Keine Militärseelsorge: Gehört der Islam nicht zur Bundeswehr?
Bei der Bundeswehr gibt es christliche sowie jüdische Militärseelsorger. Nur für die rund 4.000 muslimischen Soldatinnen und Soldaten gibt es bis heute keine Seelsorge.
Rainer Johannes Schlobohm ist Offizier und einer von rund 4.000 Muslimen bei der Bundeswehr. "Wenn es um die Themen Tod und Verwundung geht - das sind wirklich schwerwiegende Fälle, wo wir einen seelsorgerlichen Bedarf haben", sagt er und wünscht sich zum Beispiel die Gewissheit, nach islamischem Ritus bestattet zu werden, falls er im Einsatz sterben sollte. Er habe schon viele Situationen erlebt, in denen er sich einen Militärimam als Ansprechpartner gewünscht hätte: "Da geht es um die Fastenzeit, religiöse Feste, Speisevorschriften und so weiter. Das alles schlägt sich im Dienstbetrieb nieder. Wie und woran sich dabei Muslime in der Bundeswehr orientieren können, da haben wir nichts. Das ist ein großes Problem."
Verteidigungsministerium lehnt Seelsorge für Muslime ab
Bülent Uçar, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück, setzt sich seit Jahren für eine islamische Seelsorge in der Bundeswehr ein. "Es geht nicht, dass Musliminnen und Muslime als Soldaten bereit sind, ihr Leben für unser Land zu lassen, aber nicht gleichberechtigt an den Strukturen der Seelsorge partizipieren können", findet Uçar.
Die Ablehnung begründet das Verteidigungsministerium damit, es gäbe in Deutschland keine islamischen Organisationen, die für alle Musliminnen und Muslime sprechen könnten. Aber nur mit solchen anerkannten Verbänden - vergleichbar mit den großen christlichen Kirchen oder dem Zentralrat der Juden - könne das Ministerium eine Vereinbarung über eine Militärseelsorge abschließen.
"Das Argument vom Bundesverteidigungsministerium ist längst überholt und deckt sich nicht mehr mit der Lebensrealität und auch nicht mit dem Handeln der Bundesregierungen selbst, nämlich parteiübergreifend", sagt Bülent Uçar. Denn schon lange gebe es beispielsweise staatliche Vereinbarungen über Islamische Theologie an den Universitäten und islamischen Religionsunterricht an den Schulen.
Zentrale Ansprechstelle für den Umgang mit Vielfalt dient als Vermittlung
Die Bundeswehr arrangiert sich bislang mit Notlösungen. Zum Beispiel mit der Zentralen Ansprechstelle für den Umgang mit Vielfalt. Dort arbeitet Oberstleutnant Martin Rose. Diese Stelle verstehe sich als eine Art Vermittlung, "sodass die muslimischen Soldatinnen und Soldaten sich an diese Ansprechstelle am Zentrum Innere Führung wenden können, ihr Anliegen vorbringen, und wir dann versuchen, eine Lösung zu finden. Eine am Zentrum befindliche muslimische Seelsorge gibt es nicht", so Martin Rose.
Diese Ansprechstelle vermittelt aber keine Kontakte an Imame oder Moscheen. Sie will aufklären über die Rechte, aber auch die Pflichten muslimischer Soldatinnen und Soldaten, wenn es beispielsweise um Fragen der täglichen Gebetspraxis gehe. Die muslimische Soldatin Hülya Süzen setzt sich dafür ein, dass Muslime ihre Gebetszeiten einhalten können: "Wenn Raucherpausen zulässig sind, dann kann man statt 15 Minuten zu rauchen und den Körper zu schädigen, auch 15 Minuten beten und die Seele zur Ruhe kommen lassen."
"Ängste und Vorurteile gegen Muslime in Deutschland"
Der Osnabrücker Bülent Uçar vermutet dahinter einen bestimmten Grund, wenn muslimische Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr an einer freien Religionsausübung gehindert werden: "Ich glaube, dass es enorme Ängste, aber auch offene Ressentiments und Vorurteile gegen Muslime in Deutschland gibt. Diese Ängste, diese Vorurteile mögen den einen oder anderen Entscheidungsträger an dieser Stelle ausbremsen. Aber Angst war nie ein guter Ratgeber."
Ein wichtiger Schritt, diese Ängste abzubauen, so der Islamwissenschaftler, wäre die Einführung einer islamischen Militärseelsorge in der Bundeswehr. Verglichen mit den anderen Mammutaufgaben des neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius müsste das aus seiner Sicht machbar sein.
