ruangrupa und die documenta: Gemeinschaft als Wurzel
Zum ersten Mal hat ein Kollektiv - und vor allem KünstlerInnen aus Asien - die documenta kuratiert: ruangrupa aus Indonesien. Doch eine Debatte um Antisemitimusvorwürfe hat die Arbeit des Kollektivs und den Ausblick auf die Kunstschau überschattet.
"Ich glaube, sie haben schon immer die Grenzen verschoben in der Frage: Was ist Kunst?", sagt Galeristin Deborah Iskandar in Jakarta über das Künstlerkollektiv ruangrupa. "Als die Kasseler Direktoren sie auswählten, haben sie sie als Kollektiv gewählt. Sie wussten, dass dieses Kollektiv etwas ganz anderes produzieren würde als bildende Künstler, die sich auf die Kunstwelt konzentrieren."
Vor allem bringt ruangrupa zum ersten Mal einen asiatischen Blick in die documenta - einen Perspektivwechsel in einer sehr westlich zentrierten Kunstwelt. Ade Darmawan, Gründungsmitglied des Kollektivs, meint im Videointerview: "Ich denke, für viele Menschen ist strukturell fixiert, wie Kunst sein sollte. Europa, die westliche Welt hat Kunst für so lange Zeit auf bestimmte Weise gesehen und produziert, dass es eine Herausforderung sein kann, wenn es eine neue Art gibt, Kunst zu sehen und zu machen. Darum müssen wir es ganz klar als Lernprozess begreifen."
Indonesische Gegenwartskunst seit Ende der Diktatur 1998
In Indonesien konnte erst nach dem Fall des Diktators Suharto 1998 eine echte Gegenwartskunst entstehen. Bis dahin verließen alle namhaften Künstler das Land, der Einfluss des Diktators sei wie eine eiserne Faust gewesen, meint die Galeristin Deborah Iskandar und Ade Darmawan erzählt: "Als ich 1992 anfing zu studieren, spürte ich den Druck und wie die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten unter Suhartos Regime unterdrückt wurden. Dabei wurde Kunst zum Medium, um Botschaften zu verbreiten und sich Gehör zu verschaffen." Kurz nach Ende der Diktatur, im Jahr 2000, entstand ruangrupa mit einer klaren Vision für Kunst: "Sie muss relevant für die Gesellschaft sein und kritisch demgegenüber, was in Indonesien geschieht."
runangrupa: Der Entstehungsprozess im Mittelpunkt
ruang für Raum, rupa für Form - der Name deutet daraufhin, dass für sie nicht die fertige Kunst im Mittelpunkt steht, sondern der Prozess: der Raum der Entstehung. Eine Brutstätte. Deborah Iskandar erzählt, wie sie vor 15 Jahren zum ersten Mal die Gebäude von ruangrupa besuchte: "Es ging nicht nur um Bilder: Es ging ums Schreiben, um Filme, Performances. Als ich dorthin kam, war es, als ob ich in ein Musikstudio oder Künstlerstudio kam - etwas von allem. Indonesier haben auf eine bestimmte Art immer in Kollektiven gearbeitet. Dahinter steckt die soziale Struktur des Kampung-Systems."
Kampung: das Dorf, die Gemeinschaft. Tatsächlich sah es bei einem Besuch vor der Pandemie auf dem Gelände von ruangrupa im Süden Jakartas etwas dörflich aus: umgebaute Container auf der einen Seite, Kunstschulgebäude auf der anderen - die Gudskul, wo die Idee des kollektiven Lernens umgesetzt wird -, ein Erfrischungsstand, Bäume, schattige Plätze, eine Buchhandlung, eine Freiluftwerkstatt, wo ein Mann einen Destillator baut, der Plastikmüll in Treibstoff verwandelt - handfeste Dinge, ein Kunstbegriff, der sich eher in der Welt als im Atelier findet. Oder eben im Dorf. Hier geht es darum, "wie Individualismus, wirtschaftliche Modelle und Möglichkeiten des Ausdrucks in Frage gestellt werden und wie Dinge gemeinsam und kollektiv bewerkstelligt werden können. Es ist ein Gegenmodell geworden, nicht nur für individualistische Ideen des Westens, sondern auch wie ökonomische Modelle bisher umgesetzt wurden", erklärt Ade Darmawan.
"Lumbung" als Konzeptidee für die documenta
Kampung ist das eine Wort, Lumbung das andere: Lumbung ist ruangrupas Konzeptidee für die documenta - die viel zitierte Reisscheune, die in Indonesien dazu dient, Überschüsse der Reisernte zum Gemeinschaftsgut zu machen. Sie stellen die Plattform und jeder bringt etwas. Genauso haben sie auch ihre Art des Kuratierens gestaltet, was Deborah Iskandar sehr spannend findet: "Sie arbeiten mit Kollektiven aus verschiedenen Ländern - einem südamerikanischen, einem afrikanischen, viele verschiedene - und diese Kollektive haben sie jeweils gebeten, Kunst auszuwählen. Ein sehr demokratischer Prozess, ganz anders, als wenn nur ein oder zwei Kuratoren auswählen."
Bringt die documenta fifteen die Stunde des Kollektivs? Teilen als Idee in einer Welt, die langsam begreift, dass Wachstum endlich ist? Es ist auf jeden Fall keine neue Idee, betonen ruangrupa selbst. Die Fischer und Bauern seien da viel weiter in ihrer Zusammenarbeit, ihrer koperasi. In ihren soziokulturellen Projekten bauen ruangrupa oft die Idee des Tauschhandels ein: Jeder bringt etwas, trägt etwas bei und bekommt etwas anderes dafür - nicht nur künstlerische Ideen. Das kann in Indonesien, in seinen oft armen, ländlichen Bereichen, alles sein: von mobilen Büchereien über Videokunstfestivals bis zu Destillatoren, um Plastikmüll in Treibstoff zu wandeln. Auch in Kassel gibt es lokale Initiativen. Vor allem ist für ruangrupa klar: Was sie in Gang gebracht haben, soll nicht mit dem Ende der documenta aufhören. Ruang rupa, Raum für Form, die Brutstätte für Prozesse.
ruangrupa und die documenta: Gemeinschaft als Wurzel
Zum ersten Mal hat ein Kollektiv - und vor allem KünstlerInnen aus Asien - die documenta kuratiert.
- Art:
- Ausstellung
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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documenta fifteen
Friedrichsplatz 18
34117 Kassel - Preis:
- ab 12 Euro