Tocotronic auf dem Deichbrand Festival 2019. © NDR/N-JOY Foto: Benjamin Hüllenkremer

Rock ohne Rausch: Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank

Stand: 12.04.2023 11:59 Uhr

Dass Rockmusik und Rausch zusammengehören sollen – ein Mythos, der sich noch immer hartnäckig hält. Der Musiker und trockene Alkoholiker Arne Zank hinterfragt ihn.

von Alexandra Friedrich

Alkoholsucht und Kunst scheint fast eine so logische und unheilvolle Kombination wie Genie und Wahnsinn. Stephen King hat regelmäßig einen ganzen Kasten Bier am Abend geleert. Der Künstler Frank Hals soll jeden Abend "voll bis an die Kiemen" gewesen sein. Dass der eine oder andere Musiker dem Alkohol zugetan war, davon zeugen mitunter sogar deren Songs - vom "Warm Beer" bis zum "Whisky River".

Alkohol: zerstörerische und Legenden bildende Wirkmacht

Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel. Zum Frühstück Canapés und ein Wildberry-Lillet. Nina Chuba im Song "Wildberry Lillet"

Ein Plattencover: "Wildberry Lillet" - Nina Chuba © SMD/ Jive
Alkoholische Getränke werden oft mit einem erfolgreichen Leben gleichgesetzt - wie im Sommerhit "Wildberry Lillet" der Hamburger Rapperin Nina Chuba.

"Wildberry Lillet" - ein fruchtiger Aperitif und ein gleichbetitelter Popsong aus dem letzten Sommer. Die Hamburger Rapperin Nina Chuba will darin "im Champagner-Becken baden". Sie will "haben, haben, haben". Eine gängige Erzählung im heutigen Rap, in der Popmusik: Fancy Getränke werden gleichgesetzt mit Geld, Erfolg, dem guten Leben.

Dass Alkohol viele Musiker allerdings nicht nach ganz oben gebracht, sondern für sie im Gegenteil den tiefen Absturz bedeutet hat, ist kein Geheimnis. Amy Winehouse konnten wir alle beim öffentlichen Zugrundegehen zuschauen: Mit nur 27 Jahren und 4,16 Promille im Blut starb die britische Musikerin im Jahr 2011.

Nur eines der vielen prominenten Beispiele in der Musikgeschichte für die zerstörerische Kraft und gleichzeitig Legenden bildende Wirkmacht des Alkohols. Rock-Musiker wie AC/DC Frontmann Bon Scott oder Jimi Hendrix, aber auch Vertreter des Schlagers wie Roy Black oder Rex Gildo - viele gingen direkt oder indirekt an ihrer Sucht zu Grunde. Und wurden dadurch erst recht zu Mythen.

Mythos vom Alkoholkonsum als Rechtfertigung

Schlagzeuger Arne Zank (rechts) von der Band Tocotronic mit seinem Bandkollegen Jan Müller (Bass). © dpa Foto: Bodo Marks
Schlagzeuger Arne Zank (rechts) von der Band Tocotronic - hier mit seinem Bandkollegen Jan Müller (Bass) - hat seinen Entzug während einer Tour gemacht.

Einer, der die Kurve bekommen hat, ist Arne Zank - Schlagzeuger der Band Tocotronic und trockener Alkoholiker. Den rebellischen, antibürgerlichen Mythos von Alkohol und Rockmusik hält er zwar längst für entlarvt. "Andererseits wiederum hat es mich auch nicht geschützt und sind das Bilder oder Erzählungen, Lieder oder Personen, denen man nacheifert oder die so einen Mythos haben von Konsum von Alkohol. Wenn man suchtkrank ist, braucht man einfach sehr viele Geschichten, um das zu rechtfertigen. Diese 60er Jahre, Rock’n’Roll, Sex, Drugs-Geschichten - natürlich nimmt man sich das dann auch als Rechtfertigung", erkennt Arne Zank rückblickend.

Kurz vor dem Fall: Kapitulation

Irgendwann funktionierte die Selbsttäuschung nicht mehr und der Punkt war erreicht, an dem Arne Zank aufgab; er merkte: so kann es nicht weitergehen. Er erinnert sich: "Was mich ganz traurig und verzweifelt gemacht hat zum Schluss, dass ich Sachen, die ich vorhatte, auf kreative Art, selbst kaputt mache. Dass ich das so ganz tief in mir gemerkt habe, wie das einen Lebensfunken auslöscht. So sehr destruktiv, dass ich das durchbrechen wollte. Das ist der Punkt, den man dann Kapitulation nennt."

Und wenn Du kurz davor bist. Kurz vor dem Fall. Und wenn Du denkst "Fuck it all!" Und wenn Du nicht weißt: Wie soll es weitergehen? Kapitulation. Tocotronic im Song "Kapitulation" (2007)

Fast prophetisch wirken die Zeilen im Tocotronic-Song, der schon im Jahr 2007 entstanden. Jahre vor Arne Zanks „Kapitulation“. Sein sogenannter Clean-Geburtstag ist am 5. November 2018 - er feiert am liebsten zusammen mit seiner Selbsthilfegruppe, den Narcotics Anonymous. Ohne sie hätte er den Ausstieg vermutlich nicht geschafft. Und auch nicht ohne seine Band. Seine Kollegen waren die ersten, denen er sich offenbart hat und den Entzug hat er auf einer Tour gemeinsam mit ihnen durchgezogen.

Wie weit will ich mich etikettieren lassen?

Das Trinken auf der Bühne war nie sein Problem, erzählt Arne Zank: "Sucht findet häufig im Verborgenen statt und in Heimlichtuerei und Lügengeschichten und mit so Doppelleben. Deswegen weiß ich auch gar nicht genau, ob das viel mit der Musik oder dem Showbusiness zu tun hat. Vielleicht wäre das auch, hätte ich irgendeinen Büro-Job, gar nicht anders gewesen."

Den Schritt aus dem Verborgenen zu wagen, mit seiner Sucht an die Öffentlichkeit zu gehen, hat Arne Zank sich ziemlich genau überlegt: "Wie viel gibt man dann auch wieder preis, wie nackt macht man sich? Wie weit will ich mich da etikettieren lassen?" So ein Label kriegen Künstler schnell mal weg.

Oft bekommt Arne Zank seit seinem Outing Interview-Anfragen, wenn es um das Thema Alkohol geht. Dabei macht ihn die Betroffenheit nicht automatisch zum Experten, meint er. "Ich kann nur das bisschen so erzählen, was mir passiert ist. Und das mache ich gerne. Das ist auch ein Bedürfnis gleich zu Anfang. Man freut sich einfach so und will diese Euphorie teilen. Davon künden, dass das nüchterne Leben total schön ist und eine Riesen-Erleichterung."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 12.04.2023 | 06:40 Uhr

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