Scharfe Kritik von Meron Mendel an documenta-Geschäftsführung
Er sollte für die documenta im aktuellen Antisemitimus-Streit vermitteln und beraten. Nun hat Meron Mendel den Job als Berater der documenta wieder abgegeben. Er wirft der Leitung Untätigkeit und mangelhafte Kommunikation vor.
Es hätte die Woche der politischen Aufarbeitung der antisemitischen Vorfälle bei der documenta werden sollen. Es gab eine Anhörung im Kulturausschuss - da allerdings waren die wichtigsten Figuren gar nicht erst erschienen: die Generaldirektorin der documenta Sabine Schormann war krank und Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Documenta ist, schaffte es nicht zur Kulturausschusssitzung. Gestern dann gab es eine Debatte im Bundestag: Dort war man sich nicht einig, wie man mit der Aufarbeitung und den daraus entstehenden Maßnahmen verfahren will. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, hat nun sein Engagement für die "documenta fifteen" in Kassel als externer Experte beendet.
Was gab den Ausschlag dafür, dass Sie die documenta nun nicht mehr beraten wollen?
Meron Mendel: Es gab nicht den einzigen Ausschlag, sondern es war ein Prozess. Vor zweieinhalb Wochen hat mich die Generaldirektorin Sabine Schormann angesprochen, ob ich bereit wäre, die documenta bei der Bewertung oder Auswertung der problematischen Kunstwerke zu unterstützen. Ich habe zugesagt und erwartet, dass das zügig voran kommt. Ich habe dafür sehr viel Zeit eingeplant, weil die Sache sehr dringlich ist. Nach zweieinhalb Wochen hatte ich noch kein einziges Kunstwerk zur Bewertung bekommen. Der Eindruck wird bei mir immer größer, dass vielleicht bei der documenta-Leitung nicht die Dringlichkeit oder die Motivation herrscht, dass so ein Prozess voranschreitet.
Kam es dann auch nicht zu einem Dialog mit dem Kuratorenkollektiv ruangrupa?
Mendel: Ja, das ist ein zweites Problem. Das war mir von Anfang an sehr wichtig. Ich wollte das nicht als eine Art Zensor machen, sondern die Chance nutzen, mit der Kuratorengruppe ruangrupa in den Dialog zu kommen und mit anderen Künstlern. Ich habe mehrfach die documenta-Leitung darum gebeten, Gespräche mit ruangrupa zu führen und das ist nicht erfolgt. Ich habe dann selbst über private Kontakte in Kassel den Kontakt zu ruangrupa hergestellt. Ich habe mit Mitgliedern der Gruppe telefoniert und an einem Zoom-Meeting mit zwei anderen teilgenommen. Diese Kontakte waren aber nicht mit Hilfe, sondern quasi trotz des Willens der documenta-Leitung entstanden. Und das spricht eigentlich für sich.
Was war bei dem Meeting mit Mitgliedern von ruangrupa ihr Eindruck?
Mendel: Ich hatte den Eindruck, dass sie sehr verunsichert sind, dass bei ihnen sehr viele Fragen entstehen. Sie befürchten, dass Künstler, die sie eingeladen haben, wieder von der documenta-Leitung ausgeladen werden. Sie befürchten, dass eine Zensurbehörde kommt. Sie kennen es aus ihren Heimatländern, dass mit Zensur gearbeitet wird. Es ging darum, diese Ängste stückweise wegzunehmen und eine Vertrauensbasis zu bilden. Diese Vertrauensbasis braucht mehr als nur ein Meeting. Ich wollte mich mit ruangrupa in Kassel treffen, damit wir uns besser kennenlernen und gemeinsam in die Diskussion kommen. Das wäre eine Möglichkeit, dass sie vielleicht den Kontext kennenlernen, über die deutschen Zustände, über Sensibilitäten, die hier herrschen. Das war eigentlich in dieser Zeit gar nicht gelungen. Mir ist auch nicht klar, wann so ein Treffen überhaupt zustande gekommen wäre.
Nun ist die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, krank. Ihr jetzt Untätigkeit vorzuwerfen, ist vielleicht nicht ganz fair, aber wie haben Sie sie denn vorher wahrgenommen?
Mendel: Sie ist, soweit ich weiß, nicht seit zweieinhalb Wochen krank. Das Gespräch, bei dem sie mich zu Beratungen hinzugezogen hat, ist zweieinhalb Wochen alt. Seitdem habe ich sie durchgehend kontaktiert. Ich habe sie angerufen, ich habe ihr Nachrichten hinterlassen. Die Anrufe wurde nicht beantwortet, genauso wie meine Nachrichten. Ich hatte zwar gelegentlich Kontakt mit Mitarbeiterinnen, aber der Eindruck war bei mir: Das wird auf die lange Bank geschoben. Ich wurde vertröstet und es wurde gesagt, dass eins nach dem anderen passiert und sie gerade mit anderen Sachen beschäftigt sind. Am Ende weiß ich nicht, inwiefern diese Krankheit eine Rolle spielt.
Sie ziehen sich jetzt zurück, aber was muss ihrer Meinung nach jetzt passieren?
Mendel: Ich wünsche mir, dass die documenta-Leitung einen Umgang mit der Situation findet. Dass die Zusammenarbeit mit mir nicht erfolgreich war, wird sie vielleicht dazu bewegen, das Thema noch ernster zu nehmen und zu priorisieren und ganz schnell tätig zu werden. Es werden immer noch diverse umstrittene Kunstwerke einfach ausgestellt, die zum großen Teil gar nicht kontextualisiert werden. Auch das Personal vor Ort ist nicht darin geschult, die Besucher darauf aufmerksam zu machen. Es gibt viel zu tun und ich wünsche mir, dass die documenta-Leitung ohne mich eine gute Lösung findet, damit umzugehen.
Es gibt ja noch weitere Protagonisten, einmal den Oberbürgermeister von Kassel, Christian Geselle, und auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Wie schätzen Sie das Agieren von Geselle und Roth ein?
Es ist nicht meine Sphäre, Politikern Noten zu geben, das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass Frau Roth schon im Januar ein Expertengremium vorgeschlagen hat, das dem künstlerischen Team und der documenta-Leitung beiseite steht. Ich war auch für dieses Gremium vorgesehen. Ich bin mir mehr als sicher: Wären wir schon im Januar fertig gewesen, wäre dieser ganze Skandal verhindert worden und wir würden ganz woanders stehen. Es war ein kolossaler Fehler, den Vorschlag von Frau Roth abzulehnen. Und wir baden alle diese Fehlentscheidung aus.
Das Gespräch führte Eva Schramm.
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