Boy Lornsen: Sylter Kapitänssohn und Fliewatüüt-Erfinder
Boy Lornsens Kindergeschichten begeistern seit Generationen - weltweit. Am 7. August wäre der Sylter Schriftsteller, Bildhauer und Kinderbuchautor 100 Jahre alt geworden.
Ich schaue eine alte Folge von "Robbie, Tobbi und das Fliewatüüt" im Netz. Ich tauche hinab in den Nebel meiner Kindheitserinnerungen und höre die Titelmelodie, die ersten Worte des kleinen Roboters mit der tiefen, schnarrend-fremdartigen, Respekt einflößenden Stimme und alles ist wieder da.
Nach den ersten Minuten ist klar, dass man diesen aus einfachsten Materialien konstruierten Roboter, der schon lange vor R2-D2 und C3PO das Licht der Welt erblickte, auch als "Erwachsener" einfach immer noch lieb haben muss. "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" ist eine bezaubernde Kinder und Jugend- Geschichte.
Der Fantasie Propeller geben
Bei "Robbi, Tobbi un das Fliewatüüt" geht es um die Freundschaft zwischen einem kleinen Erfinder, der von seinen Mitschülern gehänselt wird, und um einen Roboter, der plötzlich an sein Schlafzimmerfenster klopft und seine Hilfe benötigt. Mit dem Fliewatüüt, das fliegen, schwimmen und fahren kann, erleben die beiden spannende Abenteuer und reisen sogar bis zum Nordpol.
1972 hatte der WDR die Buchvorlage aufwändig verfilmt, geschickt Puppenspiel mit Realfilm verknüpft und nach Boy Lornsens Vorlage damit ganze Fernsehkinder-Generationen geprägt. Auch an Schulen und Kindergärten war das Buch präsent.
Großer Erfolg für "Robbi und Tobbi" im Ausland
Als der Sylter Kapitänssohn Boy Lornsen im Alter von 46 Jahren zum ersten Mal zur Feder griff und die Vorlage für die vierteilige WDR-Serie schrieb, arbeitete er als Bildhauer in Brunsbüttel. Zur Geschichte inspiriert hatten ihn seine beiden Söhne, die vor seinen Augen selbstvergessen mit Teilen eines alten kaputten Radios spielten.
Bis zu seinem Tode im Jahr 1995 verfasste der Autor mehr als dreißig Bücher. Auch sein zweites Buch "Jakobus Nimmersatt" wurde ein großer Erfolg, und zwar in Japan. So erzählt Lornsen: "Mein Verleger teilte mir mit, dass ich den Preis der japanischen Schulbibliothekare bekommen habe. Ich konnte mir natürlich nicht vorstellen, was so ein Preis bedeutete." Im Endeffekt 200.000 verkaufte Bücher und später eine weitere Verfilmung. In der Geschichte geht es um die Einwohner von Poggenbüttel, die ihren alten Donnerwald abholzen wollen, um schnell an Geld zu kommen. Doch die schlauen Tiere wehren sich dagegen.
In der gleichen Liga wie Ringelnatz, Kästner und Krüss
Boy Lornsen wurde 1922 auf Sylt geboren. Gleich nach seinem Abitur zog man ihn zur Wehrmacht ein. Er war Funker und Flieger. Nach dem Krieg lernte er Zimmermann, besuchte die Landeskunstschule Hannover und absolvierte dort eine Ausbildung zum Steinmetz- und Steinbildhauermeister. Er segelte gerne, war ein Familienmensch und liebte seine Heimat Sylt.
Alexander Römer, Leiter des Sylt Museum in Keitum, das Boy Lornsen aktuell mit einer kleinen Ausstellung würdigt, ergänzt: "Lornsen ist den meisten gar nicht so bekannt wie Ringelnatz, Erich Kästner oder James Krüss. Aber er spielt eben in der gleichen Liga. Die wenigsten wissen, dass er auch humorvolle, interessante und schlaue Gedichte geschrieben hat."
