"Einer von uns" - Wenn ein Feuerwehrmann verhaftet wird

Stand: 05.12.2022 11:40 Uhr

Ein Kamerad von ihnen soll der mutmaßliche Brandstifter von Groß Strömkendorf sein. Wie geht die Feuerwehrmannschaft in Blowatz damit um?

von Martina Scheller

Mit schlaffen Schultern schlurft Niels Harder durch seine kleine Feuerwehr in Blowatz bei Wismar. Die schwarze Feuerwehrjacke liegt schwer auf den schmalen Schultern des 37-Jährigen. In diesen Wochen scheint sie noch mehr an Gewicht zugenommen zu haben - oder dem Wehrführer ist die Kraft abhanden gekommen. Er kämpft um den Zusammenhalt seiner Feuerwehr, er kämpft um Normalität und er kämpft gegen die Erschütterung an. Er kommt aus dem Umkleideraum. Dort hängt auch noch immer die Uniform des Kameraden, der vor gut zwei Wochen verhaftet wurde. Der Vorwurf gegen den Mann wiegt schwer: Er soll Brände gelegt haben, mindestens fünf, darunter auch den Brand in der Flüchtlingsunterkunft in Groß Strömkendorf. Sein Name steht noch an seinem Schrank. Niemand schaut hin. Niemand hier will wahrhaben, was passiert ist.

Von Erfahrung als Berufsfeuerwehrmann profitiert

Niels Harder, Wehrführer in Blowatz © Screenshot
Niels Harder ist seit fünf Jahren der Wehrführer in Blowatz.

Helm, Jacke, Hose, zwei Paar Schuhe. Alles ordentlich, griffbereit. Feuerwehrmann, das war sein Leben. Privat und beruflich. Er hat sich eingebracht, sagen seine Kameraden bei der Freiwilligen Feuerwehr in Blowatz. "Wir haben von seiner Erfahrung als Berufsfeuerwehrmann profitiert", sagt Frank Scholz, der stellvertretende Wehrführer. Seit zweieinhalb Jahren ist der Tatverdächtige hier Mitglied, er war Übungsleiter und Gruppenführer. Er war ehrgeizig und engagiert. Vielleicht zu viel? "Man traut das ja niemanden zu und vielleicht mag man das auch nicht wahrhaben wollen", meint Wehrführer Harder: "Wenn man da irgendeine Kleinigkeit sieht, die vielleicht irgendwo verdächtig ist, dass man dann eine Verbindung sieht. Die sieht man in der großen Konstellation erstmal gar nicht."

Serie mit mindestens 19 Bränden

Niels Harder ringt um Worte. Seit fünf Jahren ist er der Wehrführer in Blowatz. Immer wieder schüttelt er traurig den Kopf, wenn er darüber redet, wie es ihnen geht, den 32 Kameradinnen und Kameraden. Seit dem Frühjahr brennt es im Amt Neuburg-Steinhausen immer wieder. Mindestens 19 Brände ordnet die Polizei einer Serien zu. Dreimal mehr Einsätze als in anderen Jahren ist das Fazit am Ende dieses Jahres. Die Einsätze zehren an den Kräften der Feuerwehrleute. Zwei von ihnen musste Wehrführer Harder in das brennende reetgedeckte Haus in Groß Strömkendorf schicken. Eine Verantwortung, die dem jungen Mann schlaflose Nächte bereitete. "Ich konnte nur darauf hoffen, dass meine gut ausgebildeten Leute da wieder unverletzt rauskommen. Aber das weiß man nie, wenn man die Entscheidung trifft."

Ein Einsatz wie noch nie

Seite an Seite löschte er das Feuer ausgerechnet mit dem Mann, den die Staatsanwaltschaft Schwerin für den Brand verantwortlich macht. Zumindest gibt es einen dringenden Tatverdacht. Mehrere Zeugen sind immer wieder auf diesen einen Namen gekommen. Er sitzt in Untersuchungshaft. Seine Partnerin, auch sie ist in der Freiwilligen Feuerwehr, ist abgetaucht. Nicht nur für sie, auch für seine andere Familie, der Feuerwehrfamilie, ist eine Welt zusammengebrochen. "Wir mussten schmerzlich lernen, dass ein Kamerad sich nicht kameradschaftlich verhält", so der stellvertretende Wehrführer Scholz. "Wir sind in einem Schwebezustand und können nicht offen hier in der Feuerwehr darüber reden, weil einfach noch kein Urteil gefällt wurde." Auch deshalb kann Niels Harder nicht wütend sein. Sie müssen erst das Urteil abwarten, sagt er müde. Zwei Stunden hat er in der Brandnacht vom 19. auf den 20. Oktober geschlafen, seine Frau mit den drei kleinen Kindern zu Hause gelassen. Einen Einsatz wie den in Strömkendorf hat noch kein Feuerwehrmann in der ganzen Region erlebt.

Umfeld steht zu der Feuerwehr

Die Menschen in seiner Gemeinde halten zu ihm und den anderen Feuerwehrleuten. Der Bürgermeister, die Gemeindevertreter, die Einwohner, sie alle stehen zu ihnen und wollen ihnen Mut machen, dass es irgendwie weiter geht, dass sie nicht Schuld sind. Das stärkt einen, sagt der Wehrführer, der auch Landwirt im Nachbardorf ist. "Wir leben hier, wir werden jeden Tag darauf angesprochen, das ist das Thema Nummer eins. In dem kleinen Dorfkonsum steht eine kleine Spendenfeuerwehr für unsere Jugend. Die war noch nie so voll wie jetzt," sagt Niels Harder, der sich einfach nur Normalität wünscht.

Der Elefant im Raum

Jeden Freitag treffen sie sich. Erst trainiert die Jugendfeuerwehr. Danach wären die Erwachsenen dran, aber ihr Übungsleiter sitzt nun im Gefängnis. Sie kommen trotzdem, aber nicht alle. Einige können oder wollen nicht über das reden, was unter der Oberfläche brodelt. Der Wehrführer hat Angst vor einer Spaltung seiner Feuerwehr. Einige möchten einfach nicht glauben, dass es einer von ihnen war. Bier, Apfelschorle, Kaffee, Salzstangen und Kekse werden über den kleinen Tresen der Teeküche gereicht. Man plaudert, versucht das auszuklammern, was alle beschäftigt. Kommt man doch genau auf dieses eine Thema, herrscht plötzlich betretendes Schweigen. Die Blicke senken sich. Eine Traurigkeit macht sich breit. Und man spürt, dass es nicht vieler Worte braucht, um das zu beschreiben, was in ihnen vor sich geht. Es ist ein großer Kummer. Und die Frage bleibt: "Wie werden wir damit fertig, dass es einer von uns gewesen sein soll?"

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 05.12.2022 | 12:00 Uhr

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