Eine Statue von Justita. © agefotostock

Justiz MV: Sorge vor Stellenabbau durch die kalte Küche

Stand: 13.01.2023 16:40 Uhr

In der Justiz des Landes steht möglicherweise ein massiver Stellenabbau an. Pläne des Finanzministeriums sehen offenbar vor, dass jeder dritte freiwerdende Posten nicht wieder besetzt werden soll. Nach NDR-Informationen sind die Spitzen von Gerichten und Staatsanwaltschaft intern darüber informiert worden. Das Ministerium warnt hingegen vor Panikmache.

Rolle rückwärts bei den vollmundigen Ankündigungen für eine stärkere Justiz? Sparpläne des Finanzministeriums sorgen für Unruhe. Der Hintergrund: Das Land muss in der Krise sparen. Finanzminister Heiko Geue (SPD) sucht deshalb im geplanten Doppelhaushalt 2024 und 2025 nach Spielräumen für Kürzungen. Eine Möglichkeit: Stellenabbau in bestimmten Bereichen. Bei der Polizei, den Schulen und auch dem Landtag soll nicht gestrichen werden. Kürzungen im Lehrpersonal oder bei Polizisten scheinen politisch kaum vermittelbar - auch das Parlament gilt als "heilige Kuh".

Ministerin verkündet intern Spar-Ideen

Offenbar soll es aber die Justiz treffen. Geue und seine Staatssekretärin Carola Voß schmieden an entsprechenden Ideen, die im Ministerium von Jaqueline Bernhardt (Linke) in dieser Woche schon verkündet wurden und für Unruhe sorgen. Geplant ist demnach, vom nächsten Jahr an ein Drittel aller Stellen, die durch Pensionierung frei werden, nicht wieder zu besetzen - mit eklatanten Folgen angesichts einer bevorstehenden Ruhestands-Welle: 260 Richter verlassen in den nächsten zehn Jahren nach Berechnungen des Ministeriums altersbedingt die Gerichte, mehr als 80 Stellen würden wegfallen. Bei den Staatsanwaltschaften gehen bis 2033 rund 66 Ermittler in den Ruhestand - 22 Posten würden gestrichen.

Jeder sechste Posten würde wegfallen

In der Summe macht das mehr als 100 Stellen, die der Justiz fehlen würden. Denn damit würde jeder sechste Posten wegfallen. Schon jetzt klagen etliche Mitarbeiter in der Justiz über zu hohe Belastungen, Verfahren an einigen Kammern dauern oft unerträglich lange. Ein Insider sagte, bei Verfahren zu Baumängeln vergingen beispielsweise in Schwerin drei Jahre bis zu einem Urteil. Bei einer Revision vor dem Oberlandesgericht seien es noch einmal drei weitere Jahre.

"Gerichte und Staatsanwaltschaften unterbesetzt"

Der Richterbund hatte zuletzt 44 zusätzliche Stellen gefordert. Gerichte und vor allem die Staatsanwaltschaften seien unterbesetzt. "Die Justiz muss im Interesse der rechtssuchenden Bevölkerung in die Lage versetzt werden, neu eingehende Fälle zügig zu erledigen und die aufgelaufenen Bestände abzuarbeiten", erklärte der Verband im Mai 2022 nach einer Anhörung im Landtag.

Sorge um Arbeitsfähigkeit der Justiz

Der Landesvorsitzende des Richterbundes, Michael Mack, zeigte sich angesichts der Kürzungspläne verwundert. Er warnte vor einem "rechtlichen Vakuum". Mack sorgt sich um die Arbeitsfähigkeit der Justiz, Bürger könnten nicht mehr zu ihrem Recht kommen. "Wir haben aber die Hoffnung, dass das Land zu vernünftigen Lösungen kommt." Diese Hoffnungen ruhen vor allem auf der Ministerin. Sie steht im Wort. Denn Bernhardt kündigte Anfang 2022 noch an, neue Stellen zu schaffen, um die bevorstehende Pensionierungswelle abzumildern. Doch davon scheint nicht viel übrig. Bernhardt und ihr Staatssekretär Friedrich Straetmanns (Linke) seien vor dem Finanzministerium "eingeknickt", heißt es aus Justizkreisen. Allgemein wird eine "Geringschätzung" der Justiz bedauert.

