Hidetoshi Nishijima als Yusuke Kafuku in einer Szene des Films Drive My Car. © Kinofreund | Rapid Eye Movies

"Drive my Car": Oscarprämiertes japanisches Drama

Stand: 23.03.2022 19:42 Uhr

Ryūsuke Hamaguchi hat 2021 die Kurzgeschichte "Drive my Car" des Bestsellerautors Haruki Murakami verfilmt. Das Drama wurde bei der Oscarverleihung zum besten internationalen Film gekürt. Insgesamt war der Film in vier Kategorien nominiert.

von Katja Nicodemus

Glaubt man den Bestenlisten der internationalen Filmkritik, dann ist der Film "Drive my Car" des japanischen Regisseurs Ryūsuke Hamaguchi der Film des Jahres. Auch der kinoliebende amerikanische Ex-Präsident Barack Obama nannte "Drive my Car" vor wenigen Tagen an erster Stelle seiner "Favorite movies of the Year".

"Drive my Car" verfilmt die gleichnamige Kurzgeschichte Haruki Murakamis

Der Film "Drive my Car", basierend auf einer gleichnamigen Murakami-Erzählung führt uns in die Welt eines Paares ein. Der Theaterregisseur Yusuke und seine Frau, die Drehbuchautorin Oto, leben in Tokyo in einem modernen Hochhaus aus Glas und Stahl. Immer wieder zeigt die Kamera die beiden beim Sex und hält eine poetische Eigenheit fest. Nach dem Orgasmus beginnt Oto Geschichten zu fabulieren, die sie später in ihre Drehbücher einbauen wird.

Eines Tages kehrt Yusuke überraschend in die gemeinsame Wohnung zurück, nachdem sein Flug ausgefallen ist. Er wird seiner Frau nicht sagen, dass er sie beim Sex mit einem anderen gesehen hat. Weshalb hat sie ihn betrogen? Was suchte sie bei dem anderen, was er ihr nicht geben konnte? Tage später findet Yusuke seine Frau reglos in der Wohnung. Tod durch Gehirnblutung.

Yusuke lernt eine neue Frau kennen - seine Chauffeurin

Zwei Jahre später fährt Yusuke nach Hiroshima, wo er Anton Tschechows Theaterstück "Onkel Wanja" inszenieren soll. Unterwegs ist er mit seinem gepflegten roten Saab 900. Doch für die Fahrten zwischen Unterkunft und Probenraum schreibt ihm die Versicherung des Theaters eine Chauffeurin vor. Es ist Misaki, eine junge coole Frau mit Baseballmütze. Auch Misaki hat einen Verlust hinter sich. Das Auto ist in "Drive my Car" eine Art Schutzraum, in dem die beiden zunächst schweigen. Sie konzentriert sich auf das Fahren, während er den Text von "Onkel Wanja" übt. Mit Audiokassetten, auf denen seine verstorbene Frau die anderen Rollen eingesprochen hat.

Ryūsuke Hamaguchi bearbeitet das Feld zwischen Sprache und Schweigen

Ryūsuke Hamaguchis "Drive my Car" ist ein Film über das Schweigen und die Sprache. Über die Sehnsucht nach Verständigung jenseits der Worte. In seiner Inszenierung von "Onkel Wanja" bringt Yusuke Schauspielerinnen und Schauspieler zusammen, die unterschiedliche Muttersprachen sprechen. Japanisch, Mandarin, Koreanisch in Gebärdensprache - die Darsteller und Darstellerinnen können einander verbal nicht verstehen. Sie sind voneinander entfernt, in sich selbst gefangen, so wie Anton Tschechows Figuren in "Onkel Wanja". Dennoch entsteht während der Leseproben eine Dynamik zwischen den Schauspielern und Schauspielerinnen. Kann man einen Dialog führen, ohne die Sprache des Gegenübers zu verstehen? Kann man sich näher kommen jenseits der Sprache? Oder auch im Schweigen? In der Stille? Vielleicht braucht es manchmal das Schweigen als erste Etappe.

Verluste spielen immer wieder eine Rolle

Während der mit eleganten Kamerabewegungen festgehaltenen Fahrten im roten Saab, auf der Küstenstraße am japanischen Binnenmeer, finden der Theaterregisseur und seine Chauffeurin allmählich Worte. Sie suchen nach einem Ausdruck für das, was ihnen widerfahren ist. Irgendwann ist das Auto erfüllt von Verlustgefühlen, von diffusen Schuldgefühlen, von Schmerz. Aber etwas bewegt sich.

"Drive my Car" - ein trostspendender Film

"Drive my Car" registriert mit aufmerksamer Kamera, wie sich Yusuke und Misaki auf berührende Weise öffnen. Und was kann es Schöneres geben, als zwei Menschen, die ihre Erstarrung überwinden, aus einer seelischen Eiszeit erwachen? Und wir erwachen mit ihnen, angesichts dieses Films, der von der trostspendenden Kraft der Kunst erzählt und selbst ein trostspendendes Kunstwerk ist.

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Drive my Car

Genre:
Drama
Produktionsjahr:
2021
Produktionsland:
Japan
Zusatzinfo:
Untertitel: Deutsch
Regie:
Ryūsuke Hamaguchi
Länge:
179 Minuten
FSK:
ab 12 Jahre
Kinostart:
23. Dezember

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 23.12.2021 | 07:40 Uhr

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