Friese durch und durch
Er war ein Friese durch und durch, sagt Maren Jessen, die Vorsitzende des Sylter Vereins Sölring Foriining: "Boy Lornsen war sehr humorvoll. Er war für jeden Spaß zu haben und er hat viel humoristisch umgesetzt. Er hat viel angeprangert auf der Insel. Es lag ihm daran, nicht mit erhobenem Zeigefinger herumzugehen, sondern das Ganze in Humor gekleidet, den Menschen näher zu bringen - und das war eine große Gabe, die dieser Mann hatte."
Wohl in keinem anderen Gedicht wird Lornsens Kritik am Ausverkauf der Insel und ihrer Kultur deutlicher als in "Ein Sylter Mann der heimgekehrt". Da schreibt er, der im Jahr 1980 selbst mit seiner Familie auf die Insel zurückgekehrt war: "In Keitum trotzt ein Glockenturm noch siegreich dem Renditewurm" und an späterer Stelle lässt er den urgewaltigen Meergeist Ekke Nekkepen der Nordsee entsteigen. Böse in Wallung spricht der die Worte: "Hör mir gut zu du Plastikfriese! Ihr habt mich um den Schlaf gebracht, mich aufgestört und wildgemacht. So bin ich denn der See entstiegen, nur um euch Sylter wachzukriegen. Einst wart Ihr Friesen, stolz und frei, und jetzt seid ihr nur noch dabei Euch als Esaus in die Geschichte einzuschreiben." Dazu muss man wissen, dass Esau der biblischen Erzählung nach sein Erstgeburtsrecht gegen ein einfaches Linsengericht eintauschte.
Viel Humor in Reimform
Mit den Kinderbüchern fing es an. 1984 veröffentlichte Boy Lornsen dann erstmals ein Buch auf Plattdeutsch. In "Sinfuniekunzert" seziert er mit viel Humor und in Reimform das auf manch Außenstehende seltsam anmutende Gebaren von Dirigenten und Orchester bei der Herstellung klassischer Musik. Danach widmete er sich der biblischen Genesis "Mit rein gornix fung he an". Was er sich dabei gedacht hatte, den sakralen Text auf platt zu übersetzen, verriet er 1991 einem NDR Kollegen: "Ik wull dat op Plattdüütsch maken, denn Plattdüütsch is de Spraak vun de Normalverbraucher." (Ich wollte das auf Plattdeutsch machen, weil das die Sprache der Normalverbraucher ist). Auf die Anschlussfrage, wie lange er denn für sein Werk gebraucht habe, antwortete er in seiner typischen Art: "Gottvadder hett söven Daag (för sien Schöpfung bruukt), ik twee Johr." (Gott hat sieben Tage für seine Schöpfungsgeschichte gebraucht, ich zwei Jahre.)
Zwei Jahre "feilte und raspelte" er an seinem Werk, wie er selbst sagte und hängte die dichterische Latte damit sehr hoch. Aber wenn man einer mit ihm befreundeten Literatur- und Poetikikone wie Walter Jens Glauben schenkt, hat Boy Lornsen die immer wieder locker übersprungen. So sagte Jens über Lornsen, dass er besonders seine "plattdeutschen Verse und Gedichte liebe". Die Werke "Jesus vun Nazareth - Een Stremel Weltgeschicht" (über das Leben Jesu) und die "Schöpfungsgeschicht" sind übrigens beide in dem Buch "Vun Gott un Lüüd" enthalten, das im Quickborn-Verlag erschienen ist.
"Weltliteratur op Platt"
Und für den Hamburger Verleger Peer-Marten Scheller ist das, was Boy Lornsen da geleistet hat, schlicht ein Stück "Weltliteratur op Platt". "Keen Farv, keen scharpe Kant. All griesen Kraam, keen Haalt fast. Keen Witt, keen Swatt un keen Kontrast ... Gottvadder sää, nu warrt dat Licht, denn to dat Schöpfen bruukt he Sicht." (Keine Farbe, keine scharfe Kante. Alles grauer Kram. Nichts zum Festhalten. Kein Weiß, kein Schwarz und kein Kontrast … Gott sagt, nun werde Licht, denn zum Schöpfen braucht er Sicht.)
Die aktuelle Ausstellung in Keitum auf Sylt ist noch bis Mitte September geöffnet, danach beleuchtet das Syltmuseum ein weiteres Kapitel aus dem Leben von Boy Lornsen genauer. Wie alles begann - mit: Robbi, Tobbi und dem Fliewatüüt.
