Hamburger Literaturgröße sagt Ahoi: Literaturhaus-Chef Rainer Moritz geht
Dem Literaturhaus steht am Ende des Monats eine Zeitenwende bevor: Nach 20 Jahren gibt Rainer Moritz die Leitung ab. Jetzt packt er seine Bücher in Kisten und zieht Bilanz. Ein Ortsbesuch.
Den ein oder anderen soll es geben, der Rainer Moritz schon als "Literaturpapst" bezeichnet hat. Kommt man in sein Büro, wirkt es wenig päpstlich - überall Bücher: in den Regalen, auf dem Sessel, neben dem PC-Bildschirm, auf dem Fenstersims. Ein leichter Geruch von Zigarillo liegt in der Luft. Drei würde er sich am Tag gönnen, sagt er. Und ziemlich viel Fußball im Raum. Ein Gemälde von Spielerbeinen, Stadiontickets. HSV oder St. Pauli? "Weder noch", sagt Moritz. "1860 München. Ich bin seit Kindesbeinen Mitglied des Vereins und habe sehr viel gelitten, bis in die vierte Liga bin ich mit abgestiegen. Sie wissen ja, das zeugt von schlechtem Charakter, wenn man einen Verein wechselt."
Eine treue Seele ist er, der Rainer Moritz. Kein Wunder, dass er 20 Jahre als Chef im Literaturhaus geblieben ist. Obwohl er selbst auch Romane und Sachbücher schreibt, z.B. über - und auch das ist gar nicht Literatur-päpstlich - Schlager. In der Vitrine steht eine Platte von Daliah Lavi, und überall im Büro sind Bücher von und über Udo Jürgens. "Ich bin als Kind einfach falsch sozialisiert worden", sagt der fast 67-Jährige. "Ich habe mit 13,14 Jahren eben nicht Rolling Stones oder Alice Cooper gehört, sondern die Langspielplatte von Bernd Clüver: 'Der Junge mit der Mundharmonika'. Ich war sehr einsam, das hat niemand in meiner Klasse gehört." Im Schwabenland war das.
Von Heilbronn an die Alster
Rainer Moritz kommt aus Heilbronn. Er war lange im Verlagswesen. Hoffmann und Campe holte ihn nach Hamburg. 2005 übernahm er das Literaturhaus. Das ist zwar piekfein auf der Uhlenhorst, direkt an der Alster, aber es sollte für ihn eben nie nur schick sein. "Ich habe immer Wert darauf gelegt, dass es kein elitäres Haus ist. Mir war immer wichtig, dass wir was für ein breites Lesepublikum anbieten: den spannenden Krimi am Dienstag - dafür dann slowenische Gedichte am Donnerstag. Ich halte nichts davon, den Leserinnen und Lesern zu viel Bevormundung entgegenkommen zu lassen."
Er hat sie alle getroffen, Literaturnobelpreisträger, oder Newcomer, die ihre erste Lesung überhaupt machten. Den einen Typus Schriftsteller habe er nie identifiziert, erzählt er: "Es gibt natürlich solche, von denen ich das Buch lieber lese, als den Menschen zu treffen." Und in 20 Jahren habe sich auch das Auftreten der Literaten etwas verändert und die Lesequalität verbessert, findet Moritz. "Es gibt kaum noch Autoren und Autorinnen, die ihre Texte vor sich hin nuscheln, die schwer zu verstehen sind oder genervt wirken. Alle wissen, es ist wichtig, präsent zu sein. Es hat vielleicht vor 15 Jahren noch mehr Autoren gegeben, die dem Rotwein kräftig zugesprochen haben, vor allem nach der Lesung. Das hat abgenommen."
Rainer Moritz und Ruhestand? Von wegen!
Als Kind habe er mal die Angst gehabt, dass er alles auslesen könne - dass es keine Bücher mehr geben würde, die er noch lesen könne. Jetzt, mit fast 67, ist es andersrum, man müsse auch Mut zur Lücke haben. Welchen Thomas Mann er nie gelesen hat, das sei hier verschwiegen. Und nun? Rainer Moritz ohne Literaturhaus, wie wird das? "Ich werde viele Dinge weiter tun", so Moritz. "Als Kritiker weiterarbeiten, Bücher schreiben und übersetzen", und im Sommer im Stadtpark vor 2.000 Leuten auftreten. Dort wird er zusammen mit Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda seine Lieblingsplatten besprechen, wobei sich die beiden selten einig sind, was gute Musik ist und was nicht. Ein Format aus seiner Literaturhaus-Zeit, das fast schon Kultstatus hat und genau wie er nun ohne Literaturhaus funktionieren soll - und wird.
