Kommentar: Weihnachten ohne Fest
Die Corona-Pandemie betrifft auch das bevorstehende Weihnachtsfest. Große Familienfeiern wird es nicht geben. Ein wenig wird es Weihnachten ohne Fest. Aber gerade deswegen sollten es besinnliche Tage werden.
Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Heribert Prantl, Autor und Kolumnist der "Süddeutschen Zeitung"
Wer Corona leugnet, ist ein Narr. Wer die Schwierigkeiten und die Fehler bei der Corona-Bekämpfung leugnet, ist auch ein Narr. Der harte Lockdown, der jetzt und an Weihnachten in Kraft ist, war und ist, so wie die Dinge jetzt, hier und heute liegen, nicht mehr vermeidbar. Aber: Er ist undifferenziert, er ist so fair wie ein Schlag ins Gesicht. Er ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich wochen- und monatelang um gute Hygienekonzepte bemüht und sie auch umgesetzt haben. Der Lockdown ist objektiv unverhältnismäßig, er ist in seiner Ausgestaltung unschlüssig, er hat unabsehbare wirtschaftliche Folgen. Aber es blieb und bleibt auf die Schnelle nichts anderes übrig.
Corona ist ein Virus, das vor nichts und vor niemand Halt macht, auch nicht vor Weihnachten und den Ritualen, die zu diesem Fest gehören. Man fragt sich manchmal, ob die Angst vor dem Virus womöglich noch gefährlicher und noch ansteckender ist als Virus selbst. Zu den Angstmachern gehört die x-fache Vergrößerung des Virus-Modells, eine Kugel mit roten Saugnäpfen, die den Meldungen über Corona als optische Darstellung sehr oft beigegeben wird. An Weihnachten 2020 ist es so, als hingen diese angstmachenden Darstellungen diesmal als Kugeln am Christbaum.
Weihnachten ohne Rituale und Singen
Es wird ein Weihnachten ohne Weihnachten sein, jedenfalls ohne viele der Rituale, die man mit diesem Fest verbindet. Selbst das Singen, das gemeinsame Singen, das zu Weihnachten so gehört wie die Krippe und der Baum, ist suspekt geworden. Es ist nicht rundweg verboten, aber bemakelt - es gilt als gefährlich, jedenfalls wenn viele singen, in und vor den Kirchen zum Beispiel. Die Angst vor dem Singen ist so groß, dass am Heiligabend nicht einmal auf Abstand und mit Mundschutz gesungen werden soll. In den Kirchen werden die schönen Lieder meist nicht gesungen, sondern unter dem Mundschutz allenfalls gesummt werden.
Corona hat ein Reizklima geschaffen
Dabei braucht das Land Weihnachten, es braucht den Frieden, den dieses Fest in sich trägt. Corona hat ein Reizklima geschaffen. Weihnachten ist ein Fest, das dagegenhält. Weihnachten hat, unabhängig von seinem religiösen Gehalt, eine starke gesellschaftsbindende Kraft. Es ist die Kraft der Gewohnheit, die Kraft, Menschen auch über Meinungsverschiedenheiten hinweg zusammenzubringen. Es ist die Kraft der Tradition, die das Jahr am Ende befriedet. Es ist die Kraft des Rituals, das wirkt und dem Leben Struktur gibt, auch wenn es sich von seinem religiösen Inhalt gelöst hat. Deshalb wird Weihnachten in einer Corona-zerwühlten Welt dringend gebraucht. Es wäre gut gewesen, wenn man den Lockdown an den Weihnachtstagen, hätte lockern können. Die Infektionszahlen waren nicht danach.
Das Miteinander macht die Menschen stark
Weihnachten ist ein Fest, das an die Friedlichkeit der Welt in einer unfriedlichen Zeit erinnert. Und zwar auch dann, wenn die Meinungsverschiedenheiten und Spannungen sich über der Weihnachtsgans lautstark entladen. Aber sie entladen sich, und das sollte man nicht verachten. Es ist ein Fest, das eigentlich daran festhält, dass die Begegnung, dass das Miteinander die Menschen stark macht und nicht schwach. Diese Erfahrung, dieses Erlebnis des Miteinanders soll der Staat auch in diesem Corona-Jahr nicht mit womöglich polizeikontrollierten Geboten und Verboten kaputt machen. Die Politik kann sehr berechtigte Appelle senden in eine ohnehin schon sensibilisierte Bevölkerung; das Geschenk der einzelnen Bürgerinnen und Bürger an die Gesellschaft in Corona-Zeiten ist die Einhaltung der verordneten Kontaktregeln. Dazu braucht es Eigenverantwortung. Denn: Es gibt Grenzen des rechtlich Regelbaren. Weihnachten gehört dazu.
Der Heilige Josef als Vorbild
Meine Lieblingsfigur an Weihnachten ist ein Mann, der in der Krippe steht, aber kein Wort sagt. Er ist die Anti-Figur zu denen, die sich täglich zu Wort melden, die in jeder Talkshow sitzen, die zu jederzeit zu jeder neuen Corona-Statistik etwas Drastisches zu sagen haben. Die Rede ist vom heiligen Josef. Er ist zwar eine Hauptfigur in der bekanntesten Geschichte der Welt, der Weihnachtsgeschichte. Aber er redet nichts. In der ganzen Bibel ist kein einziges Wort aus seinem Mund überliefert. Das gefällt mir in diesem Jahr besonders. Der Mann sollte den Corona-Politikern und den Virologen, vielleicht auch Journalisten ein Vorbild sein. Vielleicht ist ein bisschen mehr Zurückhaltung, eine etwas weniger raumgreifend und exzessive Behandlung und Betrachtung von Corona auch ein Weihnachtsgeschenk. Halten wir uns an den Heiligen Josef als Vorbild.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
