"Monte Verità": Ein Film, der die Utopie zum Leben erweckt
Auf dem "Monte Verità", dem "Berg der Wahrheit" im Tessin, trafen sich Anfang des 20. Jahrhunderts Künstler*innen und Intellektuelle in einer Kommune, die alternative Lebensweisen und fantastische Ideen hatte. Der Film erweckt das Projekt auf der Leinwand wieder zum Leben.
Wien, im Jahr 1906: Hanna, spröde und anfangs nicht sehr zugänglich gespielt von Maresi Riegner, lebt als Gattin und Mutter ein bürgerliches Leben, das sie als höchst beengte Existenz empfindet. Als ihr Ehemann auch noch gewalttätig wird, verlässt sie die Familie und folgt ihrem Therapeuten, dem Arzt Otto Gross, der ihr vom "fortschrittlichsten Flecken auf Erden" vorschwärmt. Gemeint ist ein Sanatorium auf dem Monte Veritá. Dort wird sie ohne viel Aufhebens empfangen.
Sinnsuchende mit historischem Vorbild
Die Figur der Hanna ist fiktiv, aber sie ist umgeben von Menschen, die es wirklich gab: Zum Beispiel Ida Hoffmann, großartig gespielt von Julia Jentsch, eine Frauenrechtlerin, Pianistin und strenge Mitbegründerin der Kommune. Oder Hermann Hesse, der dort eine Alkoholentzugskur machte, sowie der drogensüchtige Seelendoktor Otto Gross, ein häufiger Besucher des Sanatoriums, der Hanna fachmännisch-fortschrittlich erklärt, dass es dort vermutlich genau so viele Therapien, wie es Patienten gibt. Die meisten von ihnen würden sich wahrscheinlich nicht einmal als Patienten bezeichnen. Es sind eher Sinn-Suchende. Sie möchten eine neue Gesellschaftsform anführen.
Nachhaltiger, naturverbundener Lebensstil
Der gesellschaftliche Gegenentwurf beinhaltete: fleischlose Ernährung, gleiche Rechte für Frauen, Freikörperkultur, Naturheilkunde und frühe Formen des Ausdruckstanzes - gern auch nackt und entrückt ums nächtliche Feuer. In gewisser Weise nahmen die Hügelbewohner vieles von dem vorweg, was heute als nachhaltiger, naturverbundener Lebensstil gilt. Hanna findet Idas Ideale anfangs nicht besonders verlockend.
Jeder dort soll seinen Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Egal, ob man in der Küche hilft oder im Garten. Und wer länger bleibt, bezahlt für seine Unterkunft nur so viel wie er es für angemessen hält und gibt damit seiner Leistung einen Wert. Hanna denkt, dass sie einen Fehler gemacht hat und möchte gleich wieder abreisen.
Aber Hanna ändert ihre Meinung und als Zuschauende begleiten wir sie auf ihrem Weg der Befreiung. Sie entdeckt ihre Liebe und ihr Talent für die Fotografie und beginnt ein selbstbestimmtes Leben.
Sinnlich-sonnendurchflutete Bilder erwecken Utopie zum Leben
Der Schweizer Regisseur Stefan Jäger wollte keinen "Wikipedia-Film über den Monte Veritá machen". Mit der erdachten Figur Hanna wollte er die Utopie leben lassen. Und das ist ihm in oft sinnlich-sonnendurchfluteten Bildern gelungen.
Die Realität sah anders aus: Obwohl der "Monte Veritá" sich bei zivilisationsmüden Künstlern und Anarchisten großer Beliebtheit erfreute, erwuchs aus den Idealen keine funktionierende Kolonie. 1920 verschwanden die letzten Bewohnerinnen und Bewohner.
Der Film setzt der Utopie ein schönes, klassisch inszeniertes und zum Nachdenken anregendes Denkmal. Hermann Hesse verarbeitete seinen Aufenthalt rückblickend ironisch-satirisch in der Erzählung "Doktor Knölges Ende".
Monte Verità - Der Rausch der Freiheit
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2021
- Produktionsland:
- Schweiz, Deutschland, Österreich
- Regie:
- Stefan Jäger
- Länge:
- 116 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 16. Dezember
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