Friesen marschieren mit gemeinsamer Flagge. © NDRD/Karin Haug Foto: Karin Haug

Bunte Frieslande: Traditionelles Friesentreffen auf Helgoland

Stand: 08.06.2022 12:36 Uhr

Seit 1962 treffen sich West-, Ost- und Nordfriesen auf Helgoland, um sich untereinander auszutauschen. Reporterin Karin Haug war mit dabei und stellt fest, die Frieslande sind vor allem eines: bunt!

von Karin Haug

Überpünktlich steht eine Handvoll Fahrgäste auf der Mole im Dagebüller Hafen: ein Dachdecker, eine Lehrerin, Rentner. Es steht Großes an. Nur alle drei Jahre machen sich Friesinnen und Friesen auf dem Weg zum Friesentreffen nach Helgoland. Nur die Koffer, Taschen und Rucksäcke unterscheiden sie von den Tagesgästen, die nur wenige Stunden auf Helgoland verbringen wollen. Und ihre Sprache: Friesisch. Anni Karnebogen vom Friesenrat, der Fahrt und Treffen organisiert, verteilt Buttons mit den friesischen Farben Gold, Rot und Blau. Sie dienen als Fährticket und zeigen dem Kontrolleur, mit wem er es zu tun hat. So ähnlich sieht es zur gleichen Zeit rund hundert Kilometer südlich, am Anleger in Cuxhaven aus, von wo sich Friesinnen und Friesen aus Ost- und Westfriesland auf den Weg übers Meer machen.

Wie Strahlen eines leuchtenden Sterns zu einem historischen Missverständnis führten

Die Insel Helgoland aus der Luft © dpa
Blick aus der Vogelperspektive auf die Nordseeinsel Helgoland.

Seit 1962 treffen sich auf Helgoland die Friesinnen und Friesen wie die Strahlen eines Sterns zur Sternfahrt. Was in Deutschland allerdings vollkommen harmlos klingt, meint südlich der Grenze in den Niederlanden das "Sterben" an sich. Darum lädt der Friesenrat seit 1998 zum "Friesendropen", also dem Friesentreffen, was den Verlauf des Wochenende ziemlich gut auf den Punkt bringt. Wie dieses sprachliche Missverständnis zeigt, verstehen sich die Friesinnen und Friesen nicht auf Anhieb oder automatisch. Sie laufen sich auch nicht über den Weg, denn geographisch bewohnen die Friesen auch nicht mehr einen zusammenhängenden Küstenstreifen. So gibt es "die Friesen" eigentlich gar nicht. Jedes Friesland ist für sich ist schon ein ziemlich bunter Haufen.

Zehn Dialekte in Nordfriesland

Friesinnen in ihrern regioanalen Trachten auf der Bühne. © Karin Haug NDR Foto: Karin Haug
Schon an den verschiedenen Trachten ist zu erkennen: Die drei Frieslande sind bunt.

Die Sektionen - so heißen die Frieslande im Interfriesischen Rat - versuchen die interfriesischen Bindungen durch Treffen und Kongresse zu vertiefen. Aber zum Auftakt des Friesentreffens sitzen die Sektionen jeweils für sich an den langen Tischen in der Nordseehalle. Die Westfriesen verteilen sich an zwei Tischen, denn die Westfriesen in Nord-Holland, erkennbar am Emblem mit zwei goldenen Löwen, wollen unter keinen Umständen mit den Friesen aus der Provinz Fryslân verwechselt werden. Die wiederum stellen die größte Gruppe aller drei Frieslande mit Friesisch als Amtssprache. Auch in Nordfriesland legt man großen Wert auf Unterschiede.

Im Nordfriisk Instituut, der wissenschaftlichen Einrichtung zur Erforschung Nordfrieslands, weist man nicht ohne Stolz darauf hin, dass sich in Nordfriesland zehn Dialekte auf dem Festland und den Inseln drängeln. Weiter im Süden, eigentlich im Westen Deutschlands, setzt sich die (behauptete) Binnenvielfalt fort: Ostfriesland ist der Oberbegriff für die Landkreise Leer, Aurich und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden. Ostfriesland ist im Gegensatz zum 1970 entstandenen Kreis Nordfriesland nicht auf Landkarten zu finden. In Ostfriesland spricht man (Platt-)Deutsch und im Saterland Seeltersch.

Kulturelle Vielfalt zwischen Silberkugeln und Bermudadreicken

Die Föhrer Trachtentänzerinnen ruhen sich am Ratshausplatz aus, bis sie an die Reihe kommen. © NDR/Karin Haug Foto: Karin Haug
Die Föhrer Trachtentänzerinnen ruhen sich am Rathausplatz aus, bis sie an die Reihe kommen

Während die Gäste beim geselligen Abend die kostenlose Erbsensuppe genießen, wuseln die gastgebenden Helgoländer fleißig herum, richten die Bühnentechnik oder sind mit dem Ausschank beschäftigt. Godber Andresen hat ein Bier zum günstigen Helgoland-Preis ergattert: "Dåt wichtigste as me åltens , dåt ik jam åål drååw än ma jam snååke koon, frasch snååke koon." Für ihn ist das Treffen vor allem eine Möglichkeit, ein Wochenende lang Friesisch zu sprechen. Das kann der Biologe in Rendsburg, wo er wohnt, nicht. Dabei ist das Festlandsfriesisch, das Godber aus Risum-Lindholm kennt, die lingua franca der nordfriesischen Dialekte. Aber beim Frysk aus den Niederlanden, muss er passen. Darum spricht er wenig mit Westfriesen - und wenn, dann auf Deutsch.

