Ciesek im Corona-Podcast: "Die Impfbereitschaft wird zunehmen"
Im NDR Info Podcast Coronavirus-Update erklärt Sandra Ciesek, weshalb sie die zugelassenen Corona-Impfstoffe für sicher hält und warum es sinnvoll sein könnte, den Spielraum für die Gabe der zweiten Dosis auszureizen.
Laut einer Umfrage von infratest dimap für den ARD-Deutschlandtrend von Anfang Januar hat die Impfbereitschaft zugenommen. 54 Prozent der Befragten gaben an, sich auf jeden Fall gegen das Coronavirus impfen lassen zu wollen - das waren 17 Prozentpunkte mehr als im November. Um eine Herdenimmunität gegen das neuartige Coronavirus zu erreichen, müssten sich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen.
Eine aktuelle Studie aus Erfurt zeigt, dass die Impfbereitschaft insgesamt höher ist bei Menschen, die Vertrauen in die Sicherheit des Impfstoffs haben und das Impfen als Bürgerpflicht empfinden oder Erfahrungen mit Covid-19-Erkrankungen in ihrem Umfeld gemacht haben. Dass sich auch in Gesundheitsberufen in Deutschland viele nicht impfen lassen wollen, schätzt die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main in der neuen Podcast-Folge eher als Startschwierigkeit ein: "Das sind ja auch normale Menschen, die die gleichen Sorgen haben. Ich glaube, dass die Impfbereitschaft zunehmen wird, wenn diese Leute sehen, dass sich ihre Kollegen impfen lassen und dass sie den Impfstoff gut vertragen."
Impfstoff-Entwicklung: Keine Kompromisse bei Sicherheit
Die Skepsis gegenüber den bisher in Europa zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna könnte von der kurzen Entwicklungszeit und Sorge vor Nebenwirkungen herrühren, aber auch von der Tatsache, dass nie zuvor ein mRNA-Impfstoff zugelassen wurde - ein Impfstoff, der den Bauplan für einen kleinen Teil des Virus in den Körper schleust. Der Körper stellt daraus in einigen wenigen Zellen für eine gewisse Zeit ein Spike-Protein her, das die gewünschte Immunantwort provoziere und die Bildung von Antikörpern anrege, erklärt Ciesek. "Es ist ausgeschlossen, dass so ein komplett vermehrungsfähiges Virus entstehen könnte."
Die rasante Entwicklung des Impfstoffs, die normalerweise zehn Mal so viel Zeit in Anspruch nimmt, führt Ciesek auf gemeinsame Anstrengungen weltweit zurück - sowohl wissenschaftlich als auch finanziell. "Trotzdem hat man keinen Kompromiss gemacht bei Sicherheit oder Verträglichkeit", sagt Ciesek.
Bislang keine schweren Nebenwirkungen
Auch in puncto Nebenwirkungen gibt die Expertin Entwarnung. Bei wenigen Studienteilnehmern seien Nebenwirkungen aufgetreten, die man generell bei Impfungen erwarte: Rötungen, Schwellungen und Schmerzen an der Einstichstelle. Eine solche Reaktion sei aber ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem den gewünschten Reiz bekommen habe und sich mit dem Impfstoff beschäftige. "Schwere und unerwünschte Nebenwirkungen sind in Studien zu beiden Impfstoffen nie aufgetreten", sagt Ciesek. Gäbe es seltene, schwerwiegende Nebenwirkungen, hätte man sie längst gesehen, da mittlerweile bereits Millionen Menschen gegen Sars-CoV-2 geimpft worden sind.
