, ein mehrere Meter großes Banner auf dem Kasseler Friedrichsplatz aufgestellt wurde - bis heute weiß man nicht ganz genau, wann und wie es dort hingekommen ist - war eigentlich schon die rote Linie überschritten. Die gesamte Palette der antisemitischen Symbolsprache wurde aufgefahren: Schweinsnasen, Fratzengesichter, Davidstern, Schläfenlocken, SS-Runenzeichen, alles im wirren Wimmelkontext, bitterböse, hässlich, zutiefst verunglimpfend.
Antisemitismus, trotz aller Warnungen und Versprechen, sollte es auf dieser documenta nicht geben. Das oberste Gebot für eine weltweit renommierte Kunstausstellung in Deutschland nach den Grauen des Nationalsozialismus, nach der Shoah.
Kunstfreiheit als Rechtfertigung
Und dann stand da ein Bild, das nie hätte dort stehen dürfen. Umgehend habe sie gehandelt, schreibt Schormann in ihrer Erklärung. Aber es dauerte, bis das Banner zunächst verhüllt, dann endlich abgebaut wurde. All' das, was bis zu diesem Zeitpunkt passiert war in Kassel, war bis jetzt irgendwie verzeihlich, weil man eine Absicht erkannte, die im Zeichen der Kunst stehen sollte. Jetzt aber geriet die Kunst unter Generalverdacht. Was hatte man übersehen? Wie stand es um Künstler, denen man eine Nähe zum BDS nachgesagt hatte? Wer von ihnen ist in Kassel? Vieles wurde erst einmal abgebucht unter Kunstfreiheit. Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth tat das.
Dem indonesischen Kuratorenkollektiv wurde jetzt zugeschrieben: "Überforderung", "Missverständnis", mangelnde Empathie. Den globalen Süden, was auch immer darunter genau zu verstehen ist, man hatte ihn eingeladen mit ruangrupa, Menschen, die eben anders denken über historische Zusammenhänge. Es war eine bewusste Entscheidung, um die in die Jahre gekommene documenta von Grund auf umzukrempeln und zu renovieren. Und die wohlgesinnte Kunstwelt versuchte krampfhaft, der documenta auch nach diesem Fehlstart eine Chance zu geben. Meron Mendel, Leiter der in Frankfurt und Kassel ansässigen Anne Frank Bildungsstätte, wurde gerufen, um mit Scannerblick zu beraten, zu prüfen, was hier schiefläuft. Frustriert warf er nach zwei Wochen das Handtuch und der documenta vor, die Sache hinauszuzögern, bewusst auf Zeit zu spielen. Kurz drauf zog auch die international bekannte Künstlerin Hito Steyerl ihre Arbeiten aus Kassel zurück. Sie habe kein Vertrauen in die Fähigkeit der documenta-Verantwortlichen, Komplexität zu vermitteln und zu übersetzen. Klare Worte, überdeutliche Zeichen.
Sabine Schormann übernimmt keine Verantwortung
Reden, diskutieren ist nötig, um den Kunstdiskurs in Bewegung zu halten, um Debatten zu befördern, um der Betrachterin, dem Betrachter den Spiegel vorzuhalten. Im Grundkonzept wollte das auch die documenta fifteen mit ruangrupa.
Was Sabine Schormann aber jetzt nach Tagen und Wochen der anhaltenden Kunstkrise in Kassel zu sagen hat, ist ein schwaches Bild. Sie schiebt die Verantwortung ab, reagiert zynisch, beleidigt, kennt genau die Rollenverteilung: Kunstinhalt gehört den Kuratoren; für Finanzen und Organisation ist die Leitung, ist sie zuständig.
Beschädigung der Kunst und der Zukunft der documenta
Wenn Sabine Schormann als Generaldirektorin ihre Aufgaben ernst nimmt, dann muss sie die richtige Tonlage finden, dann helfen keine Schuldzuweisungen, dann muss sie sich stellen. Der Debatte und den Künstlern. Mendel und Steyerl haben sich zurückgezogen. Werden weitere Künstler folgen? Sabine Schormann bedauert die Entwicklungen und man wird den Eindruck nicht los, dass da jemand ganz persönlich versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Die documenta muss sich überlegen, wie sie sich mit starken Argumenten und Debatten aus diesem Desaster befreit. Mit der Weigerung, tatsächlich Verantwortung zu übernehmen, wird das nicht gelingen. Damit beschädigt Schormann die Kunst und alle, die mit der documenta im Zusammenhang stehen. So wird die Weltkunstschau auf Dauer keine Zukunft haben.
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