Seniorenheime: Verstößt Corona-Isolation gegen Grundgesetz?
Die Besuchs- und Ausgangsverbote in Senioren- und Pflegeheimen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verstoßen in weiten Teilen gegen das Grundgesetz. Das ist das Ergebnis eines Rechtsgutachtens.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) hatte diese Analyse in Auftrag gegeben. Alte Menschen in Heimen dürften in ihren Grundrechten nicht eingeschränkt werden, betont Franz Müntefering, Vorsitzender der BAGSO und ehemaliger Bundesverkehrsminister unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Es müsse in jedem Fall abgewogen werden, ob die Isolation als Folge von Besuchs- und Ausgangsverboten der Gesundheit der Bewohner mehr schade als nütze: Einsamkeit sei durchaus mit einer Krankheit vergleichbar und könne ebenfalls tödlich enden. Das Grundgesetz gelte auch in diesen Fällen. Das Recht auf Teilhabe und Kommunikation müsse bestmöglich verteidigt werden.
Diakonie fordert, Heime geöffnet zu lassen
Dass das Besuchsverbot zu Beginn der Pandemie viel Schaden angerichtet hat, bestätigt auch Hans Peter Daub von der Dachstiftung Diakonie in Hannover, Träger mehrerer Einrichtungen für rund 2.000 Bewohner. Gemeinsam mit anderen Diakonievorständen hat er schon zu Beginn des ersten sogenannten Lockdowns einen Brandbrief an Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) gerichtet. Der Tenor: Lasst die Heime geöffnet! Aktuell sind die meisten der rund 1.500 Heime in Niedersachsen zwar offen, aber sobald ein Infektionsfall auftritt, müssen sie sofort schließen. Das sieht die aktuelle Landesverordnung vor, die die Landkreise umsetzen müssen.
Isolation schlimmer als Infektion
Die Kreise allerdings schießen nach der Ansicht von Hans-Peter Daub in ihrer Fürsorge regelmäßig über das Ziel hinaus. Seine Dachstiftung Diakonie streitet gerade mit einem Landkreis in Südniedersachsen. Dieser erlaubt grundsätzlich keine Besuche auf den Zimmern der Bewohner mehr. Damit bleibt für Besuche nur noch ein Besuchszimmer, das sich alle teilen müssen. Das, so Daub, schränke die Besuchsmöglichkeiten bei großen Einrichtungen enorm ein und führe wieder zu der Isolation, die keiner wolle. Es sei keine Katastrophe, im hohen Alter an einer Infektion zu versterben, aber ganz sicher, in der letzten Lebensphase von seinen engsten Angehörigen abgeschnitten zu sein.
Reimann: Lieferengpässe für Schnelltests bald behoben
Sozialministerin Reimann ist zuversichtlich, dass sich dauerhafte und flächendeckende Besuchsverbote vermeiden lassen. Sie verweist darauf, dass die Situation heute eine andere sei als zu Beginn der Pandemie, wo Schließungen zwingend nötig gewesen seien. Gute Hygienekonzepte, Schutzausrüstung und Schnelltests machten geschützte Besuche wieder möglich. Auf die Frage, warum viele Heime immer noch auf Schnelltests warteten, sagte sie, sie sei sehr optimistisch, dass der Lieferengpass bald behoben sein werde. Momentan sind nach Auskunft des Sozialministeriums 131 Heime im Land aufgrund aktueller Corona-Infektionen bei Bewohnern geschlossen. Von örtlichen Gesundheitsämtern angeordnete Quarantänen sind beim Ministerium nicht erfasst.
