Senioren fühlen sich von Digitalisierung überfordert
Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran. Doch ältere Menschen fühlen sich nicht selten abgehängt. Ein großes Problem, das zu wenig im Fokus steht, sagt auch der Sozialverband. Ein Besuch bei einer Handy-Schulung in Kiel.
Rentnerin Edelgard aus Kiel hat eine schlaflose Nacht hinter sich. Sie wollte die Grundsteuererklärung machen und dann hat sich Elster aufgehängt. "Ich bin aus den Apps rausgeflogen." Nichts funktionierte mehr. "Ich war richtig wütend und habe die ganze Nacht nicht geschlafen." Gut, dass sie heute die Handy-Schulung in ihrem Kieler Stadtteil Elmschenhagen hat. Und gut, dass Referent Nicolas Grote so viel Geduld hat und ihr hilft.
Ohne Kinder... im Internet aufgeschmissen
Auch die anderen Kursteilnehmer stöhnen über die fortschreitende Digitalisierung. "Das Problem ist, dass jeder glaubt, dass man zuhause Internet hat. Dem ist aber nicht so", sagt Edeltraud. Sie fühlt sich oft völlig überfordert. Tatsächlich ist in Deutschland laut aktuellen Studien jeder Fünfte über 60 Jahren offline - nutzt also kein Internet. Eine andere Kursteilnehmerin seufzt: "Wenn ich meine Kinder nicht hätte, würde ich an manchen Sachen scheitern." Rentner Gerd geht es nicht anders: "Ich komme mit dem Laptop einigermaßen zurecht. Die Grundbegriffe sind da, aber sobald ein Fehler oder so auftritt, dann erscheint irgendeine Maske, die ich nicht kenne - dann ist es vorbei."
Die Teilnehmer der Schulung hören Nicolas Grote zu, wie er gerade die Technologie "Bluetooth" erklärt. "Wenn ihr euch so verbindet, könnt ihr unterwegs Musik hören mit dem Handy. Macht ihr das?" Kopfschütteln in der Runde. Auch bei dem Thema Online-Handel herrscht Zurückhaltung. Keiner von den acht Senioren hat bisher jemals etwas online bezahlt, keiner traut sich da ran. Zu viel Angst gibt es vor irgendwelchen falschen Klicks, vor Betrügern, die einem das Geld aus der Tasche ziehen. Das Thema ist tatsächlich heikel und deswegen vertieft der Referent es auch bewusst nicht.
Verbraucherzentrale: Zu viel digital, zu wenig analog
Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein sieht genau hier auch große Probleme: "Wir beobachten häufig Fälle, in denen gerade ältere Menschen online Verträge abschließen, sie aber gar nicht richtig den Überblick haben über das, was sie da abschließen", sagt Juristin Kerstin Heidt. Kein Papier in der Hand, um etwas nachzulesen. Einen rechtssicheren Vertrag abgeschlossen - aber keiner ist da für Rückfragen. Das Fehlen von Ansprechpartnern vor Ort: Das sei eigentlich die schwierigste Entwicklung, meint Heidt. Bei Krankenkassen, Banken, Versicherungen läuft immer weniger analog. "Ich sehe hier auch die Unternehmen in der Pflicht, an die älteren Menschen zu denken."
Kursteilnehmerin Antje kennt dieses Problem nur zu gut. "Da rufe ich die Arztpraxis an und keiner geht ran. Und dann heißt es auf Band, ich könne auch eine E-Mail schreiben." Oder wenn sie eine Fahrkarte für eine Reise kaufen will: Im Handykurs hat sie zwar jetzt gelernt, wie man die App der Deutschen Bahn herunterlädt. "Aber ich fahre dann doch lieber zum Bahnhof nach Kiel und kaufe die Fahrkarte da", gesteht die 82-Jährige.
Technik kann auch Spaß machen
Die Digitalisierung - das wissen alle hier im Kurs - ist nicht mehr aufzuhalten. Und sie bringe natürlich auch viele Vorteile. Sichtlichen Spaß haben die Senioren damit, Fotos an die Familie zu verschicken oder What's App-Nachrichten zu schreiben. Teilnehmer Klaus sieht die ganze Entwicklung auch positiv und sagt: "Technische Probleme gibt's immer, aber man nimmt die an und versucht, das Beste daraus zu machen." Außerdem müsse er ja nicht alles können, was das Gerät hergibt. "Nur das, was für mich wichtig ist." Ansonsten scheut sich der Rentner auch nicht, Menschen um Hilfe zu fragen: ob im Urlaub, wenn die Technik versagt oder bei Behördendingen.
Apropos Hilfe: Wer möchte, findet in Schleswig-Holstein tatsächlich vielerorts Hilfsangebote in Sachen Digitalisierung. In vielen Stadtteilen wie hier in Kiel-Elmschenhagen bei der "Anlaufstelle Nachbarschaft" (kurz "ANNA) werden ältere Menschen geschult. Es gibt Begegnungsstätten in Flensburg, Lübeck und anderen Städten. In ländlichen Regionen ist das Angebot allerdings häufig etwas dünner. Auch die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein hält regelmäßig Vorträge und Landfrauen bieten Unterstützung an.
Volkshochschulen überlegen neue Angebote
Volkshochschulen haben ebenfalls Kurse zum Buchen. Umgebaute Bücherbusse rollen durch's Land mit dem Motto "mobil digital". "Und wir überlegen, noch auf anderen Wegen an die älteren Menschen heranzukommen", sagt Karl Damke vom Landesverband Volkshochschulen. Ideal wäre es laut Damke, geschulte Leute in Rathäuser oder Büchereien zu bekommen. Im Idealfall sollten solche Kurse dann kostenlos sein, doch genau das sei häufig das Problem. Das Geld fehlt.
Üben, üben, üben!
"Das Problem ist, dass zu wenig ältere Menschen rauskommen und sich helfen lassen wollen", sagt Antje, die mit ihren 82 Jahren noch wissbegierig ist - und zum Glück auch Kinder hat, die immer mal helfen. Für die Teilnehmer hier in Kiel-Emschenhagen ist es nun schon der zweite Kurs - Profis sind sie aber alle bei weitem noch nicht, sagen sie lächelnd. "Das macht nichts", meint Referent Nicolas Grote. "Das Smartphone ist wie Autofahren: immer üben!" Während alle ihre Sachen packen und gut gelaunt den Raum verlassen, geht er noch mal zu Edelgard und ihrem App-Elster-Problem. Noch eine schlaflose Nacht soll die Kielerin auf keinen Fall haben.