Ein Kind hält sich die Ohren zu © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt Foto: Martin Schutt

Internationaler Tag gegen den Lärm: Geräuschreduzierende Architektur

Stand: 26.04.2022 13:22 Uhr

Am 27. April ist Internationaler Tag gegen den Lärm. Ein Punkt, an dem Lärm definitiv eine messbare Rolle spielt, ist die Stadtplanung. Urbane Architektur wird in Zeiten zunehmend verdichteter Städte deshalb dahingehend gestaltet.

von Frank Hajasch

Es ist ein Filetstück: mit Blick auf die spiegelglatte Kieler Förde und zentral gelegen. Würden Grundstück und spektakulärer Neubau nur nicht so eingeengt werden von den kleinen und großen Straßen! "Das sogenannte KoolKiel-Gebäude ist ein Mischgebäude aus Hotelnutzung und Wohnnutzung. Wir haben hier eine hohe Verkehrslärm- und gewerbliche Belastung. Hier ist der KVG-Betriebshof, wo die Busse morgens raus und abends rein fahren und wo wir eine hohe Lärm- oder Emissionsbelastung haben", sagt Klaus-Peter Juhl. Er spricht über ein städtebauliches Vorzeigeprojekt in Kiel. Der Mann vom Umweltschutzamt begleitet es seit Langem. Es soll ein 18-Stöcker werden mit wildspringender Glasfassade und der Ästhetik eines Zauberwürfels. Der Entwurf kommt von einem renommierten Rotterdamer Architekturbüro - echt schick, wäre da nur nicht diese Dauerbeschallung durch nahe Stadtbewohner, Busdepot und Schwimmhalle samt Parkplätzen nebenan.

"Wenn man den Gesamtlärm betrachtet, wissen wir aus der Untersuchung: Wir kommen schon leicht in den gesundheitsgefährdenden Bereich - zumindest, was die Gesundheitsvorsorge betrifft. Darum müssen wir reagieren. Da geben wir den Planern oder Investoren etwas mit auf den Weg, dass sie sich darum kümmern, dass man sich auch bei geöffnetem Fenster in seinem Wohn- oder Schlafzimmer aufhalten kann", erzählt Juhl.

Glasfassade als Schallprallschutz gegen Stadtlärm

Wir sind im Büro von Klaus-Peter Juhl in der Innenstadt. Dort hängen Karten mit rot leuchtendem Verkehrslärm in Kiel. Und dort zeigen zwei Bildschirme den KoolKiel-Tower in all seiner Farbigkeit und luziden Schönheit: Die aufgebrochene Fassade erlaubt Balkone und Terrassen. Das Innen und Außen ist kaum zu unterscheiden. Was auffällt, sind verglaste Loggien. "Die Verglasung kann man zur Seite schieben, sodass man den Außenbereich so nutzen kann, wie man will - zum Sonnen oder ähnliche Sachen. Ansonsten ist Sonnen in der Form nicht möglich. Dann hat man den Verkehrs- oder anderen Lärm direkt im Schlaf- oder im Wohnzimmer. Es gibt die Möglichkeit, die Bereiche durch vorgehängte Glasfassaden zu schützen, das heißt, man hat etwa 50 Zentimeter vor dem Fenster eine Glasfassade, die als Schallprallschutz dient. Der führt zum deutlich verbesserten Lärmschutz", sagt Henning Busch vom gleichnamigen Akustikbüro in Kiel.

"Urbanes Gebiet": Wohnen und Gewerbe nebeneinander ermöglichen

Busch plant mit diesen Prallscheiben aktuell beim Mühlenquartier in Bad Kleinen: "Das ist weiter draußen und nicht so urban, wie das Projekt in Kiel", erzählt er. "Es handelt sich um einen ehemaligen Mühlenkomplex, der zur Getreideanlieferung und -verarbeitung verwendet worden ist. Ich glaube, das Getreide ist mit dem Zug gekommen. Und da steht jetzt ein wenig ansehnlicher ehemalige Kornspeicher rum." DDR-gerecht mausgrau, bald aber Keimzelle eines flotten Neuquartiers am Schweriner See. Das Ding steht neben breiten Bahngleisen, was nach mächtig Lärm ausschaut. Weiter hinten luschert eine alte Mühle durch und es sind grüne Freiflächen zu sehen. "Man kann sich vielleicht vorstellen, dass man, wenn man oben im höchsten Geschoss ist, auf der einen Seite einen wunderschönen Blick über den See hat. Auf der anderen Seite ist aber viel Geräuschquelle. Das ist vielleicht auch vom Ausblick her gar nicht so toll. Jetzt soll das belebt werden und da ist der Gedanke, ob einen hier die Möglichkeiten des "urbanen Gebietes" weiterbringen könnten", saht Henning Busch.

Auch hier sollen Häuser die Prallscheiben bekommen. Dazu zeigt Henning Busch noch einen porösen Stein - ein Schallschutzmaterial für die Fassade, das mit dem Glas davor und der Luft dazwischen gute Ergebnisse bringt. Wichtig, sagt er, sei der Begriff "urbanes Gebiet". Der sei ziemlich neu und ermögliche, in einer Lärmsituation zu leben. Die Menschen dort werden so geschützt, dass Wohnen und Gewerbe nebeneinander möglich sind.

Kompromisse und gegenseitige Rücksichtnahme

Der Akustikingenieur legt die Planung für noch ein Quartier auf den Tisch. Im Stadtgebiet von Elmshorn gibt es ein Sanierungsgebiet, in dem ehemals alte Anlagen der Teppichfabrik Kibek waren. "Das sind große Flächen, ein großes Hochhaus", sagt Henning Busch. "Es ist umgewidmet worden zu einem allgemeinen Wohngebiet und dort gibt es Flächen, die an andere industrielle Anlagen anstoßen. Das Wohnen ist definitiv Belastungen ausgesetzt. Ein Industriebetrieb, der Tag und Nacht durchgehend etwas herstellt, macht Geräusche, aber man kann das auf ein bestimmtes Niveau runter bringen. Da schafft das "urbane Gebiet" Möglichkeiten."

All diese Prozesse seien durch den jahrelangen Wunsch nach Leben in der Stadt und deren Verdichtung erst richtig in Schwung gekommen. Und auch wenn durch Corona viele wieder andersherum dächten: Ohne Kompromisse gehe es in den Städten eigentlich gar nicht mehr. "Es ist immer eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme", meint Henning Busch. "Das ist, wie wenn man in einem Mehrfamilienhaus wohnt. Da kann ich nicht erwarten, dass ich von meinen Nachbarn gar nichts höre. Wenn der eine Nachbar feiert, dann ist das auch in die Nacht hinein mal laut. Dem kann man durch bauliche Maßnahmen nicht entgehen".

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 27.04.2022 | 09:20 Uhr

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Architektur

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