Porträt einer Familie aus dem 17. Jahrhundert, die in einem Wohnzimmer gemeinsam musiziert © picture-alliance / akg-image
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AUDIO: Peter Wollny forscht zur Musikerdynastie Bach (8 Min)

Der Bach-Clan: Eine weit verzweigte Musikerfamilie

Stand: 22.01.2024 06:00 Uhr

Die Bachs beherrschten über mehrere Generationen das Musikleben Mitteldeutschlands - und hinterließen auch im Norden ihre Spuren. Neben Johann Sebastian Bach sind gut 80 weitere Familienmitglieder als Musiker in Erscheinung getreten. Dabei hat alles mit einem Bäcker begonnen, der auch Laute gespielt hat.

von Christiane Irrgang

"Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen", sagte Ludwig van Beethoven über seinen großen Kollegen Johann Sebastian Bach, "wegen seines unendlichen, unerschöpflichen Reichtums an Tonkombinationen und Harmonien". Doch vorher und nachher sind noch Dutzende andere musikalische Bäche ins Meer geflossen:

No. 1. Vitus Bach, ein Weißbecker in Ungern, hat im 16ten Seculo der lutherischen Religion halben aus Ungern entweichen müßen. Ist dannen hero, nachdem er seine Güter, so viel es sich hat wollen thun laßen, zu Gelde gemacht in Teütschland gezogen; und da er in Thüringen genugsame Sicherheit vor die lutherische Religion gefunden, hat er sich in Wechmar, nahe bei Gotha niedergelaßen, und seine Beckers Profession fortgetrieben. Er hat sein meistes Vergnügen an einem Cythringen gehabt welches er auch mit in die Mühle genommen, und unter währendem Mahlen daraufgespielet. (Es muss doch hübsch zusammen geklungen haben! Wiewol er doch dabey den Tact sich hat imprimiren lernen.) Und dieses ist gleichsam der Anfang zur Music bey seinen Nachkommen gewesen. Johann Sebastian Bach, 1735 

So beginnt die Chronik der "musikalisch-bachischen Familie", die Johann Sebastian Bach höchstpersönlich 1735, mit 50 Jahren, niederschrieb. Das Original ging zwar verloren, doch glücklicherweise hatte eine seiner Enkelinnen vorher eine Abschrift angefertigt. 

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Peter Wollny © picture alliance/dpa Foto: Sebastian Willnow

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"Die Bachinnen": Kopistinnen, Mütter und begabte Musikerinnen  

Dafür waren sie allemal gut, die Frauen der Familie Bach: als Kopistinnen und als Mütter weiterer produktiver Bäche. Dass eine von ihnen das Talent zur Komposition geerbt hätte, ist nicht bekannt, aber es muss viele begabte Musikerinnen unter ihnen gegeben haben. Anna Magdalena etwa, die "Frau Capellmeisterin" und zweite Ehefrau von Johann Sebastian Bach, gebar 13 Kinder (von denen allerdings viele früh starben), beteiligte sich an der Organisation von Aufführungen und an der Ausbildung der Privatschüler. Außerdem war sie noch am Köthener Hof als Sängerin tätig, mit dem dritthöchsten Gehalt nach dem Kapellmeister und dem Konzertmeister.

Auch Cecilia Grassi, die Frau des "Londoner Bachs" Johann Christian, feiert als Sängerin am King's Theatre Erfolge. Von Johann Sebastians Töchtern wissen wir allerdings, dass sie - ledig oder verwitwet - nach dem Tod ihres Vaters ein ärmliches, zurückgezogenes Leben führten und sich mit dem Verkauf von Handschriften und Instrumenten durchzuschlagen versuchten. In der väterlichen Chronik tauchen sie nicht auf - noch nicht einmal Anna Magdalena war ihrem Mann eine Erwähnung wert.

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Stammvater Veit Bach: Bäcker und Amateur-Lautenist 

Aber zurück zum Stammvater der Familie Bach, dem Bäcker und Amateur-Lautenisten Veit (um 1555-1619). Er begründete eine Musikerdynastie, wie es sie nie vorher und seitdem auch nie wieder gegeben hat. Sein Sohn Johann(es) oder Hans wurde bereits "Stadtpfeifer" in Gotha. Anders als die Bezeichnung vermuten lässt, handelte es sich dabei um einen vielseitig ausgebildeten Musiker in städtischen Diensten, der bei Festlichkeiten und als Turmbläser aufspielte. In Erfurt hatten Mitglieder der Familie Bach über Generationen hinweg dieses Amt inne, so dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts alle Stadtpfeifer "Bache" genannt wurden, selbst als keine Namensträger mehr dort lebten. Von Hans Bach sind einige geistliche Vokalwerke erhalten.

