Gazprom halbiert Gasmenge über Pipeline Nord Stream 1
In Lubmin kommt jetzt noch einmal weniger Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 an. Der russische Konzern Gazprom hatte angekündigt, die Auslastung von 40 Prozent weiter auf 20 Prozent täglich zu reduzieren.
Die zunächst für 6 Uhr am Mittwochmorgen angekündigte Drosselung verschob sich auf 8 Uhr. Anschließend war auf der Nord-Stream-1-Website bereits ein reduzierter Durchfluss an den beiden Anschlusspunkten im vorpommerschen Lubmin abzulesen. Zwischen 9 und 10 Uhr wurden schließlich die angekündigten gut 14 Millionen Kilowattstunden pro Stunde erreicht. Damit kann Deutschland jetzt im Sommer immer noch Gas einspeichern, wie der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, am Mittwoch im Deutschlandfunk sagte. Im Herbst ändere sich die Lage aber - deswegen seien schon jetzt "alle Sparanstrengungen notwendig".
Bundesregierung geht von politischen Gründen aus
Russland hatte die Reduzierung damit begründet, dass westliche Sanktionen im Zuge des Krieges in der Ukraine für Probleme bei der Reparatur und Wartung von Gasturbinen sorgen. So sei der Grund für die erneute Drosselung eine Turbine, die für eine Routinewartung abgeschaltet werden müsse. Auf die Lieferung einer in Kanada reparierten Ersatzturbine werde immer noch gewartet. Die Bundesregierung hält das für vorgeschoben und sieht politische Gründe hinter der Drosselung.
Bundesregierung: Lassen uns nicht von Kreml-Machtspiel beeindrucken
"Wir sehen dafür wie schon zuvor keine technischen Ursachen", sagte eine Regierungssprecherin am Mittwoch. "Was wir hier sehen, ist tatsächlich ein Machtspiel, und davon lassen wir uns nicht beeindrucken." Eine gewartete Turbine sei bereit, an den russischen Energiekonzern Gazprom übergeben zu werden, damit sie eingesetzt werden könne. Die Sprecherin machte klar, Deutschland könne sich nicht mehr auf Russland als Gaslieferant verlassen. Die Bundesregierung habe viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Energieinfrastruktur zu diversifizieren und den Verbrauch zu reduzieren. Auch Netzagentur-Chef Müller kritisierte, Gas sei inzwischen Teil der russischen Außenpolitik, der russischen Kriegsstrategie.
Liefermenge schon im Juni auf 40 Prozent gesenkt
Die erneute Reduzierung könnte zu einem Gasmangel in Deutschland führen. Die Bundesregierung versucht, mit alternativen Versorgungswegen und Einsparungen gegenzusteuern. Bereits im Juni hatte Gazprom die Lieferungen über die Pipeline auf 40 Prozent der Maximalkapazität gedrosselt und auf die zur Reparatur nach Kanada verschickte Turbine verwiesen.
Energieexpertin Kemfert: Können Gasmangellage abwenden
Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung meint, Deutschland habe es noch selbst in der Hand, eine Gasmangellage abzuwenden. Dafür seien einige Punkte erforderlich: Erstens aus anderen Ländern noch mehr Gas beziehen. "Schon über 70 Prozent kommen aktuell schon aus anderen Ländern", so Kemfert bei NDR MV Live. Zudem müsse mehr eingespart werden. "Da tut die Wirtschaft auch schon einiges. Der Gasverbrauch geht deutlich zurück." Das müsse nun aber auch bei den Haushalten passieren. "Die Gaspreise werden explodieren und deshalb muss man sowieso, um Kosten zu senken, mehr Gas einsparen", so Kemfert weiter. Außerdem müssten die Gasspeicher weiter gefüllt werden.
Nord Stream 2 ans Netz? "Absurd"
Die Forderung von sieben Bürgermeistern der Insel Rügen, die Pipeline Nord Stream 2 ans Netz zu nehmen, hält Kemfert für "absurd". Wenn Russland wirklich liefern wollte, könnte es das heute schon tun, so Kemfert. "Ich denke schon, dass es politische Gründe hat, dass man diese Pipeline ins Spiel bringt und sie jetzt unbedingt ans Netz bringen oder zumindest das diskutieren lassen will, um zu spalten. Das ist sowieso das Hauptziel in jeglicher Hinsicht. Rein technisch ist es nicht ratsam und aus politischen Gründen auch nicht."
Bundesnetzagentur sieht erste Gas-Einsparerfolge
Wann in Deutschland eine Gasmangellage ausgerufen werden muss, "kann ich schlicht nicht vorhersagen", so Netzagentur-Chef Müller im Deutschlandfunk. Das hänge unter anderem von der Temperatur im Herbst, von den Einsparerfolgen der Industrie, den Lieferungen der Nachbarländer und der Inbetriebnahme der Flüssiggas-Terminals ab. Müller lobte erste "Einsparerfolge": Private Haushalte und die Industrie verbrauchten "auch temperaturbereinigt fünf, sechs, sieben Prozent weniger Gas".