Seehafen Rostock: Neue Routen wegen Russland-Sanktionen
Die Russland-Sanktionen, der Krieg in der Ukraine sowie die Lieferengpässe überall in der Welt sind auch am Rostocker Seehafen zu spüren. Das Geschäft an den Kaikanten in MV verändert sich gerade - das bringt einige Überraschungen mit sich.
Um die Auswirkungen der Russland-Sanktionen und des Krieges in der Ukraine im Rostocker Seehafen zu beobachten, braucht man nicht einmal bis an die Kaikante zu treten. Eine der vielleicht sichtbarsten Veränderungen rollt derzeit von Landseite auf den Hafen zu: Regelmäßig erreichen Güterzüge mit mehr als dreißig Waggons den Seehafen - aus Rumänien, Ungarn oder der Slowakei, wie Jacob Lubig von der im Hafen ansässigen Firma Getreideterminal Rostock GmbH berichtet. Normalerweise würden diese Getreidelieferungen über den Schwarzmeerhafen Odessa verschifft, da das aktuell nicht mehr möglich sei, suche sich die Ware neue Wege.
Getreide über Rostock in die ganze Welt verschifft
Jeder dieser Güterzüge bringt rund 1.800 Tonnen Weizen nach Rostock. Das Korn wird in den Getreideterminals zwischengelagert und dann weiter auf Schiffe verladen, vor allem in Richtung Afrika. Dieses Zusatzgeschäft könnte noch deutlich wachsen: Die EU-Kommission verkündete vor wenigen Tagen, die Ukraine beim Export ihrer Getreidevorräte zu unterstützen - die Rede ist von mehr als zwanzig Millionen Tonnen. Sie sollen über den Landweg durch Europa zu anderen Häfen transportiert werden, zum Beispiel auch nach Rostock.
Kohle kommt aus Südamerika statt aus Russland
Schiffsmakler wie Christian Knüppel aus Rostock beobachten auch für andere Güter die Verschiebung von Lieferrouten: Seit Steinkohle aus Russland sanktioniert werde, rückten neue Bezugsländer wie Kasachstan oder Kolumbien in den Fokus. Spüren würden diese Veränderungen vor allem die Verbraucher und zwar durch einen weiteren Anstieg der Preise. Die Rechnung, die Knüppel zur Erklärung aufmacht, ist simpel: Von Russland ist die Steinkohle circa zwei Tage lang unterwegs, von Südamerika benötigt ein Schiff bis zu vier Wochen. Bei Charterpreisen von bis zu 70.000 Euro pro Tag bedeutet das eine massive Verteuerung der Transportkosten. Die Kosten werden letztlich an die Endkunden weitergereicht.
Sanktionen bringen Unsicherheit in die Branche
Der Geschäftsführer der Hafengesellschaft Rostock Port GmbH, Jens Aurel Scharner, spricht von einer gewissen Unsicherheit, die zurzeit bei den im Hafen tätigen Firmen zu beobachten sei. Die geopolitischen Veränderungen, die Verschiebung von Lieferketten, das alles wirke sich auch auf den Rostocker Hafen aus. Die Unsicherheit rühre vor allem daher, dass es unterschiedliche Sanktionspakete gibt und es nicht ganz klar ist, wo diese Spirale endet. Ebenso wenig klar sei, wen die Sanktionen betreffen und ob Firmen schnell genug Verträge mit alternativen Bezugsländern schließen können, um Lieferausfälle durch ein EU-Embargo oder überlastete Lieferketten zu vermeiden. Ein Sprecher des Stromversorgers EnBW zum Beispiel hält die Situation für die weitere Versorgung mit Steinkohle auch ohne Russlands Rohstoffe für kontrollierbar. EnBW betreibt unter anderem das Rostocker Kohlekraftwerk. Zurzeit steht hier eine große Revision an, bis Anfang Juni ist das Kraftwerk abgeschaltet. Künftig soll die Kohle für das Kraftwerk aus den USA, aus Südafrika oder Südamerika kommen, so der EnBW-Sprecher.
Schwieriges Umfeld, positiver Ausblick
Trotz der schwierigen Situation bleibt Hafenchef Scharner optimistisch, man beobachte aktuell mehr Verkehr im Hafen, ausgelöst vor allem durch zusätzliches Geschäft durch die neuen Lieferrouten. Der Fährverkehr mit Skandinavien ist weiter auf hohem Niveau. Man sei bereit, die Kapazitäten bei Bedarf auch noch weiter hochzufahren, etwa beim Umschlag von Öl. Zuletzt verweist Scharner noch darauf, dass der Rostocker Seehafen in seiner mehr als sechs Jahrzehnte langen Geschichte schon zahlreiche Krisen bewältigt habe - und das werde auch diesmal gelingen.
