Politikwissenschaftler zu Ukraine: Deutschland hat Fehler gemacht
Nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine hat NDR Schleswig-Holstein ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Joachim Krause von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel geführt. Krause ist seit 20 Jahren Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik. Er kritisiert, dass sich Deutschland zu lange bei Russland angebiedert habe.
Herr Professor Krause, was will der russische Präsident Putin mit diesem Angriff auf die Ukraine langfristig überhaupt erreichen? Hat er wirklich Angst vor der Demokratie in den westlichen Nachbarländern?
Joachim Krause: Ja, es ist Angst vor der Demokratie, aber es ist eben auch der Versuch, die politische Ordnung, die zwischen 1990 bis 1997 im Konsens zwischen Russland und den westlichen Staaten hergestellt worden ist, diese umzuwerfen und eine Ordnung einzuführen, bei der wir uns alle an Russland ausrichten müssen.
Man muss sich mal vorstellen: Russland ist ein Land mit 140 Millionen Menschen. Und dieses Land soll sozusagen der Kristallpunkt aller Sicherheitsbeziehungen in Europa sein, in dem 500 Millionen Menschen leben. Es ist schon eine ziemliche Unverschämtheit. Aber dieses Problem ist ja schon seit vielen Jahren bekannt, aber die deutsche Politik hat es ja immer vernachlässigt.
Was hätte Deutschland denn Ihrer Meinung nach anders machen müssen?
Krause: Zumindest die Bundesregierung und die französische Regierung haben viel zu lange nach der Krim-Krise 2014 eine Beschwichtigungs- und Anbiederungspolitik an Russland betrieben, die schon völlig unrealistisch war und in der immer wieder auf diplomatische Lösungen gepocht wurde, wo Russland gar keine diplomatischen Lösungen haben wollte und die eigentliche Natur der Herausforderung Russlands nicht begriffen worden ist.
Wir hätten in dieser Zeit sehr viel machen können, um das Risikokalkül Russlands zu beeinflussen. Und das ist nicht geschehen - und insofern kann sich Russland auf dieses Risiko einlassen und einen Krieg gegen die Ukraine anzufangen, das hätte man alles verhindern können, aber es ist nicht getan worden.
Was spielt sich denn gerade in Russland ab? Putin und seine Pläne sind ja auch im Land nicht unumstritten.
Krause: Ja, natürlich hat er Kritiker, sogar ehemalige Millitärs haben ihm Abenteuertum vorgeworfen und festgestellt, dass es gar keine Bedrohung Russlands durch die NATO oder durch die Ukraine gäbe. Aber Putin scheint eine historische Aufgaben zu sehen, das alte russische Imperium wiederherzustellen, welches nach 1990 verloren gegangen ist.
Und ich glaube nicht, dass er sich davon ablassen halten wird, das weiterzuverfolgen. Deswegen müssen wir auch unsere Politik anpassen. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Abschreckung, die die NATO gegen weitere russische Invasionen bieten kann, auch endlich mal funktioniert und nicht einfach nur Gegenstand von Dokumenten bleibt, aber nicht real existiert."
Das Interview mit dem Politikwissenschaftler Joachim Krause führte NDR Reporter Christian Nagel.
