Frau - Macht - Kunst: Bestandsaufnahme vor dem Filmfest in Cannes
Im Kulturbetrieb hat sich Einiges getan, spätestens seit der MeToo-Debatte. Sie brachte eine Lawine ins Rollen, die Kulturlandschaft verändert sich. Immerhin fünf Regisseurinnen zeigen ihre Filme im Wettbewerb von Cannes.
In ein paar Tagen wird beim Filmfestival in Cannes wieder um die Goldene Palme gerungen. Am Dienstagabend werden die Filmfestspiele an der Croisette eröffnet, und von 21 Wettbewerbsfilmen stammen nur vier von einer Regisseurin, ein fünfter von einer gemischten Doppelregie. Das macht eine "Quote" von immer noch weniger als 25 Prozent. Ändert sich das denn nie? Stopp: Zum zweiten Mal in Folge hat in diesem Jahr eine Frau den Hauptpreis bei den Oscars gewonnen.
Die großen Filmfestivals haben in der letzten Saison vor allem Regisseurinnen ausgezeichnet. Überhaupt tut sich viel bei der Gleichstellung in der Kultur, im Theater, in der Bildenden Kunst, wie etwa bei der Biennale in Venedig, die von einer Frau kuratiert wird. Die Verhältnisse sind immerhin in Bewegung geraten. Alles eine Folge der Gender-, Quoten- und MeToo-Debatten? Ist das der gerechte Ausgleich jahrzehntelanger Versäumnisse? Und wenn ja: Wie tiefgreifend wird er wirken?
Ein Essay
Die zunehmende Empörung über Machtmissbrauch, strukturellen und handfesten Sexismus hat der Gleichstellung einen kräftigen Schub verliehen. Ebenso tut sich etwas bei der Diversität, im Verbund mit der identitätspolitischen Sensibilisierung für die offenen, unterschwelligen oder gedankenlosen Diskriminierungen all derer, die in der Öffentlichkeit zu wenig gehört und gesehen werden.
Chloé Zhao erhält 2021 den Oscar für "Nomadland" als bester Film
2021 gewann mit "Nomadland" von Chloé Zhao zum zweiten Mal in der Geschichte der Oscars eine Frau den weltweit wichtigsten Filmpreis. Im Frühjahr folgte mit Siân Heder gleich die nächste Oscargewinnerin; im Mittelpunkt ihres Familiendramas "Coda" steht die Tochter einer gehörlosen Familie. Bedenkt man außerdem, dass 2020 der Koreaner Bong Jong-hoo mit "Parasite" die Trophäe davontrug und inzwischen deutlich mehr Preise an People of Colour verliehen werden, ist klar: Die Kritik an der American Academy trägt allmählich Früchte.
2021: Goldene Palme, Goldener Löwe und Goldener Bär jeweils an Regisseurin verliehen
Ähnlich sieht es bei den großen Festivals aus, trotz des erneut männerdominierten Wettbewerbs in Cannes. In der zurückliegenden Saison gewannen Regisseurinnen die Goldene Palme, den Löwen in Venedig und den Goldenen Bären der Berlinale, auch das eine Premiere in der Geschichte des Kinos. Die ausgezeichneten Filme verhandeln noch dazu Sujets, die radikal weiblich sind oder die Lebenswirklichkeit von Frauen thematisieren.
Biennale-Kuratorin Alemani macht sich für Frauen im Kunstbetrieb stark
Auch in anderen Kultursparten zahlen sich die jahrzehntelangen Proteste gegen Macho-Hierarchien aus, ebenso die beharrlichen Quotenforderungen. Cecilia Alemani, die Kuratorin der aktuellen Biennale in Venedig, macht sich dafür stark, dass Frauen im Kunstbetrieb nicht länger unterrepräsentiert bleiben.