"Johann" war oft gesetzt: Verwirrende Namensgleichheit

Wer sich mit den zahlreichen Mitgliedern der Musikerfamilie Bach befasst, muss sich mit einigen genealogischen Verwicklungen auseinandersetzen. Fast alle Eltern gaben ihren Söhnen den ersten Vornamen Johannes oder Johann. Auch Christoph oder Christian, Heinrich und Friedrich standen hoch im Kurs. Dazu kommt, dass die Sippe lange Zeit im näheren Umfeld ihres "Stammsitzes" Wechmar in Thüringen und durch Cousinen-Ehen noch festere Bande schmiedete. 

Auch in Sachen Berufsausbildung blieb man gern unter sich. Die Familie war fast wie eine eigene Zunft organisiert, und viele junge Bache gingen bei Vätern, Onkeln oder älteren Brüdern in die Lehre und verschafften einander Anstellungen als Organisten, Kantoren, Rats- und Hofmusiker. Denn die solide "handwerkliche" Ausbildung brachte ausgezeichnete Musiker und bedeutende Kompositionen hervor.

Altbachisches Archiv: Ein Schatz aus "etwas mürben" Handschriften

Zusammengetragen wurden die Kompositionen der frühen Bache im sogenannten "Altbachischen Archiv", einer Sammlung von Motetten, Kirchenliedern und Kantaten aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Johann Sebastian vererbte sie an seinen Sohn Carl Philipp Emanuel weiter, der die "etwas mürben" Handschriften als Familienschatz hoch in Ehren hielt. Später gelangten die Noten in den Besitz der Berliner Sing-Akademie, gingen im Zweiten Weltkrieg verloren und wurden erst 1999 im Staatsarchiv von Kiew wiederentdeckt. Seitdem werden die Werke etwa von Johann Christoph Bach, Johann Michael Bach und Georg Christoph Bach gelegentlich wieder aufgeführt und eingespielt. 

Der "große" Bach? Sein Sohn war zu Lebzeiten berühmter 

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Porträt des Komponisten Carl Philipp Emanuel Bach (Lithographie von Alfred Lemoine) © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

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Zwei Jahrzehnte prägte der Sohn von Johann Sebastian Bach als Musikdirektor das kulturelle Leben Hamburgs. Er starb am 14. Dezember 1788. mehr

Über Johann Sebastian muss man nicht mehr viel sagen. Wie mag es innerhalb einer Familie von begabten Musikern zu einer einzigen so herausragenden Persönlichkeit gekommen sein? Dabei ist das die heutige Perspektive. Zu Lebzeiten, also im 18. Jahrhundert, war sein zweiter Sohn Carl Philipp Emanuel (1714-1788) der "große" Bach. In knapp 60 Jahren schuf er über 1.000 Werke und wurde zum bedeutendsten Vertreter des "empfindsamen Stils". Sein "Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen" diente noch Beethoven als Lehrwerk. Nach fast drei Jahrzehnten als Hofcembalist des preußischen Königs trat Carl Philipp Emanuel mit 54 die Nachfolge seines Patenonkels Georg Philipp Telemann in Hamburg an und wurde Musikdirektor der fünf Hauptkirchen.

Wilhelm Friedemann (1710-1784): Der tragische Bach

Gustaf Gründgens sitzt in seiner Rolle als Wilhelm Friedemann Bach an einem Tisch, vor ihm Noten und eine Kerze. © picture alliance / akg-images | akg-images
Für den Film "Friedemann Bach" spielt Gustaf Gründgens 1941 die Rolle von Johann Sebastian Bachs ältestem Sohn. Das Heyne Filmlexikon urteilt: "Ein schwacher Film, trotz Gründgens."

Wilhelm Friedemann, der Älteste, wurde von seinem Vater besonders gefördert und als Cembalist und Organist weithin bewundert, vor allem für seine Improvisationskunst. Aber er galt als schwieriger, unsteter Charakter, der seine Posten nie lange behielt. 1770 ließ er sich für einige Jahre in Braunschweig nieder, knüpfte auch Kontakte nach Wolfenbüttel und Göttingen, doch alle Bewerbungen scheiterten an seinem dokumentierten "merkwürdigen Benehmen". In seinen letzten Lebensjahren verarmte Wilhelm Friedemann immer mehr und sah sich gezwungen, die vom Vater geerbten Musikalien zu verhökern und eigene Werke unter dem Namen Johann Sebastian zu veröffentlichen. Am Ende zog sich auch seine letzte Gönnerin, Prinzessin Anna Amalie von Preußen, wegen seiner Intrigen und Verleumdungen zurück.

Johann Christoph Friedrich (1732-1795): Der Bückeburger Bach

Johann Christoph Friedrich Bach ist der am wenigsten bekannte von Johann Sebastians Söhnen - wohl auch weil er zeitlebens im niedersächsischen Bückeburg tätig war, einer Kleinstadt weit abseits der großen Musikmetropolen. Vom Vater in Klavier, Orgel und Komposition unterrichtet, wie seine Brüder auch, begann er zwar noch ein Jurastudium, ließ sich aber als 18-Jähriger vom sicheren Verdienst am Hof des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe locken. Dort avancierte der virtuose Klavierspieler vom "Cammer-Musicus" zum "Hofmusicus" und Konzertmeister.

