Kathrin Kleibl © picture alliance / Carmen Jaspersen/dpa | Carmen Jaspersen Foto: Carmen Jaspersen

"Das Raubkunst-Puzzle": Kathrin Kleibl auf der Suche nach Gerechtigkeit

Stand: 07.05.2022 13:51 Uhr

Unzähligen jüdischen Familien, die von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben wurden, wurden all ihre Besitztümer entwendet. Der Film "Das Raubkunst-Puzzle" erzählt die Geschichte der Betroffenen und beleuchtet, wer davon profitiert hat.

von Silke Lahmann-Lammert

Ihr Leben kann Lotte Koch retten. Mit einem der letzten Schiffe, auf denen jüdische Emigranten Deutschland verlassen dürfen, flieht die Wiesbadener Arztwitwe nach England.

Ihr Hab und Gut - auch die Kunstsammlung - soll folgen. So das Versprechen. Über Hamburg - den Südwesthafen. Filmausschnitt

Doch Lotte Koch wartet vergeblich auf ihren "Liftvan", den hölzernen Container mit ihren Möbeln und all den Gegenständen, an denen ihr Herz hängt. Ein ganzes Leben ist darin aufbewahrt: Briefe, Fotos, Erinnerungen. Erst nach dem Krieg erfährt sie:

Die geraubten Umzugsgüter verschwanden nicht einfach so. Sie wurden von der Gestapo beschlagnahmt und dann oft versteigert. Filmausschnitt

Versteigerung von Raubgut: Ein offenes Geheimnis

"Es war natürlich das Ziel der Nationalsozialisten, nicht nur die jüdische Minderheit außer Landes zu drängen, sondern auch komplett finanziell zu entrechten und auszuplündern", erzählt der Historiker Frank Bajohr. Die Auktionshäuser gaben sich keine Mühe, zu verschleiern, wessen Sofas, Teppiche und Ölgemälde bei ihnen unter den Hammer kamen. Bajohr glaubt, "dass es ein offenes Geheimnis war, dass hier jüdischer Besitz öffentlich versteigert wurde. Die Leute konnten sich ausrechnen, dass die jetzt nicht zu einem Erholungsurlaub oder zu einer Kur gefahren waren."

Scharen von Schnäppchenjägern kamen zu den Auktionen: Privatleute, Kunsthändler, Mitarbeiter kleiner und großer Museen. Davon erfahren hatten sie durch Zeitungsannoncen, die unverhohlen die Versteigerung sogenannter "Judenkisten" ankündigten.

Kinderbettzeug, ein kleines Tintenfass, ein Ölgemälde mit Goldrahmen. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Filmausschnitt

Nach dem Krieg forderte Lotte Koch ihr Eigentum zurück. Aber die deutschen Behörden speisten die Emigrantin mit lapidaren Auskünften ab: verbrannt, verschollen, unauffindbar.

Provenienzforscherin Kathrin Kleibl recherchiert und rekonstruiert

"Wenn ich jetzt diese Akten anschaue, finde ich Einiges heraus, was die Behörden damals nicht beachtet haben. Man hätte doch eigentlich so kurze Zeit nach dem Krieg etwas genauer hinschauen müssen", meint Kathrin Kleibl. Als Provenienzforscherin am Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven versucht sie zu rekonstruieren, welche Wege der beschlagnahmte jüdische Besitz genommen hat.

Die Arztwitwe Lotte Koch besaß wertvolle Gemälde, darunter ein Werk von Emil Nolde. Nach dem Krieg wechselte das Bild mehrfach den Besitzer:

Ein norddeutscher Viehhändler griff mal zu, dann verschwand das Bild in einem Banktresor. Später kaufte es die Kieler Galerie Negelein. Die ließ sich sogar die Echtheit des Gemäldes von der Nolde-Stiftung bestätigen. Dann tauchte es mal in Bremen auf. Letztlich wurde es mit der Hilfe einer Galerie in Österreich nach Frankreich verkauft. Wer es jetzt hat, will Koch niemand sagen. Filmausschnitt

"Das Raubkunst-Puzzle": Mühevolle Detektivarbeit

Profitiert haben also nicht nur die Nationalsozialisten. Auch Kunsthändler und -händlerinnen machten mit der Raubkunst gute Geschäfte - im Krieg und Jahre danach. Wussten sie, dass die Werke de jure emigrierten Juden und Jüdinnen gehörten? Der Verdacht liegt nahe: Warum sonst weigern sich viele von ihnen bis heute, ihre Verkaufsakten offenzulegen?

Die bestohlenen Familien setzen ihre Hoffnungen nun in Forscherinnen wie Kathrin Kleibl. Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Krieg holt sie in mühevoller Detektivarbeit nach, was die Behörden in der jungen Bundesrepublik so sträflich versäumt haben: Raubkunst aufzuspüren und ihren rechtmäßigen Besitzern und Besitzerinnen zurückzugeben.

Weitere Informationen
Montage eines Porträts der Provenienzforscherin Dr. Kathrin Kleibl und eines chinesischen Buddha-Kopfes. © NDR

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Unsere Geschichte: Das Raubkunst-Puzzle

Genre:
Dokumentation
Produktionsjahr:
2022
Produktionsland:
Deutschland
Länge:
45 min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Unsere Geschichte | 08.06.2022 | 21:00 Uhr

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