Zahlreichen zu wenig bekannten Künstlerinnen bietet sie in den Giardini und im Arsenale eine Bühne. Etwas wird sichtbar: Die gewachsene Aufmerksamkeit für die blinden Flecken in den Künsten zeigt sich auch in den Museen, inzwischen auch in den großen, publikumsträchtigen Häusern. Ein paar Beispiele nur: Die Fondation Beyeler würdigt seit Januar Georgia O’Keeffe. Die Neue Nationalgalerie Berlin widmet der Konzeptkünstlerin Barbara Kruger gerade eine Einzelschau, die Hamburger Kunsthalle konzentriert sich ab Dezember unter dem Titel "Femme fatale" auf das Thema "Blick - Macht - Gender".
Ukrainerin Oksana Lyniv: eine Maestra im Bayreuther Orchestergraben
Das Berliner Bode-Museum hat sich sogar die traditionell männlichen Alten Meister vorgeknöpft und rückt mit dem Programm "Der zweite Blick" die historischen Frauendarstellungen der eigenen Sammlung in den Fokus.
Frauen, wohin man auch schaut. Bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele im vergangenen Sommer stand mit der Ukrainerin Oksana Lyniv eine Maestra im Orchestergraben. Es wurde auch Zeit, nach 92 männlichen Wagner-Dirigenten auf dem Grünen Hügel. An den Pulten der großen Konzert- und Opernhäuser machen mehr und mehr Dirigentinnen von sich reden, von Emmanuelle Haïm über Marie Jacquot und die Litauerin Giedrė Šlekytė bis zu Joana Mallwitz.
Sie sei es leid, sagte Mallwitz nach ihrem Salzburg-Debüt 2020, immer noch irgendwo die Erste zu sein. Bei den Festspielen dirigierte sie als erste Frau überhaupt einen gesamten Opernzyklus; nach ihren Erfolgen als Generalmusikdirektorin in Nürnberg wird sie ab 2023 Chefdirigentin am Berliner Konzerthaus - als erste künstlerische Leiterin eines der großen Berliner Orchester. Das Bild differenziert sich aus. Vorbei die Zeiten, in denen Simone Young als Intendantin der Staatsoper Hamburg die berühmte Ausnahme von der Regel verkörperte.
Leidet vor lauter Gleichstellungsbemühungen die Qualität?
Aber machen wir uns nichts vor. Da mag die Dichterin Amanda Gorman bei der Inauguration von US-Präsident Joe Biden noch so gefeiert werden, mögen Intendanten wegen Missverhaltens ihre Posten verlieren: Seit dem Feminismus der 60er-Jahre geht es mit der Gleichstellung eher in Wellenbewegungen voran, wahlweise in Trippelschritten.
"Die Damen, die fähig sind, sollen zeigen, dass sie es können", sagte Christian Thielemann, damals noch Bayreuths Musikdirektor, letztes Jahr zur Dirigentinnen-Frage. Ein Ewig-Gestriger? Liest man die Zeitungsessays über den beleidigten Mann, wird klar, dass er mit seiner Haltung nicht allein ist. Ganz so geräuschlos treten die Alpha- und Gewohnheitstiere nicht ab.
Berliner Theatertreffen hat Regie-Quote eingeführt
Der Widerspruch ist groß. Das aktuelle Berliner Theatertreffen mit den Top-Inszenierungen der Saison hat eine Regie-Quote bei seiner Zehner-Auswahl eingeführt. Dieses Jahr sind zudem fünf Stücke aus Theatern eingeladen, die von Frauen geleitet werden. Die "Süddeutsche Zeitung" monierte prompt, vor lauter "hippem, wokem, performativem Genre-Mix" fehlten die Inszenierungen mit Breitenwirkung. Mit anderen Worten, die gendergerechte Correctness gehe auf Kosten des Publikums.
Die zum Theatertreffen eingeladene Mannheimer Version der Schillerschen "Jungfrau von Orleans" unternimmt jedoch eine durchaus unterhaltsame Selbstbefragung der Heldin. Jeanne d’Arc, siegreich in der Schlacht, weil sie Jungfrau ist: Was bitte sollen wir heute mit so einem Frauenbild anfangen?
