Schub wegen Corona: Gerichte verhandeln verstärkt per Video
Die Digitalisierung der niedersächsischen Justiz wird von der Pandemie enorm vorangetrieben. Immer mehr Gerichte verhandeln Zivilprozesse inzwischen in Videoschalten.
Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres werden 128 Sitzungssäle im Land so ausgestattet, dass sie sich für digital geführte Verhandlungen eignen. Die Kosten dafür liegen bei 3,6 Millionen Euro, wie das Justizministerium in Hannover mitteilte. Insgesamt gebe es fast 600 Sitzungssäle im Land, die in den kommenden Jahren modernisiert werden sollen.
OLG Celle mit 75 Prozent Video-Verhandlungen an der Spitze
Spitzenreiter bei Video-Verhandlungen war im Januar und Februar das Oberlandesgericht (OLG) Celle: 75 Prozent aller Termine liefen digital, am OLG Oldenburg waren es 58 Prozent und am OLG Braunschweig 34 Prozent. Das Landgericht Aurich verhandelte im selben Zeitraum 49 Prozent seiner Fälle ohne Anwesenheit aller Prozessbeteiligten in einem Raum. Am Landgericht Stade waren es nach Ministeriumsangaben 44 Prozent, in Osnabrück 41 Prozent, in Oldenburg 28 Prozent. Darauf folgten die Landgerichte Hildesheim mit 26 Prozent, Hannover mit 21 Prozent und Göttingen mit 18 Prozent. Bis Ende Juni sollen viele kleinere Amtsgerichte dazukommen.
Acht Millionen Euro für digitale Arbeitsplätze geplant
Um auch die Arbeitsplätze in den Justizbehörden im Land aufzurüsten, sollen laut Ministerium bis Ende 2024 weitere 8,2 Millionen Euro investiert werden. Darüber hinaus seien etwa 15 Millionen Euro für den Netzausbau in den Gerichten und Staatsanwaltschaften eingeplant. "Alle Abläufe werden auf den Prüfstand gestellt und modifiziert", sagte Justizministerin Barbara Havliza (CDU). Dabei gehe es nicht nur darum, Hardware anzuschaffen und Software zu entwickeln. Den Mitarbeitern solle auch mobiles Arbeiten und die Nutzung "intelligenter" Programme ermöglicht werden.
Havliza: "Vorteile bleiben über Pandemie hinaus erhalten"
"Rechtlich möglich sind digitale Verhandlungen schon seit vielen Jahren. Aber die Pandemie hat dieser Möglichkeit einen gehörigen Schub gegeben", sagte Havliza vor Kurzem bei einem Ortstermin in Oldenburg. Derzeit dienten Videoverhandlungen vor allem dem Infektionsschutz. "Aber ich bin sicher, dass die Vorteile auch über die Pandemie hinaus erhalten bleiben."
Strafprozesse sind weiter nur im Gerichtssaal möglich
Auf Strafprozesse lasse sich das Verhandeln mit Video aber nicht übertragen, sagte ein Ministeriumssprecher. Nach deutschem Rechtsverständnis dürfe kein Angeklagter "aus der Ferne" verurteilt werden. Niedersachsen hatte 2020 im Bundesrat angeregt, zumindest Anhörungen von Strafgefangenen auch digital durchzuführen. Die anderen Länder hatten diese Änderung der Strafprozessordnung aber nicht unterstützt
