Das Wismar-Wrack: Ein Mittelalterschiff für die Nachwelt

Stand: 29.04.2023 13:25 Uhr

Vor etwa sieben Jahren entdeckten Archäologen um Jens Auer vom Landesamt für Denkmalpflege MV drei Wracks aus der frühen Hansezeit in der Hafeneinfahrt von Wismar - eines gilt als Sensation. Nun kehrt das Wismar-Wrack in seine ursprüngliche Heimat zurück, wo es aufwendig konserviert wird.

von Kjartan Stopa, Martin Möller

Das unterste der Wracks entpuppte sich als archäologische Sensation, weil es ungewöhnlich gut erhalten ist. Das Schiff ist ein schneller Segler, gebaut wie die berühmten Wikingerboote. Mit einer Länge von 26 Metern und einer Breite von 8 Metern ist es ungewöhnlich groß. Die Bergung war aufwendig. Im Jahr 2018 kamen alle 300 Einzelteile in eine Halle des Landesamtes für Denkmalpflege in Schwerin, wo sie präzise vermessen, nummeriert und vorläufig konserviert wurden. Nun geht das Schiff erneut auf die Reise: nach Dänemark ins Nationalmuseum, wo die berühmten Schiffskonservatoren arbeiten. In Brede bei Kopenhagen steht einer der größten Gefriertrockner Europas.

Wismar-Wrack ist älter als die Stadt

Eine Computersimulation des Wracks © Landesamt für Denkmalpflege Foto: Landesamt für Denkmalpflege
Das Wismar-Wrack ist älter als die Hansestadt Wismar.

Gebaut wurde das Schiff um 1184 in Halland, im heutigen Südschweden, damals Teil Dänemarks. Zu Zeiten von Dänenkönig Waldemar II herrschte eine friedliche Periode mit blühendem Seehandel. Getreide, Bernstein, Waren aus ganz Europa, Vorderasien und sogar Persien wurden gehandelt. Das Wismar-Wrack ist ein Zeuge dieser Zeit und sogar älter als die Stadt Wismar, die erst ein paar Jahrzehnte später gegründet wurde. Die Überfahrt von den süddänischen Inseln nach Mecklenburg dauerte bei gutem Wind nur wenige Stunden. Die Skandinavier waren große Schiffbaumeister. Überlappende elastische Planken, die mit Eisennägeln verbunden waren, machten ihre Boote schnell und hochseetauglich. Die Schiffsbauer kamen ganz ohne Säge aus. Alle Planken und Schiffsteile wurden allein mit Äxten und Beilen bearbeitet, erklärt Jens Auer, Unterwasserarchäologe beim Landesamt für Bodendenkmalpflege.    

Altes Handelsschiff im äußerst guten Zustand  

Wie gut das Wismar-Wrack vom Hafenschlick konserviert wurde, zeigt auch die Dichtmasse zwischen den Planken. Sie besteht aus Tierhaaren und Birkenpech und ist auch noch fast vollständig erhalten. Forscher gewinnen so tiefe Einblicke in den Schiffsbau des 12. Jahrhunderts. Die Ursache für den Untergang des Schiffes könnte ein Loch in einer der Seitenplanken sein. An der Bruchstelle fanden die Archäologen Axtspuren, die auf einen Reparaturversuch hindeuten. Aber genau weiß das niemand. Interessant ist auch, dass der Rumpf kaum Schleifspuren aufweist. Schlussfolgerung der Forscher: Das Schiff war nur kurz im Einsatz. Jens Auer sagt darüber hinaus: "Unser Schiff ist so groß, dass es sicherlich jemand Wichtigem gehört hat. Vielleicht einem König, wenigstens aber einem Adligen. Also ein recht wichtiges Fahrzeug." Auer kennt Skandinavien wie seine Westentasche. Er hat viele Jahre lang Forschungstaucher an der Uni Odense ausgebildet und spricht deshalb fließend dänisch. 

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Bei den Konservierungsmeistern

Die Einzelteile reisen im Laster von Schwerin nach Brede bei Kopenhagen. In einer alten Textilfabrik befindet sich die Konservierungsabteilung des Nationalmuseums. Seit den 1960er-Jahren sind die Dänen bekannt für ihre Konservierungstechnik. Die berühmtesten Beispiele sind die Langboote der Wikinger, die heute im Museum am Roskilde Fjord ausgestellt sind. Chef Jan Bruun Jensen erklärt seine Arbeit so: Das alte Eichenholz sieht äußerlich zwar noch gut aus, aber es besitzt keine Zellulose mehr. Die wurde im Hafenschlick abgebaut. Das bedeutet: "Wenn das Holz an frischer Luft trocknet, schrumpft es und wird steif. Deshalb muss das Holz so getrocknet werden, dass es seine Form behält." Nur so passen die Einzelteile am Ende auch wieder zusammen, erklärt Jens Auer. Das ist wichtig, weil alle 300 Teile am Ende wieder zusammengefügt werden müssen.

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Modell einer alten Kogge © Jan Farclas Foto: Jan Farclas

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Aufwendiger Konservierungsprozess

Der Konservierungsprozess besteht aus zwei Schritten. Erst wird das Eichenholz mit einem Polyethylen-Glykol-Wasser-Gemisch imprägniert und anschließend gefriergetrocknet. Das Polyethylen-Glykol dient dabei als Ersatz für die fehlende Zellulose im Holz und schützt die Planken vor Rissen und Deformierung. Alle Einzelteile des Wracks kommen auf eine Art "Blech", das in den runden Gefriertrockner geschoben wird. Die Konservierer um Jan Bruun Jensen achten darauf, dass die schwersten Hölzer am Ende liegen, wo man am besten hinkommt. Einige Hölzer wiegen mehr als 100 Kilogramm. Im Gefriertrockner bleiben sie drei bis vier Monate.

Thore Nyborg, Konservatorin am Nationalmuseum, erklärt die Gefriertrocknung so: "Wir frieren alles bei minus 30 Grad ein. Das Wasser-Polyethylenglykol-Gemisch muss kalt genug sein, anschließend entsteht ein Vakuum. Die Flüssigkeit geht nach und nach vom festen in den gasförmigen Zustand über, das Wasser wird als Eis abgeschieden und entfernt. So vermeiden wir schädliche Feuchtigkeit, da das Wasser gasförmig aus dem Holz entweicht."

Eine "Mona Lisa" der Unterwasserarchäologie - bald im Archäologischen Landesmuseum?

Mindestens vier solcher Bleche mit Holz müssen noch getrocknet werden. Die ersten Teile sind schon fertig konserviert. Jan Bruun Jensen und Jens Auer sind sichtlich zufrieden. Das Holz sieht aus, wie frisch aus dem Wasser geborgen, obwohl es nun getrocknet und mit Chemikalien dauerhaft haltbar gemacht wurde. Von den Wikingerschiffen wissen sie, dass wird viele Jahrzehnte halten. Bis aber wirklich alle 300 Teile haltbar gemacht sind und das Boot wieder zusammengefügt ist, werden wohl noch fünf bis sechs Jahre vergehen. Bis dahin ist dann auch das neue Archäologische Landesmuseum in Rostock fertig. Das Wismar-Wrack soll eines seiner wichtigsten Ausstellungsstücke werden - quasi die Mona Lisa der Unterwasserarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern. 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nordmagazin | 02.05.2023 | 19:30 Uhr

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