Leidet vor lauter Gleichstellungsbemühungen tatsächlich die Qualität? Schlägt das Pendel zu sehr in Richtung all derer aus, die unter dem Radar blieben? Der Schwung der letzten Jahre verdankt sich nicht zuletzt einem kollektiven Schuldgefühl angesichts der gesellschaftlichen und institutionellen Versäumnisse, bei der Gleichstellung, bei Fragen des Rassismus oder des Kolonialismus. Für die Balance ist solch eine Ausgleichsbewegung jedoch unvermeidlich. Und, der Elan darf nicht erlahmen.
Es geht nicht nur um mehr Frauen an Sprech- und Musiktheaterbühnen
Nach wie vor werden drei Viertel aller staatlichen Sprech- und Musiktheaterbühnen in Deutschland von Männern geleitet, Tendenz: sehr langsam sinkend. Immerhin sind das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg und die Münchner Kammerspiele in weiblichen Händen, während am Berliner Maxim Gorki Theater in der Debatte um Shermin Langhoff erstmals auch Machtmissbrauchsvorwürfe gegen eine Intendantin erhoben wurden. Die Politik bemüht sich nach Kräften um eine ausgewogenere Personalpolitik: Auch am Deutschen Theater Berlin, an der Staatsoper Unter den Linden und der Dresdner Semperoper sitzen demnächst Frauen in der Chefetage.
Doppelspitzen und Teams statt Platzhirsche, lautet die Devise. Es geht nicht nur um mehr Frauen, sondern um eine andere Unternehmenskultur, um den überfälligen, mühsamen gesellschaftlichen Wandel, nicht zuletzt nach dem Backlash während der Pandemie. Statistiken belegen die Zunahme sexueller Gewalt und den überdurchschnittlich hohen Frauenanteil an der Care-Arbeit im Homeoffice wie bei der Betreuung der sogenannten vulnerablen Gruppen. Krisen-Zeiten sind Männer-Zeiten, wie jetzt auch im Ukraine-Krieg deutlich wird. Wenn die Männer zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden und anders als die Frauen nicht vor Putins Invasion flüchten dürfen, drohen feministische Forderungen zum Nebenwiderspruch zu schrumpfen.
Der Anfang ist gemacht - es bleibt aber noch viel zu tun
Was die Kulturbranche betrifft, ist es gut zu wissen, dass mit Claudia Roth nun eine ausgewiesene Feministin das Amt der Kulturstaatsministerin innehat. Das Bemühen ihrer Vorgängerin Monika Grütters, bei Bundeskultureinrichtungen mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in Chefpositionen zu bringen, wird Roth gewiss fortsetzen. Zwar sind die neuen Führungskräfte bei den Berliner Festspielen oder am Haus der Kulturen der Welt wie gehabt männlich. Aber die Berlinale hat eine gemischte Doppelspitze, Hetty Berg leitet das Jüdische Museum, Gundula Bavendamm die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung - der Anfang ist gemacht. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung heißt es außerdem: "Wir machen den Gender-Pay-Gap transparent, wollen ihn schließen, streben paritätisch und divers besetzte Jurys und Gremien an."
Berlinale-Führung: Wann bekommen Rissenbeek und Chatrian das gleiche Gehalt?
Es bleibt viel zu tun. Wann bekommen die Geschäftsführerin der Berlinale, Mariette Rissenbeek, und ihr Künstlerischer Direktor, Carlo Chatrian, endlich das gleiche Gehalt? Wer wird nach 2025 Präsidentin der mächtigen Stiftung Preußischer Kulturbesitz? Wen findet Berlin für die Nachfolge von Daniel Barenboim?
Oft heißt es, für solche Spitzenposten gebe es nun mal kaum Frauen, erst recht nicht mit Leitungserfahrung. Aber selbst die Männer haben ihre Karrieren nicht als Chefs gestartet, und in der Politik straft die 41-jährige Außenministerin Annalena Baerbock solche Bedenken Tag für Tag Lügen. Auch in der Kultur gilt es, den Jüngeren Vertrauen zu schenken, Kompetenz in den weniger prominenten Reihen zu suchen und die Neuen zu empowern. Am Ende ist es wie in der Kunst: Der Blick muss sich ändern, wenn die Verhältnisse sich ändern sollen.