Lichtenhagen-Pogrom: Tausende demonstrieren in Rostock gegen Rassismus
30 Jahre nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen haben am Sonnabend in dem Stadtteil mehrere Tausend Menschen gegen Rassismus demonstriert und der fremdenfeindlichen Krawalle im August 1992 gedacht.
"Erinnern heißt verändern", "Solidarität statt Ausgrenzung" und "Stoppt die Brandstifter" forderten die Demonstranten unter anderem auf ihren Bannern. Die Polizei sprach von 3.600 Teilnehmern zu Beginn des Demonstrationszugs, die Organisatoren schätzten dagegen 5.000 Teilnehmer nach Beginn des Demonstrationszuges. Viele junge Familien waren darunter, aber auch ältere Menschen nahmen teil.
Abschlusskundgebung am "Sonnenblumenhaus"
Das aus verschiedenen Gruppen und Vereinen formierte Bündnis "Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992" hatte in ganz Deutschland für die Demonstration mobilisiert, die unter den Blicken von Anwohnern durch Lichtenhagen und einen angrenzenden Stadtteil führte. Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund riefen, zumeist auf Englisch, Botschaften wie "Kein Rassismus" oder "Abschiebungen stoppen". Es gab mehrere Kundgebungen. Die Abschlusskundgebung fand am "Sonnenblumenhaus" statt, dem elfstöckigen Plattenbau-Gebäude, an dem die Ausschreitungen vor 30 Jahren begonnen hatten.
Organisatoren: Politische Folgen der Ausschreitungen noch immer aktuell
Nach Aussage von Imam-Jonas Dogesch, dem Sprecher der Organisatoren, sind die politischen Folgen der Ausschreitungen immer noch aktuell. So habe die danach beschlossene Asylrechtsverschärfung de facto das Recht auf Asyl abgeschafft. Flüchtlinge seien außerdem immer noch von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt. 30 Jahre lang sei zudem die Perspektive von Sinti und Roma nicht beachtet worden, die auch von den Ausschreitungen betroffen waren. Andere Redner betonten, dass Lichtenhagen kein Einzelfall gewesen sei und verwiesen auf andere Angriffe Anfang der 1990er-Jahre.
Polizei: Demo verlief friedlich
Polizei und Sicherheitsorgane wurden teilweise deutlich in Sprechchören kritisiert, etwa wegen des Umgangs mit den Morden der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU. Seyhmus Atay-Lichtermann, Vorsitzender des Migrantenrats Rostock, sagte im Rückblick auf die Ausschreitungen in Lichtenhagen, Politik, Polizei und weitere Verantwortliche hätten damals versagt. Die Erinnerung an das Pogrom müsse wachgehalten werden, um erneute Anschläge zu verhindern. Menschen müssten sich entschieden gegen Rassismus, Antiziganismus, Islamophobie stellen. Von der Polizei hieß es am Abend, Demonstration und Kundgebungen seien friedlich verlaufen.
Tagelange Krawalle im August 1992
Vom 22. bis zum 26. August 1992 hatten Anwohner und Neonazis unter dem Applaus zahlreicher Schaulustiger die im "Sonnenblumenhaus" untergebrachte Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende und ein Wohnheim für vietnamesische Arbeiter angegriffen und teils in Brand gesetzt. Im Verlauf der vier Tage gerieten rund 150 Menschen in akute Lebensgefahr. Die Polizei bekam die Lage tagelang nicht unter Kontrolle. Mehr als 200 Polizisten wurden verletzt, einer davon schwer. Die Ausschreitungen gelten als die schlimmsten rassistischen Übergriffe der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Korrektur: In einer früheren Fassung hieß es, die Veranstalter schätzten die Teilnehmerzahl auf 10.000 Demonstrierende. Später teilten die Organisatoren jedoch mit, dass es 5.000 gewesen seien.