Den Trachtentänzerinnen und wenigen -tänzern sind Sprachprobleme egal. Alle kennen die gleichen Volkstanzschrittfolgen und die einschlägigen Lieder: "Ik hoow, wee har en fain iinj altumal", also einen schönen, gemeinsamen Abend wünscht Helga Wögens von der Bühne. Die Bäuerin eines Biohofes in Utersum hat Sonnabendvormittag mit nord- und ostfriesischen Gruppen Reihentanz geübt. Wögens trägt abends die schwarze Tracht mit den Silberkugeln von Föhr, und zeigt mit dem von ihr sogenannten Bermuda-Dreieck, einem roten Tuch auf der Haube, dass sie verheiratet ist. Sie tanzt zwischen einer Büsumer Reedtänzerin und einer Tänzerin von Hooge. Musik verbindet. Auch nach zwei Jahren Corona-Pause klappt das Timing fehlerlos.

Vom Oberland zum Unterland

Friesentreffen Helgoland © Karin Haug Foto: Karin Haug
Friesinnen und Friesen zeigen ihre Trachten und tanzen

Die Volkstänze sind eine der wenigen Konstanten beim Friesentreffen und quasi das Aushängeschild des Wochenendes. Beim traditionellen Umzug von der Kirche im Oberland bis vor das Insel-Rathaus, einem etwas in die Jahre gekommenen Klinkerkasten aus den 1960er-Jahren, dominieren ihre farbigen Trachten das Gesamtbild. Zwischen Atoll-Hotel und den Schnapsläden des Lung Wai wird ausgiebig getanzt. Die Touristen zücken ihre Handys und filmen begeistert. Sogar die Sonne spielt mit. Den Westfriesen, durchweg ältere Damen mit Goldhaube und Herren in Strickstrümpfen, setzt die unerwartete Mittagssonne ziemlich zu. Aber natürlich zeigen sie alle sieben Tänze, was den Moderator einigermaßen ins Schwitzen bringt. Wozu hat man schließlich die lange Reise angetreten?

Erneuern oder einfach mal was Neues

Blick vom Helgoländer Oberland auf Hafenmole und Düne  Foto: Karin Haug
Blick vom Helgoländer Oberland auf Hafenmole und Düne.

Gemein ist allen Friesinnen und Friesen, dass sie routinierte Gastgeber sind, die es verstehen, ihre Gäste zu verwöhnen. Der helgoländische Tourismusservice sorgt für die reibungslose Organisation des Friesendroapen und hat dafür sogar die eine oder andere Insulanerin in eine Tracht gesteckt. Die Insel, die verwaltungstechnisch zum Kreis Pinneberg und wegen der guten Schiffsverbindung einkaufstechnisch zu Cuxhaven gehört, bietet Helgoländisch inzwischen nicht mehr in der Schule, sondern nur noch in Abendkursen an. Dabei war Helgoland noch 2009 als "Sprachenfreundliche Gemeinde" ausgezeichnet worden. Auch auf dem nordfriesischen Festland hat sich in den letzten 20 Jahren die Zahl der Friesichschüler halbiert.

Müsste also nicht dringend etwas geschehen? Können die Frieslande dabei voneinander lernen? Das Saterland hat seit mehreren Monaten einen hauptberuflichen Seeltersch-Beauftragen. Der Westfriese Henk Wolf brachte ein Pub-Quiz zum Treffen, um zu zeigen, wie man ohne erhobenen Zeigefinder interfriesisches Know-how unter die Leute bringt. Man hat sich viel vorgenommen an diesem Tag und die Erwartungen sind hoch. Da sind die feierwütigen Friesen einerseits, die sich über zwei friesische Filme freuen, und ungeduldige Trachtengruppen andererseits, die gerne ihr Können zeigen wollen. Diskussionen und Debatten gehen eher im privaten, zufälligen Gespräch vor sich.

Ein Haus mit Reetdach. © NDR Foto: imago images / imagebroker
AUDIO: Friesisch für alle Spezial (18 Min)

Sorgen um den Nachwuchs

Das ist anders bei den Bauerntreffen, bei denen sich friesische Landwirte auf ihren Höfen besuchen, oder bei den Frauentreffen, das ausschließlich von Frauen für Frauen gedacht sind. Hinter beiden Veranstaltungen stecken ostfriesische Organisatoren, die sich allerdings große Sorgen um den Nachwuchs machen. Der älteste Teilnehmer, der Ostfriese Dietrich Ostendorf bedauert das: "Wir waren ja noch bereit, Ehrenämter zu übernehmen. Das bemängele ich an der Jugend. Die sind nicht bereit, ehrenamtliche Sachen zu machen", sagt der 86-Jährige.

Gemeinsame Probleme

So gesehen sind es die Probleme, die die Friesen bei allem Rückzug auf die jeweilige Besonderheit verbinden: zurückgehende Sprecherzahlen, Ausverkauf der Kultur, Überforderung des Ehrenamtes und nicht zuletzt Probleme mit der Projektfinanzierung. Doch vertieft wird das nicht. Die friesischen Gäste sind nach drei Tagen frischer Nordseeluft und einem vollen Programm ziemlich erschöpft und freuen sich auf zuhause. Darum sind sie wie drei Tage vorher viel zu früh im Hafen und warten darauf, ihren Rollkoffer über die Gangway zu zerren. Jetzt sind die Friesinnen und Friesen gar nicht mehr zu erkennen unter den Gästen, die nach dem Wochenende die Heimfahrt antreten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 08.06.2022 | 20:20 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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