Die ukrainische Kultur bewahren: Digitale Kunstwerke sichern
Die Denkmalschutzorganisation World Heritage Watch ist in großer Sorge um die Kulturgüter der Ukraine. Es sei damit zu rechnen, dass Putin das kulturelle Erbe des Landes zerstören und seine wichtigsten Objekte nach Moskau bringen lassen will.
Die Organisation ruft nun Museen, Ausstellungshäuser und Galerien dazu auf, Verpackungsmaterialien zu spenden, um die Kunstschätze in Sicherheit zu bringen. Auch der Historiker Sebastian Majstorovic, Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, betreibt kulturellen Katastrophenschutz - und zwar im Internet. Er ist Experte für das Sichern digitaler Kulturgüter.
Herr Majstorovic. Sie können leider nicht selbst mit anpacken und ukrainische Gemälde, Bücher, Archivalien und andere Dinge in Sicherheit bringen. Wie helfen Sie stattdessen?
Sebastian Majstorovic: Wir machen das Ganze auf digitale Weise. In den letzten etwa zehn Jahren gab es eine große Bewegung innerhalb von Museen, Bibliotheken und Archiven, also viele Bestände wie möglich zu digitalisieren. Und diese digitalen Sammlungen sind öffentlich zugänglich auf den Webseiten dieser kulturellen Institutionen. Da ich mich damit in meiner Arbeit beschäftige, fokussieren wir uns darauf, alles auf diesen Websites, soweit es geht, so schnell wie möglich herunterzuladen.
Wie kann man sich das konkret vorstellen? Es geht darum, die Abbildung entsprechend zu sichern?
Sebastian Majstorovic: Ja, genau so geht das. Man kann sich das vorstellen, dass unsere Software sich verhält wie ein menschlicher Nutzer und sich einfach durch die gesamte Website klickt. Am Ende kommt eine Datei heraus, die kann mehrere hundert Gigabyte groß sein, die man dann einfach wieder abspielen kann wie ein DVD oder Blue-Ray.
Nehmen wir mal das verschwundene Bernsteinzimmer. Könnte man anhand der Fotos des Zimmers rekonstruieren, wie das ursprünglich mal ausgesehen hat. Ist das der Sinn der ganzen Geschichte?
Sebastian Majstorovic: Das ist ein Teilaspekt. Das wurde auch schon in anderen Konflikten getan. Vor allem in Syrien-Konflikt wurde versucht, aus Fotos vor allem aus Aleppo, die gesamte Architektur der Stadt zu rekonstruieren, aber auch speziell Kulturgüter aus Mossul. Das kommt später. Wir sammeln im Moment nur. Wir sammeln genau diese Fotos, die es online auf Servern gibt. Diese Server sind auch in Gefahr, genauso wie die physischen Bestände. Das heißt, wir fokussieren uns nur darauf, erst einmal die Materialien, die öffentlich da sind, zu sichern. Es ist dann die Aufgabe von anderen Bibliothekarinnen oder Archivaren, später mit diesen Daten, die wir gesichert haben, zu arbeiten.
Wie sie ist denn die Lage in der Ukraine derzeit? Haben sie Angaben, wie viel Kulturgut schon zu Schaden gekommen ist?
Es ist sehr schwierig zu erfassen. Wir sind 1.200 Freiwillige und arbeiten sehr arbeitsteilig. Es gibt technische Experten für alles Mögliche. Wir haben aber auch eine Gruppe, die nur beobachtet und versucht zu erfassen, was im Moment attackiert wird oder schon zerstört worden ist. Da gibt es eine Website des ukrainischen Kulturministeriums, wo das gesammelt wird und es steigt exponentiell. Das waren 20 Institutionen vor zwei Tagen, jetzt sind sie schon 50, die angegriffen wurden. Ob das den aktuellen Stand ab bildet, lässt sich sehr schwer sagen.
Es gibt ja von der UNESCO eine sogenannte no strike-Liste, also große bedeutende Stätten, die nach der Haager Konvention nicht angegriffen werden dürfen. Interessiert das eigentlich jemanden, der Krieg führt? Könnte das Putin davon abhalten, Kunstschätze zu zerstören?
Sebastian Majstorovic: Leider ist fast das Gegenteil der Fall. Diese Haager Konvention kann missbraucht werden, um genau zu wissen, wo diese Ziele sind, wenn man die Kultur angreifen will. Das war zum Beispiel in Syrien der Fall, wo das Rote Kreuz die GPS-Daten von Krankenhäusern allen Kriegsparteien mitgeteilt hat und sie dann gezielt von der russischen Seite bombardiert wurden. Leider muss man sagen, dass diese Konvention in kaum einem Konflikt respektiert wird.
Nun könnte es auch sein, dass Kunst geraubt und nach Russland verbracht wird. Dann hätte ihre Dokumentation auch den Sinn, bei solchen Rückgabeforderungen klare, eindeutige Beweise liefern zu können.
Sebastian Majstorovic: Absolut. Wir haben angefangen, mit dem Focus, die digitalen Kopien von physischen Beständen zu sammeln. Mittlerweile haben wir aber realisiert: Die Kataloge oder Verzeichnisse, alles, was auf der Website verzeichnet ist - dieser Kontext muss genauso erhalten werden wie die Bestände selbst.
Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende.
