Der Musiker Jochen Wiegandt spielt Gitarre bei seiner "Klookfiedel-Tour". © NDR Foto: Lina Bande

"Klookfiedel-Tour": Viel mehr als nur ein Liederabend

Stand: 19.10.2022 14:30 Uhr

Op Platt mitsingen können die meisten, aber worum es im Lied wirklich geht, wissen die Wenigsten: was wirklich hinter unseren Volksliedern steckt, erklärt Jochen Wiegandt auf seiner "Klookfiedel-Tour".

von Lina Bande

Das hatten die knapp 100 Gäste im Foyer des Kieler Opernhauses nicht erwartet: Liedermacher und Autor Jochen Wiegandt stimmt "Mien Jehann" nach dem Gedicht von Klaus Groth an - und niemand kennt diese Version. Den Text wohl, aber die Melodie ist irgendwie fremd. Strinrunzeln und Kopfschütteln statt lautem Mitsingen. Das hatte der Musiker aber schon erwartet: immerhin hat er heute Abend allein drei verschiedene Varianten des Volkslieds parat - und setzt ganz bewusst auf Überraschungen und Irritationen.

Bühnenprogramm basiert auf Liederbuch

Das Liederbuch "Hool dien Muul un sing mit!"
Das Liederaturbuch "Hool dien Muul un sing mit!" ist im September 2021 erschienen.

Denn dass hinter den bekannten Liedern, die seit Jahrzehnten in Schulen, Chören und bei Familienfeiern gesungen werden, oft richtig interessante Entstehungsgeschichten stecken, das möchte der Liedermacher auf seiner "Klookfiedel-Tour" zeigen. Das Programm trägt den Titel "Hool dien Muul un sing mit!" - so heißt auch sein Liederaturbuch für Schleswig-Holstein, ausgezeichnet als Plattdeutsches Buch des Jahres 2021. Darin hat er mehr als 40 bekannte Volkslieder gesammelt und stellt sie mit allem Drum und Dran vor.

Aus Flandern zu uns in den Norden

Das heißt: bevor er mit dem ganzen Publikum zusammen das Lied von "Buurlala" singt, stimmt Jochen Wiegandt erstmal die Flämische Ursprungsvariante aus dem 17. Jahrhundert an. Da war es aber noch der "Pierlala", das Peterle - eine folkloristische Figur aus Flandern. Studenten machten später das Trinklied "Bierlala" daraus, und weil das für Schulkinder nun wirklich unpassend war entstand Anfang des 20. Jahrhunderts das bis heute verbreitete Lied "Buurlala".

"Da sind wir nun im 1. Weltkrieg - und da wird jetzt plötzlich geschossen!", ruft der Musiker seinem Publikum zu, denn in der vierten Strophe heißt es "Ik scheet di doot, seggt Buurlala". "Also müssen wir uns das nochmal kritisch anschauen, ob wir das überhaupt noch singen wollen", sagt Wiegandt.

Gedichte und Anekdoten Teil des Programms

Mehr als drei Jahre lang hatte der Musiker für sein Liederaturbuch recherchiert, Zusammenhänge hergestellt, Strophen zusammengetragen. Ohnehin sind Volkslieder schon seit Jahrzehnten sein Ding, auch auf der Bühne: mit der Band "Liederjan" spielt er die schon seit den 1970er-Jahren.
Und obwohl er sich für diesen Abend nur die bekanntesten Lieder ausgesucht hat, ist es doch eine Flut von Informationen fürs Publikum. Da muss man gut folgen, denn manchmal ist nicht ganz klar, worauf Jochen Wiegandt mit seinen Gedichten, Anekdoten und Schlenkern eigentlich hinaus will. Letztendlich verdeutlicht er so aber eindrucksvoll, wie sich Erzählungen und auch Volkslieder weiterentwickeln können.

"Dat du mien Leevsten büst" hat fragwürdigen Hintergrund

Beim Kieler Publikum kommt das richtig gut an, die Reaktionen reichen von "super spannend" bis zu "hochinteressant". Mitsingen können die meisten auch, ohne Text. Besonders laut ertönt "Dat du mien Leevsten büst" - als Jochen Wiegandt dann aber Zeile für Zeile übersetzt, schauen manche fast schon schockiert: "Dass du mein Liebster bist, dass du das weißt. Komm' heut Nacht zu mir, aber sag mir, wie du heißt. Da bin ich drüber gestolpert! Das hab ich mir genau angeguckt!"

Hier gehe es ums Fensterln, erklärt der Liederforscher, auf Plattdeutsch Finstern. Dabei klettern junge Männer nachts in die Kammern von unverheirateten Frauen. "Al wedder Swienkraam!", meint Wiegandt, denn unter die Gürtellinie geht es in plattdeutschen Volksliedern öfter mal. Und gesoffen, getanzt und gefeiert wird auch, zumindest in früheren Versionen oder einzelnen Strophen.

Plattdeutsche Lieder für zukünftige Generationen

Dass sein Publikum von seinen Ausführungen sowieso nur einen Bruchteil behalten kann, sagt Jochen Wiegandt sogar selbst, aber: "Se warrt beholen, dat se villich en beten nipper un nauer kieken mööt, wat in de Texten binnen steiht. Also du muttst di de Wöör genauer ankieken. Dat is dat, wat ik mi wünschen do". Wir müssen also alle ein bisschen genauer hinschauen, was wir da eigentlich singen - und dann die Lieder weitergeben. Damit die bekannten plattdeutschen Volkslieder auch in Zukunft noch freudig gesungen werden.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 18.10.2022 | 19:15 Uhr

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Plattdeutsch

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