Verwandte Musikstücke: Kommt Ihnen das bekannt vor?
NDR Kultur beleuchtet zwei Musikstücke, die sich ähneln - und erläutert die Hintergründe. Es geht um Parodien und Plagiate, aber auch um Hommagen und Danksagungen. Ab sofort immer um 12.20 Uhr und 14.40 Uhr im Programm.
"Das ist doch…", "Hat der etwa…?", "Irgendwie kommt mir das bekannt vor…" - bei einem Vorrat von zwölf Tönen, einer Vielzahl von Metren und Rhythmen, gesungen und gespielt auf verschiedenen Instrumenten gibt es schon rein mathematisch betrachtet eine schier grenzenlose Menge an Kombinationsmöglichkeiten. Und trotzdem taucht manches musikalisches Material immer wieder auf. Einiges ist natürlich dem Zeitgeschmack geschuldet: bestimmte barocke Floskeln, vertraute Harmoniefolgen oder klassische Melodietypen. Manchmal mag es auch purer Zufall sein, und gute Ideen setzen sich ebenfalls durch. Aber es gibt auch Fälle, die man im besten Fall als Inspiration und schlimmstenfalls als dreisten Diebstahl bezeichnen kann.
Das Plagiat als Hommage
Geistiges Eigentum ist allerdings eine Erfindung der Neuzeit. Das "Originalgenie" wurde erst im 19. Jahrhundert gefeiert. Wenn barocke Komponisten Werke ihrer Kollegen zitierten oder bearbeiteten, galt das nicht als Plagiat, sondern vielmehr als Geste des Respekts - meistens jedenfalls. Dass Georg Friedrich Händel für seinen "Serse" die Arie "Ombra mai fu" seines Konkurrenten Bononcini aus dessen gleichnamiger Oper "verschönerte", war sicher nicht als Kompliment gemeint.
Musikalisches Recycling
Ebenfalls völlig gebräuchlich im Barock: die ressourcensparende Wiederverwertung eigenen Materials. Wer, wie zum Beispiel Johann Sebastian Bach, als Kirchenmusiker jeden Sonntag eine frische Kantate aufzuführen hatte, konnte unter Zeitdruck einfach mal einen besonders gelungenen Chorsatz mit einem neuen Text unterlegen, ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte.
Einführung des Urheberrechts
In den USA kam das Copyright um 1800 auf; in Frankreich wurden Komponisten seit Mitte des 19. Jahrhunderts am Gewinn beteiligt. Die "Genossenschaft deutscher Tonsetzer", die Vorläuferin der GEMA, entstand erst 1898 auf Initiative des Komponisten Hans Sommer. Er war ein erfolgreicher Liedkomponist und ärgerte sich verständlicherweise darüber, dass vor allem sein Verleger daran verdiente. Zu den Gründervätern der Genossenschaft gehörte auch Richard Strauss - ausgerechnet derjenige, der als junger Neapel-Besucher "Funiculì, funiculà" für ein Volkslied gehalten und in seiner sinfonischen Dichtung "Aus Italien" verarbeitet hatte. Tatsächlich war es aber eine Art Werbe-Song für die neu eröffnete Seilbahn auf den Vesuv, und der Komponist Luigi Denza reagierte gar nicht erfreut. Dass es tatsächlich zu einem Rechtsstreit kam, ist allerdings nicht belegt.
Eine gestohlene Minute
Kurios ist auch der Fall von John Cages berühmtem Musikstück "4‘33": Bei der Uraufführung 1957 spielte der Pianist gut viereinhalb Minuten lang - gar nichts. So steht es in der Partitur. Aber offenbar kann man auch Nicht-Musik plagiieren. 2002 schrieb der britische Komponist Mike Batt "A One Minute Silence", mit einer einminütigen Pause zu Ehren von Cage. Als dessen Erben ihn verklagten, konterte Batt, seine Stille sei sehr viel besser, und er sei in der Lage, in nur einer Minute das zu erzählen, wofür Cage 4 Minuten und 33 Sekunden gebraucht habe. Später kam jedoch heraus, dass der vermeintliche Rechtsstreit nur ein Werbetrick für den Komponisten war.
Eine Reverenz an den Lehrer
Wenn Ähnlichkeiten beabsichtigt sind, dann häufig, wenn ein Schüler seinem Lehrer oder Mentor die Reverenz erweisen will. Zu erleben etwa in der Sinfonie "Im Walde" von Joachim Raff, in der die tanzenden Dryaden eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Elfen aus Mendelssohns "Sommernachtstraum" haben. Und der finnische Komponist Uuno Klami zitierte in seinen "Meeres-Bildern" das Thema aus dem "Boléro" des verehrten Vorbilds Maurice Ravel, den er in den 1920ern in Paris kennengelernt hatte.
Klassische Zitate in der Popmusik
Auch in der Popbranche haben Komponistinnen und Komponisten Anregungen bei ihren klassischen Kollegen gefunden. Der Phil Collins-Hit von 1988 "A Groovy Kind of Love" basiert ausgerechnet auf einer Sonatine von Muzio Clementi: dem Mann, der Generationen von Klavierschülern mit seinen Etüden gequält hat - und vielleicht auch Carole Beyer Sager, die den Song ursprünglich für die Band The Mindbenders schrieb. Ach ja: In der Popmusik spricht man von "covern", wenn erfolgreiche Titel von anderen Interpreten aufgegriffen und variiert werden. Aber das ist dann wieder eine andere Geschichte.
