Benedict Schneebecke, Sanddorn-Landwirt aus Alt Steinhorst bei Marlow © ndr.de Foto: ndr.de
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AUDIO: Warum stirbt der Sanddorn? (3 Min)

"Pflanzenkriminologen": Wissenschaftler erforschen das Sanddornsterben in MV

Stand: 19.11.2022 08:28 Uhr

Warum stirbt der Sanddorn in Mecklenburg-Vorpommern? Seit fast zwei Jahren versuchen Wissenschaftler in einem Verbundprojekt darauf Antworten zu finden. Es ist eine Spurensuche, die die Forschenden staunen lässt.

von Person A, Franziska Drewes

Auf dem Gelände der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei in Gülzow (Landkreis Rostock) schließt Daniela Kuptz eine Tür zu einem Gewächshaus auf. Hier standen vier Monate lang Sanddornpflanzen der gängigen Sorte "Leikora" - Topf an Topf. Ziel ist, möglichst optimale Anbaubedingungen für den Sanddorn herauszuarbeiten, um vitale Pflanzenbestände zu erhalten. Deshalb rückte auch die Düngung in den Fokus der Wissenschaftler.

Der Sanddorn gilt als eher anspruchslose Pflanzenart, die auch auf kargen Böden gedeihen kann, erzählt Kuptz. Sie begleitet das Projekt wissenschaftlich. Insgesamt wurden 96 Pflanztöpfe jeweils zur Hälfte mit unterschiedlicher Erde gefüllt. Sie stammt einmal von einem Gemüsefeld der Landesforschungsanstalt in Gülzow und zum anderen aus dem Agrarbetrieb Forst Schneebecke in Alt Steinhorst bei Marlow. Dort stirbt seit Jahren der Sanddorn großflächig.

Bodenbeschaffenheit hat Einfluss

Die Analysen zeigen bislang, dass beide Böden unterschiedliche Merkmale aufzeigen, etwa im Humusgehalt sowie beim pH-Wert und Tonanteil. "In Marlow ist der Boden eher sandig, während wir in Gülzow einen schwach-lehmigen Sand haben", so Kuptz. Das scheint ein kleiner, feiner Unterschied zu sein. Denn alle Pflanzen in den Spezialtöpfen haben identisch viel Wasser und Stickstoffdünger erhalten. Ein knappes Gramm Dünger gab es pro Topf. Umgerechnet entspricht dies 100 Kilogramm Stickstoff auf einem Hektar Feldfläche. Ein Viertel der Töpfe wurde nicht gedüngt, um auch diesen Einfluss zu untersuchen. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Pflanzen in beiden Böden auf Stickstoff nicht sehr unterschiedlich reagieren. Auch die Pflanzen, die gar nicht gedüngt wurden, wuchsen ähnlich gut.

Das ist erstaunlich, denn Sanddorn besitzt aufgrund einer Symbiose mit "Strahlenpilzen" (Aktinomyzeten), welche den Luftstickstoff binden und damit pflanzenverfügbar machen, die Möglichkeit, auf stickstoffarmen Standorten zu wachsen. Das ist aber sehr energieaufwendig. Die Forscher hatten deshalb die Hypothese entwickelt, dass mithilfe zusätzlicher Stickstoffdüngung die Pflanzen viel kräftiger wachsen würden. Die jetzigen Ergebnisse zeigen, dass es insgesamt notwendig ist, die Sanddornpflanzen vielmehr in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Denn der Versuch hat viele neue Fragen aufgeworfen: Welche Rolle spielt die Symbiose für den Gesundheitszustand der Pflanze? Welche Bedeutung haben dabei die Bodenbeschaffenheit, der pH-Wert, der Humusgehalt?