Allergische Reaktionen extrem selten und gut behandelbar
So hat die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC eine erste Studie zu allergischen Reaktionen auf den Impfstoff von Biontech/Pfizer veröffentlicht. Es wurden Daten von 1,89 Millionen Impfungen erfasst, bei denen 175 allergische Zwischenfälle gemeldet wurden. Von diesen wiederum erwiesen sich 21 als echte anaphylaktische Reaktion (zum Beispiel Luftnot, Blutdruckabfall, Nesselreaktion). In 17 dieser Fälle gab es zudem eine allergische Vorgeschichte, sieben Patienten waren schwere Allergiker. Cieseks Fazit daraus: Allergische Reaktionen treten extrem selten und fast immer bei Menschen mit entsprechender Vorgeschichte auf. Sie sind gut behandelbar und nicht spezifisch für einen mRNA-Impfstoff. Sie könnten bei jeder Medikamentengabe auftreten. Die CDC-Studie deute auch nicht auf Langzeitschäden hin, im Durchschnitt sei die allergische Reaktion innerhalb von 13 Minuten nach der Impfung aufgetreten, also in einem Zeitraum, in dem Geimpfte ohnehin noch medizinisch beobachtet werden.
Impfstrategie: Spielraum für zweite Dosis ausnutzen
Bei der Impfstrategie in Deutschland argumentiert Ciesek, dass der Spielraum, der durch die Zulassung abgedeckt ist, ausgenutzt werden sollte. Die notwendige zweite Dosis sollte erst nach vier bis sechs Wochen verabreicht werden, statt wie bisher nach 21 Tagen. Anders als in Großbritannien hielten die Impfzentren in Deutschland und vielen anderen Ländern die zweite Dosis für die bereits einmal Geimpften zurück. Würde man den verfügbaren Impfstoff komplett in Erstdosen verimpfen, hätte das den Vorteil, so Ciesek, dass mehr Fälle verhindert und die Pandemie positiv beeinflusst werden könnte. Es müsse allerdings sichergestellt werden, dass die Menschen die zweite Dosis innerhalb von sechs Wochen bekämen, sonst erhielte man nur eine teilweise Immunantwort (Schutzwirkung Biontech-Impfstoff nach erster Dosis: 52,4 Prozent, nach zweiter Dosis: 94,8 Prozent).
Hoffnung auf längere Immunantwort nach Impfungen
Ciesek rechnet damit, dass sich die Lage entspannt, wenn weitere Impfstoffe dazukommen. Mit der Zulassung des Serums von Astrazeneca wird Ende Januar gerechnet. Erste und zweite Dosis müssten allerdings von demselben Vakzin stammen: "Man impft mit dem Impfstoff weiter, mit dem man angefangen hat." Ciesek betonte nochmals, dass trotz Impfung die Anti-Corona-Maßnahmen weiter eingehalten werden müssten. Eine im Fachmagazin "Science" in den USA erschienene Studie, die verschiedene Bereiche des Immunsystems nach durchlebter Infektion betrachtet, macht laut Ciesek Hoffnung auf eine längere Immunantwort nach Impfungen. Verlässliche Daten dazu fehlten jedoch noch.
Neue Virusvariante aus Japan und Brasilien
Auch bei der Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Mutationen habe die Wissenschaft "erste Daten, die Entwarnung geben", sagte Ciesek. Biontech habe im Labor zeigen können, dass der Impfstoff eine Infektion von Zellen durch Viruspartikel mit der N501Y-Mutation verhindere. Diese Mutation trägt sowohl die englische als auch die südafrikanische Variante, die gerade auch in Deutschland erstmals nachgewiesen wurde. Wichtig sei jedoch, so Ciesek, "dass man das Zusammenspiel von Mutationen betrachtet. Sie können biologisch eine andere Wirkung haben als Einzelmutationen." So fehlten zum Beispiel noch virologische Daten zu einer in Brasilien und Japan nachgewiesenen neuen Virusvariante, die ebenfalls die bekannte N501Y-Mutation trage. Anlass zu größerer Besorgnis bestehe zum jetzigen Stand nicht, so Ciesek: "Solange die Impfstoffe eine Wirkung haben, bin ich relativ entspannt."
Coronavirus-Update: Podcast mit Christian Drosten und Sandra Ciesek
Die Coronavirus-Pandemie hat in Deutschland und der ganzen Welt zu teilweise drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens geführt. Je mehr sich das Virus ausbreitete, desto mehr wollten die Menschen darüber wissen. Auf dieses Informationsbedürfnis hat NDR Info mit dem Coronavirus-Podcast reagiert. Immer dienstags antworten im wöchentlichen Wechsel Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, und Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, auf aktuelle Fragen.