Stellenabbau angeblich abgemildert

Das Ministerium, so heißt es, soll sich jedoch zugutehalten, dass ein lange geplanter Stellenabbau abgemildert wurde. Offenbar müssen kurzfristig statt 40 Stellen nur 20 Dienstposten gestrichen werden - angesichts der anderen bevorstehenden Kürzungen mutet das jedoch eher gering an. Im ihrem Koalitionsvertrag "Aufbruch 2030" hatten sich SPD und Linke dazu bekannt, "die Justiz als Teil einer modernen Landesverwaltung leistungsstark und zukunftsfest" aufzustellen. Man werde "den Bestandsabbau der Verfahren an den Gerichten weiter voranbringen" und wolle "die Dauer der Verfahren verkürzen". In den Augen von Finanz-Staatssekretärin Voß bleibt es auch dabei. Die Pläne hätten mit Kürzungen oder Einsparungen jedenfalls "überhaupt nichts zu tun".

Behördenarbeit "modern organisieren"

Es gehe vielmehr darum, ein "zentrales Nachbesetzungsverfahren" in der Landesverwaltung aufzubauen. Künftig werde es immer schwieriger, geeignete Bewerber zu finden. Aber auch mit weniger Personal müsse der Staat handlungsfähig bleiben. Die einzelnen Ressorts müssten deshalb Arbeit neu und modern organisieren, in der Justiz zum Beispiel mit der E-Akte, in der Verfahren digital verwaltet werden. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht ein zentraler Stellenpool, der aus den nicht wiederbesetzen Dienstposten einzelner Ministerin gespeist werden soll. Die Häuser könnten sich aus diesem Pool für bestimmte Projekte "bedienen" - Entscheidungen treffe eine Lenkungsgruppe unter Führung des Finanzministeriums, so Voß.

Staatssekretärin: Noch ist nichts beschlossen

Sie meinte, auch das Justizministerium könne auf diesen Pool zurückgreifen. An eine Kürzung bei den Richter- und Staatsanwaltsstellen sei nicht gedacht. Die Staatssekretärin bestätigte, dass Polizei, Schule und auch der Landtag von dem Verfahren ausgenommen seien. Noch sei nichts beschlossen, es gebe weitere Gespräche. Am kommenden Dienstag werde das Kabinett über die Pläne zum "zentralen Nachbesetzungsverfahren" beraten. Justizministerin Bernhardt wollte auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben, sie werde erst die Kabinettsentscheidung abwarten und sich anschließend äußern, hieß es aus dem Ministerium.

Grüne: Klarer Bruch von Wahlversprechen

Die Pläne haben dagegen die Landtags-Opposition alarmiert. AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer vermisst eine "Rückendeckung für den Rechtsstaat". Die Rechtsexpertin der Grünen-Fraktion, Constanze Oehlrich, erklärte: "Bei den aktuellen Plänen der rot-roten Koalition handelt es sich um einen klaren Bruch ihrer Wahlversprechen." Noch im vergangenen Jahr habe Bernhardt angekündigt, neue Stellen zu schaffen, um die anstehende Pensionierungswelle in der Justiz abzumildern. "Daran muss sie sich nun messen lassen", meinte Oehlrich. Der FDP-Fraktionsvorsitzende René Domke kritisierte die Pläne ebenfalls. Den Rechtsstaat stärke man nicht durch einen massiven Stellenabbau. Das Land müsse mehr für die Nachwuchsgewinnung tun, auch deshalb sei es wichtig, an der Universität Rostock wieder einen Jura-Studiengang aufzubauen.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 13.01.2023 | 06:00 Uhr

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