Spurensuche für Sanddornsterben

Noch immer ist völlig unklar, warum der Sanddorn stirbt. Die Wissenschaftler vermuten, dass es sich dabei um ein komplexes Geflecht aus mehreren Ursachen handelt. Kuptz muss sich sehr in Geduld üben. Sie kommt nur in Mini-Schritten voran und sieht sich dabei als Pflanzenkriminologin. "Ich staune über diese Pflanze und ich habe den Eindruck, ich muss mich über die Versuche hinaus mit der Pflanze beschäftigen und alles aufsammeln, was ich finden kann. Und das finde ich immer bei Kriminologen so spannend, weil die ja auch immer die Ganzheit versuchen zu erfassen, von einem Täter, der vielleicht auch mal Opfer war."

Partner des Forschungsprojektes ist auch das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Dossenheim. Es ist für die Pflanzenpathologie zuständig. Die Wissenschaftler dort führen ebenfalls Experimente durch. Sie haben gesunde Sanddornpflanzen mit Pilzen infiziert. Diese wurden zuvor in Böden entdeckt, auf denen kranke Pflanzen standen. Es soll nun geprüft werden, ob die gefundenen Pilze in der Lage sind, die gesunden Pflanzen zu infizieren, und ob mögliche Krankheitssymptome denen der kranken Pflanzen im Feld gleichen. Ergebnisse liegen aktuell noch nicht vor.

Landwirt pflanzt nicht mehr nach

Auf den Flächen von Landwirt Benedikt Schneebecke bei Marlow ist nahezu jeder Sanddornstrauch bereits abgestorben. Der Betrieb hat ursprünglich auf einer Fläche von 70 Hektar die Frucht angebaut. Mittlerweile steht die Pflanze noch auf sieben Hektar, aber auch dort gibt es bereits große Ausfälle. "Aktuell pflanze ich nicht mehr nach, weil das Risiko einfach viel zu hoch ist, zu investieren und junge Pflanzen mit viel Aufwand zu pflanzen." Schneebecke baut nun verstärkt Weihnachtsbäume an und vermarktet diese landesweit. Dennoch verspricht sich der Landwirt viel von dem Forschungsprojekt. "Denn wenn auf einmal erkannt würde, woran es liegt, dann wäre auch die Möglichkeit wieder da, wieder einzusteigen. Aber solange es dort keine Ergebnisse gibt, werde ich persönlich aussteigen und nicht weiterpflanzen."

Neue Sorten für MV

Anfang nächsten Jahres will Forscherin Kuptz mit der Auswertung der Bodendaten aus den Düngeversuchen fertig sein. Die Wissenschaftlerin glaubt fest daran, dass der Sanddornanbau in Mecklenburg-Vorpommern eine Zukunft hat. "Wir haben international so viele Sanddornsorten und so viel Expertise über den Sanddorn, dass da Möglichkeiten bestehen, wenn man sich da noch mehr austauscht. Und wir werden uns jetzt im Rahmen des Projektes auf der Internationalen Sanddornkonferenz in Griechenland präsentieren. Die soll nächstes Jahr stattfinden. Davon erhoffe ich mir noch einmal mehr mutmachende Informationen."

In Ludwigslust und auf Usedom werden gerade alpine Sanddornsorten versuchsweise angebaut. Die Wissenschaftlerin von der Landesforschungsanstalt in Gülzow denkt auch über ganz neue Sorten nach, die erst noch gezüchtet werden müssen. "Uns schwebt eine Züchtung aus deutschen und ausländischen Sorten vor. Wichtig ist dabei, die Zucht an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Denn die heimischen Sanddornsorten stammen alle aus den 1970er- und 80er-Jahren." Dafür müssen die Forscher aber erst noch herausfinden, warum genau der Sanddorn stirbt, ob auch der Klimawandel einen entscheidenden Einfluss hat. Etwa durch Trockenheit und lange Hitzeperioden. Das Forschungsprojekt läuft vorerst bis Ende 2023. Es wird aus Bundesmitteln finanziert.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 19.11.2022 | 12:00 Uhr

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