Johann Christoph Friedrich Bach führte die Bückeburger Hofkapelle zu so großem Ansehen, dass sie um 1780 zu den besten Orchestern Deutschlands gezählt wurde. Einen Wechsel nach Altona gestattete der Graf "seinem" Bach nicht, und bei einer späteren Bewerbung als Director Musices in Hamburg unterlag Johann Christoph Friedrich seinem Halbbruder Carl Philipp Emanuel - was das gute Verhältnis der beiden aber nicht trübte. 

Johann Christian (1735-1782): Der kosmopolitische Bach

Der Komponist Johann Christian Bach (1735-1782) in einem Porträtgemälde von Thomas Gainsborough aus dem Jahre 1776. © gemeinfrei
Wes Oblate ich ess des Lied ich sing: Johann Christian Bach (1735-1782) startet nach seinem Übertritt zum Katholizismus als Organist am Mailänder Dom.

Als "Mailänder" oder "Londoner Bach" wird der jüngste Sohn Johann Christian bezeichnet. Nach dem Tod seines Vaters ging er beim großen Bruder Carl Philipp Emanuel in Berlin in die Lehre; in Bologna studierte er beim berühmten Padre Martini. Dank einer Konversion zum Katholizismus erhielt er eine Stelle als Organist am Mailänder Dom, feierte aber auch mit seinen Opern große Erfolge. 1762 zog Johann Christian nach London, wurde persönlicher Musiklehrer der Königin und ließ fortan seine Werke mit Opuszahlen drucken. Besonders die von ihm und dem Gambisten Carl Friedrich Abel organisierten "Bach-Abel Concerts" zählten lange zu den beliebtesten Veranstaltungen im Londoner Musikleben. 

Von besonderer historischer Bedeutung wurde die Begegnung mit Leopold Mozart und dem damals achtjährigen Wolfgang Amadeus. Man mochte einander auf Anhieb, und Leopold empfahl seinem Sohn die gefälligen Kompositionen Bachs ausdrücklich zur Nachahmung - was dieser hörbar beherzigte.   

Johann Christoph (1642-1703): "Meistes Plaisir in Reisen gesuchet"

Und die vielen anderen Bache? "Ist auch der Musik zugethan. Hat sich aber niemalen zu einer function begeben, sonder sein meistes Plaisir in Reisen gesuchet", schrieb Johann Sebastian über die Nummer 28 in seinem Verzeichnis, Johann Christoph Bach. Oder die Nummer 30, Johann Michael: "Erlernete die Orgelmachers Kunst, ist aber nach diesem in die Nordländer gereiset, und nicht wieder retourniret, daß man also keine weitere Nachricht von ihm hat."

Von anderen - den meisten - Familienmitgliedern wusste er, dass sie Anstellungen als Organisten, Lehrer, Militärmusiker oder "gute Tenoristen" seien. Der letzte Bach, von dem zahlreiche Kompositionen überliefert sind, ist Wilhelm Friedrich Ernst (1759-1845), der älteste Sohn des "Bückeburger Bachs" und zugleich der letzte männliche Nachkomme von Johann Sebastian. Von ihm stammt ein besonders originelles Klavierstück: das "Dreyblatt" für sechs Hände. Dabei soll der in der Mitte sitzende - männliche! - Pianist seine beiden Mitspielerinnen umfassen und die Außenstimmen übernehmen, während die außen sitzenden Damen in der Mitte der Klaviatur spielen. Klingt kompliziert, ist aber machbar!

Forschungsprojekt will alle musikalischen Werke der Bachs erschließen 

Zu sehen ist Johann Sebastian Bachs handschriftliche Partitur "O Ewigkeit, du Donnerwort", die das Bach-Archiv Leipzig 2017 erworben hat. © dpa - Bildfunk Foto: Peter Endig
Johann Sebastian Bachs handschriftliche Partitur "O Ewigkeit, du Donnerwort" (BWV 20) ist im Besitz des Leipziger Bach-Archivs.

Neuerdings hat sich ein Forschungsprojekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften vorgenommen, im "Bach-Repertorium" die nachweisbaren musikalischen Werke aller Mitglieder der weit verzweigten Musikerfamilie Bach zu erschließen, die Dokumente zur Lebens- und Wirkungsgeschichte zu erfassen sowie ausgewählte Werke in wissenschaftlichen Ausgaben vorzulegen. Mittlerweile sind gut 80 Personen erfasst, die vom 16. Jahrhundert bis zum Tod von Wilhelm Friedrich Ernst als Musiker tätig waren - und zum Teil auch als bildende Künstler, wie etwa Vater Gottlieb Friedrich und Sohn Johann Philipp, Hoforganisten und Hofmaler in Meiningen. 

Die Nachkommen von Johann Friedrich Nikolaus Bach wanderten 1848 nach Amerika aus und ließen sich dort als Farmer und Instrumentenbauer nieder. Bedeutende Komponisten mit dem Namen Bach gibt es seit gut 200 Jahren nicht mehr. 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 22.01.2024 | 06:00 Uhr

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