Kolumne: Das darf ich ja wohl noch sagen
Am Tag der Pressefreiheit beginnt auch die sogenannte Woche der Meinungsfreiheit. Ein guter Anlass also diese Freiheit wertzuschätzen, findet unsere Kolumnistin.
Hach, ist das schön: Die Sonne scheint in die Redaktionsräume und auf meinen Schreibtisch, an dem ich tippend sitze und mich freue, dass ich diesen Text hier genauso schreiben darf, wie ich will. Oh, Moment mal, das ist ja gar nichts Neues. Ich darf ja IMMER schreiben, was ich möchte - und das tue ich auch. Und abgesehen von Rechtschreibfehlern (Kommata sind mein Endgegner) verändert auch niemand meine Texte. Darum prangt meine - manchen vielleicht zu woke - Meinung im Internet, neben anderen Meinungstexten von Kolleginnen und Kollegen, die gewisse Sachverhalte ganz anders einordnen als ich. Und das ist ziemlich gut so. Und ziemlich wertvoll.
WICHTIG: Dass ich meine persönliche Meinung kundtun kann, ist bei meinungsäußernden Darstellungsformen wie meiner Kolumne so. Bei informierenden Darstellungsformen wie einem nachrichtlichen Bericht ist das anders. Dafür gibt es bestimmte Regeln: Der Anspruch ist immer, ein Thema gründlich zu beleuchten, alle Seiten abzubilden und die Quellen für die Informationen zu nennen. Diejenigen, die unsere Beiträge lesen, sehen oder hören, sollen sich dadurch eine eigene Meinung bilden können. Natürlich gilt für alle journalistischen Beiträge: Jeder Beitrag beim NDR wandert durch mehrere Hände, bevor er veröffentlicht wird. Es gilt das sogenannte Vier-Augen-Prinzip.
Der Rundfunkbeitrag ist die Grundlage meines Gehalts
Ich sage ganz offen: Als Journalistinnen und Journalisten, die unter dem Dach einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt publizieren, haben wir - wie der Sender selbst - den Auftrag, "als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen" (Rundfunkstaatsvertrag).
Also für mich persönlich gilt: Die 18,36 Euro Rundfunkbeitrag, die ja beinahe jeder Haushalt in Deutschland jeden Monat zahlen muss, die sind letztlich die Grundlage meines Gehalts. Und das wiederum bedeutet, dass mein wahrer Auftraggeber diese Haushalte, also Menschen sind. Das heißt für mich, ich möchte irgendwie auch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse möglichst vieler bedienen.
Warum es so wichtig ist, dass jeder zu Wort kommen darf
Ich sehe aber, dass die Lebenswirklichkeit einiger Bevölkerungsgruppen in den Medien unterrepräsentiert ist und ich finde das ungerecht. Erstens: weil ich finde, dass jede und jeder das gleiche Recht haben sollte, medial sichtbar zu sein - warum erkläre ich gleich. Und zweitens: weil sie halt auch dafür bezahlen. Punkt.
Warum ist das aber so wichtig, diese ganze Palette an Leuten zu Wort kommen zu lassen und ihre Geschichten zu erzählen? Nun ja, Repräsentation in den Medien hilft einerseits den Dargestellten und ihrer Gruppe - zum Beispiel stärken konstruktive Beiträge über Jugendliche aus marginalisierten Gruppen deren Selbstwertgefühl und inspirieren andere. Andererseits helfen solche Beiträge, in der Gesellschaft verinnerlichte Stereotype abzubauen.
Meine Meinung und deine Meinung - und das Recht, sie zu äußern
Denn je mehr man mit Menschen, die sich von einem selbst unterscheiden, positiv "in Kontakt" kommt, selbst über den Bildschirm, desto eher befreit man die eigene Wahrnehmung von voreingenommenen Denkmustern. Und entwickelt Empathie für 'die Anderen'. Das Ergebnis: mehr Zusammenhalt, mehr für einander einstehen, mehr Frieden. Das ist meine Meinung.
Andere haben eine komplett andere Meinung. Brüllen im blütenweißen Ralph-Lauren-Hemd "Ausländer raus". Und dürfen das auch. "Die Parole 'Deutschland den Deutschen, Ausländer raus' ist ohne Weiteres als wertende Stellungnahme und damit als Meinung zu qualifizieren. Als solche genießt sie den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme." Das sagte das Landgericht Oldenburg schon im Dezember über einen Fall, als vor einem Jahr andere Jugendliche den gleichen rassistischen Refrain "gesungen" hatten.
Pressefreiheit als Voraussetzung von Wahlentscheidungen: Die Grundlage von Meinungsfreiheit
Abschließend will ich auch noch sagen, dass freie, pluralistische und unabhängige Medien (wie der NDR) ein äußerst wichtiges Merkmal demokratischer Gesellschaften sind, dass sich aber die Lage der Pressefreiheit kontinuierlich verschlechtert. Dass wir alle also wachsam sein müssen, vor allem auch wir Medienschaffenden! Denn Pressefreiheit ist auch eine essentielle Voraussetzung, um sich unabhängig eine Meinung bilden zu können und eine informierte Wahlentscheidung zu treffen.
Anja Osterhaus, die Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen, warnt explizit vor der alarmierenden Entwicklung: "Das zunehmende Ausmaß der Gewalt gegenüber Medienschaffenden, die über Wahlen berichten, ist eine erschreckende Entwicklung. Autokraten, Interessengruppen und Feindinnen der Demokratie wollen mit allen Mitteln unabhängige Berichterstattung verhindern." Und das dürfen wir doch nicht hinnehmen - denke und sage ich. Weil ich darf. Noch.
