Kunsthalle zu Kiel © picture alliance / SULUPRESS.DE Foto: Torsten Sukrow

Raubkunst: Kunsthalle zu Kiel verlängert Provenienzprojekt

Stand: 28.05.2022 06:00 Uhr

Schon seit 2014 prüft die Kunsthalle zu Kiel kritisch die Herkunft der eigenen Bestände. Hinterfragt wird dabei, ob sich in der Sammlung Objekte befinden, die zur sogenannten Raubkunst gehören.

von Anina Pommerenke

Seit Mai 2018 wurden gezielt die Provenienzen von Kunstwerken aus der Grafischen Sammlung untersucht - dieses Projekt wurde nun um zwei weitere Jahre verlängert, wie Projektleiterin Annette Weisner im Interview mit NDR Kultur berichtet.

Frau Weisner, wie wichtig ist der Kunsthalle zu Kiel das Thema Provenienzforschung?

Annette Weisner © picture alliance/dpa Foto: Markus Scholz
Annette Weisner ist die wissenschaftliche Leiterin der Grafischen Sammlung der Kunsthalle zu Kiel.

Annette Weisner: Wir haben schon ein Projekt zum Thema Gemälde durchgeführt, die sind bereits erforscht. Und wir haben schon einen Teil der Grafischen Sammlung untersucht. Das Projekt, das wir jetzt im Frühsommer beginnen wollen, bildet dann den Abschluss. Dabei rechnen wir mit etwa zwei Jahren Forschungszeit. Dann haben wir alle unsere Bestände daraufhin überprüft, ob wir verfolgungsbedingtes Kulturgut hier in der Kunsthalle haben. Das ist ein sehr wichtiges und zentrales Projekt für uns.

Welche Werke aus Ihren Beständen sind denn problematisch oder verdächtig?

Weisner: Es sind Werke verdächtig, von denen man nicht weiß, wo sie zwischen 1933 und 1945 gewesen sind. Das ist die sogenannte Provenienzlücke. Wenn wir nicht wissen, was in dieser Zeit mit den Werken gewesen ist, ist das für uns ein Hinweis, dass wir uns die Sache genauer anschauen müssen. Es gibt auch bestimme Kunsthandlungen, von denen man weiß, dass sie mit verfolgungsbedingtem Kulturgut gehandelt haben. Das sind die "Red Flag Names" - da schaut man ganz genau hin. Wenn man schon weiß, dass etwas aus einem jüdischen Besitz kommt, dann ist höchste Aufmerksamkeit geboten.

Wie dürfen wir uns Ihre Arbeit genau vorstellen?

Weisner: Es ist eine mehrstufige Arbeit. Wenn man den Förderantrag beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste stellt, dann schaut man sich erst einmal die Inventarbücher an und listet auf, welche Werke überhaupt infrage kommen, welche Werke belastet sein könnten und welche nicht zweifelsfrei unbedenklich sind. Man stellt eine Vorauswahl von Werken zusammen, die überprüft werden müssen. Bei uns sind das in diesem zweiten Projekt 820 Werke - das ist ein sehr großes Konvolut.

Mit dem nächsten Schritt beginnt die eigentliche Forschungsarbeit. Die Blätter werden aus dem Depot geholt und genau angeschaut. Besonders wichtig sind dabei die Rückseiten: Gibt es Vermerke oder Sammlerstempel, also irgendetwas, das Hinweise geben könnte, wo dieses Blatt ursprünglich hergekommen ist? Das ist bei Druckgrafiken nicht ganz einfach, weil es von einem Blatt mehrere Exemplare gibt. Als nächstes würde man ins hauseigene Archiv gehen und nach bestimmten Unterlagen suchen. Gibt es etwa bestimmte Korrespondenzen oder Ankaufunterlagen, die weitere Hinweise geben? Dann geht man aber auch einen Schritt nach draußen und schaut etwa im Landesarchiv in Schleswig, im Stadtarchiv in Kiel oder in der Universitätsbibliothek in Kiel nach.

Als nächstes verlassen wir Schleswig-Holstein und schauen uns andere Archive an: zum Beispiel an der Hamburger Kunsthalle oder auch die Archive bestimmter Kunsthändler, die uns interessieren. Das geht dann soweit, dass man dann irgendwann auch das Bundesarchiv in Koblenz aufsucht oder das Deutsche Kunstarchiv in Nürnberg. Wichtig sind auch Online-Recherchen in den relevanten Datenbanken, dazu gehören unter anderem "Lost Art", "Proveana. Datenbank Provenienzforschung" oder auch "Holocaust Survivors and Victims". Insgesamt sind in unserem Fall 25 Archivreisen geplant.

Was ist bisher das wichtigste Ergebnis dieser Arbeit an der Kunsthalle zu Kiel?

Weisner: Man kann gar nicht von einem singulären Ergebnis sprechen. Für uns ist es wichtig, dass wir unsere gesamte Sammlung daraufhin untersucht haben, ob hier verfolgungsbedingtes Kulturgut vorliegt. Wir möchten am Ende sagen, dass wir alles untersucht haben, was relevant sein könnte. Ein konkretes Ergebnis war beim Gemälde-Projekt die Rückgabe des Ölbildes "Waldweiher" des russischen Malers Wassili Dmitrijewitsch Polenow nach Russland. Dabei hat es sich um Beutekunst gehandelt, die an den Museumspark Taganrog als rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben wurde.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Aufarbeitung der hauseigenen Sammlung?

Weisner: Ich bin die wissenschaftliche Leiterin der Grafischen Sammlung und das ist ein sehr wichtiges Feld für Sammlungsleiter, ihre eigene Sammlung zu erforschen und kennenzulernen. Wir haben ungefähr 30.000 Blatt, das ist nicht wenig - es ist also ein sehr schönes Projekt, um sich intensiv mit bestimmten Sammlungsbeständen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig auch mit der Geschichte des Hauses und der Geschichte der Provenienzen - also wo kommen die Kunstwerke her? Es ist mir persönlich ganz wichtig, auch unter moralischen Gesichtspunkten, dass, wenn wir hier Raubkunst haben, wir dann eine gute, gerechte und faire Lösung finden, wie es nach den Washingtoner Prinzipien heißt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 28.05.2022 | 08:15 Uhr

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