Eine Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine auf einem Bahnsteig im Stettiner Bahnhof. © Sven-Peter Martens Foto: Sven-Peter Martens

Pomerania – Polen und der Krieg in der Ukraine

Stand: 19.05.2022 13:45 Uhr

Polen ist nicht nur unser direktes Nachbarland, sondern auch das der Ukraine. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind mehr als drei Millionen Menschen nach Polen geflüchtet, vorwiegend Frauen und Kinder. Wie gehen unsere Nachbarn in der Metropolregion Stettin mit dieser Herausforderung um?

von Birgit Steinfeldt

Schon vor dem Krieg lebten bereits zahlreiche Ukrainer in Polen. Viele von ihnen sind im Nachkriegspolen aus den östlichen Landesteilen hierher zwangsumgesiedelt worden – bei der Aktion Weichsel 1947. Eine weitere Flüchtlingswelle gab es 2014 nach der Annexion der Krim durch Russland. In den vergangenen Jahren sind viele Ukrainer, vor allem Männer, aus wirtschaftlichen Gründen zum Arbeiten nach Polen gekommen.

Auch in Stettin gibt es eine ukrainische Minderheit, die ein Kulturzentrum betreibt. Dort werden Sprachkurse angeboten, es gibt eine Bibliothek und alljährlich werden ukrainische Kulturtage veranstaltet. Vor dem Krieg lebten etwa 50.000 Frauen, Männer und Kinder mit ukrainischen Wurzeln in Stettin. Mit Stand Mitte Mai 2022 sind 40.000 hinzugekommen. Wenn wir davon ausgehen, dass in Stettin 400.000 Menschen zu Hause sind, dann ist die Einwohnerzahl in der Stadt um 10 Prozent gewachsen. Ähnlich ist die Situation in den anderen großen Städten, wie Warschau, Krakau, Breslau oder eben Stettin. Nur wenige Geflüchtete wollen in den ländlichen Raum.

Angst vor dem Krieg

Der Krieg in der Ukraine lässt in Polen Erinnerungen und Ängste wieder aufleben. Der Vorsitzende der deutsch-polnischen Gesellschaft Vorpommern, Marek Fialek sagt: "Die meisten Polen haben wirklich Angst vor dem Krieg und glauben auch, dass der Krieg zu ihnen kommen kann. Viele Polen denken, wenn Putin die Ukraine besetzt, wird er weitergehen." Deshalb ist auch die Hilfsbereitschaft so groß, es sind einfach andere Themen wichtiger als innenpolitische Konflikte.

NDR 1 Radio MV - Dorf Stadt Kreis: Annette Ewen und Mirja Freye © iStock Foto: golero
AUDIO: #82 Polen und der Krieg in der Ukraine (21 Min)

Gesellschaft rückt zusammen

Die Solidarität der Polen für die ukrainischen Geflüchteten, die als Gäste willkommen geheißen werden, ist sehr groß. Die meisten wurden privat aufgenommen, die Familien rücken zusammen und kümmern sich. Nach der Registrierung und der Vergabe einer Personalnummer können die Menschen aus der Ukraine ganz normal zum Arzt gehen, sich eine Arbeit suchen oder ein Konto eröffnen, die Kinder gehen zur Schule.

Die Bereitschaft, Menschen aufzunehmen, ist immer noch da. Aber nach drei Monaten setzt auch eine Art Ermüdung ein, weil der Krieg schon so lange dauert, damit habe niemand gerechnet, so Marek Fialek. Es gab – staatlicherseits – Ankündigungen, dass es eine Entschädigung geben soll, aber die Auszahlung läuft nur schleppend an.

Polens internationale Rolle gestärkt

Die große Hilfe und Unterstützung der Polen für die Ukraine wird international wahrgenommen und positiv bewertet, so war US-Präsident Biden im März in Warschau. Mit ein wenig Schadenfreude schauen die Polen in Richtung Deutschland, so die Einschätzung von Marek Fialek: "Wir Polen waren schon etwas enttäuscht, dass Deutschland und Russland mit Nordstream 2 gemeinsame Politik gemacht haben, dass man das jahrelang als Wirtschaftsprojekt bezeichnet hat, obwohl für uns Polen immer klar war, das ist es einfach nicht und wir haben immer gewarnt, aber keiner wollte auf uns hören."

Wirtschaftliche Lage Polens stabil

Die polnische Wirtschaft ist bislang gut durch die beiden Krisen gekommen, also durch Pandemie und Krieg. Das sagt der IHK-Hauptgeschäftsführer Thorsten Haasch: "Es gibt keinen Einschnitt auf der polnischen Seite – das Wirtschaftswachstum ist stabil, deutlich besser als in Deutschland." Was fehlt sind die vielen Tausend Arbeitskräfte aus der Ukraine, vor allem in der Logistikbranche. Die Männer sind zurück in ihre Heimat, um zu kämpfen. Im Ergebnis kehren viele polnische Kraftfahrer, die bisher bei deutschen Speditionen angestellt waren, wieder nach Polen zurück, weil sie dort gute Bedingungen vorfinden. "Das heißt, wir haben da durch den Krieg in der Ukraine Arbeitskräftepotential verloren und so ist die Situation auf beiden Seiten der Grenze identisch", so die Einschätzung von Thorsten Haasch.

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Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 19.05.2022 | 13:45 Uhr

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