Das Chanson lebt weiter
Wer an Chansons denkt, dem kommen Charles Aznavour, Édith Piaf und Serge Gainsbourg in den Sinn, alle längst tot. Doch bis heute lassen sich junge Musikerinnen und Musiker von ihnen inspirieren.
Am 22. Mai 1924 kam Charles Aznavour in Paris zur Welt und wurde zu einer der größten Stimme des Chansons. Und, er wurde vielen zum Vorbild - bis heute. Denn das Chanson ist in der Tradition Frankreichs tief verwurzelt. Junge Musikerinnen und Musiker greifen sie auf und entwickeln sie weiter. Dazu haben wir mit unserer Musikexpertin Petra Rieß gesprochen.
Petra, ist das alte Chanson, wie Charles Aznavour es einst komponierte und sang, heute Geschichte?
Petra Rieß: Eigentlich nicht. Das klassische Chanson gibt es in der Tradition bis heute, die natürlich von jungen Leuten, von den Nachfolgegenerationen aufgegriffen wird. Sie steckt einfach sehr tief drin. Einige fühlen sich mehr dieser Tradition verpflichtet, andere entwickeln sie weiter. Ich finde, entscheidend ist, dass in den 1990er-Jahren das Nouvelle Chanson erfunden wurde. Vertreter sind Benjamin Biolay, Thomas Fersen oder Coralie Clément. Die haben das damals geprägt. Auch sie erzählen in ihren Stück in bester Chanson-Tradition immer ein kleines Theater, ein kleines Drama. Aber sie haben sich geöffnet und neue Elementen hinzugefügt. Ihrer Popularität hat natürlich auch geholfen, dass seit den 1990er-Jahren, seit 1994, die Radiostationen in Frankreich verpflichtet sind, 30 bis 40 Prozent ihres Musikprogramms mit französischen Interpretinnen und Interpreten zu füllen.
Nun sprichst Du von den 1990er-Jahren und dem Nouvelle Chanson. Das ist ja auch schon ein bisschen her. Wie hat sich das Chanson denn seitdem weiterentwickelt?
Rieß: Also ganz entscheidend ist meiner Beobachtung nach, dass eben viel, viel stärker Einflüsse von anderen Kulturen in das Chanson einfließen. Und dass man heutzutage viele Chanson-Interpreten eigentlich in der Sparte französischer Pop einsortieren müsste. Da gibt es Namen wie Marie Baraton, wobei die noch relativ klassisch unterwegs ist. Dann gibt es natürlich auch Einflüsse von außen. Aus Belgien zum Beispiel kommen viele Chansonniers, Jacques Brel war ja auch ein Belgier. Sie bringen Elemente wie Electronic, Hip-Hop oder Rap ein. Stromae ist da ein Beispiel und seit drei, vier Jahren sehr angesagt.
Stromae? Dass der dem Chanson zugerechnet wird, wusste ich gar nicht. Welche Namen spielen denn heute sonst noch eine Rolle?
Rieß: Also, Stromae würde ich an den ganz äußeren Rand des Chansons setzen, weil er wirklich mit anderen Elementen spielt. Mehr im klassischen Kern ist Delphine Maillard, eine Sängerin und Komponistin, die ein bisschen mit Jazz-Einflüssen arbeitet. Ganz weit vorne ist Vianney, schon seit seinem Debütalbum von 2014 "Idee Blanche". Der wurde 1991 geboren. Im vergangenen Jahr hat er zusammen mit Renaud Séchan die Single "Maintenant" herausgebracht. Renaud Séchan gilt noch immer als einer der populärsten Chansonniers des Landes. Er ist mittlerweile über 70 Jahre alt. Der hat in den 70ern, 80er-Jahren den Rock in den Chanson aufgenommen. Und bevor ich jetzt fasziniert von Renaud Séchan zu viel erzähle, zurück zu Vianney. Der ist ein großartiger Lyriker, und der macht das, wo ich sage: Das ist neues, traditionelles Chanson neu gedacht.
Welche Rolle spielt das Chanson denn außerhalb der Grand Nation?
Also, Zaz ist wohl der populärste Export Frankreichs in den vergangenen, zehn, fünfzehn Jahren gewesen. Sie hat schon ihr erstes Album in Deutschland allein 450.000 Mal verkauft. Sie tourt immer noch, hat sich mit ihrem vorletzten Album ein bisschen neu erfunden. Kennzeichnend ist aber, wer international erfolgreich sein will, ist darauf angewiesen, auch andere Stile zu bedienen. Das mixt sich heute viel, wie bei Coline Rio. Die ist 2022 mit ihrem Debüt zum ersten Mal aufgefallen. Da hat sie eine EP veröffentlicht. Da heute auch viel gestreamt wird, ist das natürlich auch wichtig für den Erfolg.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.
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