Dieter Wedel im Porträt © Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa Foto: Arno Burgi

Der Erfinder des Dokudramas: Dieter Wedel mit 82 Jahren gestorben

Stand: 21.07.2022 14:11 Uhr

Mit "Der große Bellheim" schrieb Dieter Wedel Fernsehgeschichte. Im Laufe der #MeToo-Debatte wurden gegen ihn aber auch Vorwürfe des Machtmissbrauchs laut. Nach Angaben seiner Anwälte ist Wedel nach langer schwerer Krankheit am 13. Juli gestorben.

Dieter Wedel wurde 1939 in Frankfurt am Main geboren. Sein erster großer Erfolg als Regisseur war der Dreiteiler "Einmal im Leben - Geschichte eines Eigenheims", in dem er am Beispiel der fiktiven Familie Semmeling die Probleme eines Hausbaus erzählte. Auch in weiteren Filmen griff er die Familie auf, zuletzt in "Die Affäre Semmeling" im Jahr 2001.

Wedel sammelt erste Fernseherfahrungen im NDR

Zunächst hat er Theaterwissenschaften, Publizistik und Geschichte studiert und zum Dr. phil. promoviert. Seine berufliche Laufbahn begann Dieter Wedel 1966 bei Radio Bremen. Im Jahr darauf ging er zum NDR nach Hamburg. Unter dem damaligen NDR Fernsehspielchef Dieter Meichsner lernt Wedel, ein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen und eine Skepsis gegenüber der vorherrschenden Meinung zu entwickeln und genau zu recherchieren. Diese Begegnung sei für ihn ein großes Glück gewesen, schreibt Wedel in seiner Biografie.

Seinen ersten abendfüllenden Spielfilm macht er 1970. Bei der NDR Produktion "Gedenktag" (über den Aufstand in Ost-Berlin am 17. Juni 1953) führt Wedel Regie. Auch das Drehbuch schreibt er und erfindet durch den Wechsel von realen Interviews und gespielten Szenen eine ganz neue Form des Fernsehspiels, das "Dokudrama", die dann von Eberhard Fechner und später von Heinrich Breloer ("Die Manns - Ein Jahrhundertroman", 2001) aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Bis zur Wiedervereinigung 1989 wird "Gedenktag" siebzehn Mal wiederholt.

Fernsehgeschichte mit "Der große Bellheim"

Der Vierteiler "Der große Bellheim" schreibt 1993 Fernsehgeschichte. Wedel schafft es, einem Massenpublikum wirtschaftliche Zusammenhänge spannend zu erklären und das Vorurteil "Wirtschaft ist ein Quotenkiller" zu widerlegen. Dabei bestimmen zwei Grundthemen die Geschichte, erklärt er in einem Gespräch mit ZDF-Redakteur Siegfried Braun: "... als Wichtigstes: Geld, und als Zweites die Frage, was fängt man mit seiner Lebenszeit an." Themen, die die Menschen bewegen.

Im Schnitt sehen zehn Millionen Zuschauer jeden der vier Teile, in denen vier ältere Herren - Mario Adorf, Will Quadflieg, Heinz Schubert und Hans Korte - ein Kaufhaus retten.

Vorwürfe gegen Wedel im Rahmen der #MeToo-Debatte

Weitere Erfolge gelangen ihm unter anderem mit "Der Schattenmann" und "Der König von St. Pauli". Auch als Theaterregisseur trat Wedel in Erscheinung, unter anderem unter Intendant Peter Striebeck am Hamburger Thalia Theater und als Leiter der Nibelungenfestspiele in Worms.

Zuletzt war er Intendant der Bad Hersfelder Festspiele. Von diesem Posten trat er 2018 zurück, nachdem ihm im Rahmen der #MeToo-Debatte mehrere Schauspielerinnen Machtmissbrauch bis hin zu sexueller Nötigung und Vergewaltigung vorgeworfen hatten. Mehrere ARD-Anstalten sowie das Zweite Deutsche Fernsehen, die Firma Bavaria Film und der Privatsender Sat.1 hatten nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Wedel interne Untersuchungen eingeleitet, fanden allerdings keine Hinweise auf mögliche Übergriffe.

Im Rahmen einer Anklage Wedels am Landgericht München I sollte nun entschieden werden, ob eine Anklage gegen ihn zugelassen wird. Die Entscheidung habe jedoch nicht stattfinden können, da dem OLG ein Totenschein von Wedel vorliege.

Reaktionen auf den Tod des Filmemachers

In den sozialen Medien reagieren einige Menschen eher zurückhaltend. Die Aktivistin Anne Wizorek – die mit dem Hashtag #aufschrei bekannt wurde, schrieb auf Twitter: "Denke gerade an alle, die durch Dieter Wedel Gewalt und Demütigung erfahren mussten".

Aus der Branche gibt es wenig Reaktionen. Der Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, Jörn Hinkel, reagierte mit Bestürzung und hob die Verdienste Wedels für die Festspiele hervor. Die Veranstalter der Wormser Festspiele, bei denen Wedel zehn Jahre lang Intendant war, würdigten seine Inszenierungen als wichtigen Beitrag für den Erfolg der Festspiele.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 20.07.2022 | 11:20 Uhr

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