"Die letzten Tage unserer Väter": Joël Dickers Debütroman
Mit "Die Wahrheit über den Fall Henry Quebert" gelang dem Schweizer Joël Dicker ein internationaler Bestseller. Jetzt ist auch Dickers Debüt von 2010 auf Deutsch erschienen: "Die letzten Tage unserer Väter".
Paul-Émile ist 22, als er Paris verlässt. Heimlich. Wenige Monate zuvor, im Juni 1940, haben die Deutschen die französische Hauptstadt erobert. Er will sein Land verteidigen.
"Warum Du?", fragte der Vater sehr leise. "Einer muss es doch tun. Deshalb." Liebe und Schmerz standen ihm ins Gesicht geschrieben, als er seinen Sohn umarmte, um ihm Mut zu machen.
Paul-Émile wird sich in London einer von Churchill ins Leben gerufenen, geheimen britischen Spionageeinheit anschließen und seinen Vater zwei Jahre lang weder sprechen noch sehen.
Neue Freunde und die große Liebe
Trotz oder vermutlich sogar wegen der Härte der Ausbildung findet Paul-Émile, der fortan nur noch Pal genannt wird, in seiner Einheit nicht nur Kameraden, sondern Freunde. Da ist der dicke, gutmütige Gros, der charismatische Key und Stanislas, in dem viele der jungen Männer einen Ersatzvater sehen. Zusammen mit Laura entdeckt Pal außerdem die Liebe.
Er hatte sie auf den Hals geküsst, sie hatte strahlend gelächelt und sich mit geschlossenen Augen an ihn geschmiegt. "Du willst mich heiraten?" "Natürlich. Nach dem Krieg. Oder schon früher, falls der Krieg zu lang dauert."
Detailliert erzählt Dicker auch vom Einsatz der Rekruten. Ein jeder und eine jede für sich werden sie über Frankreich mit Fallschirmen abgeworfen, um hier im Untergrund gegen die deutschen Besatzer zu agieren und zu agitieren - mit schwarzer Propaganda, Anschlägen, Spionage, dem Aus- und Aufbau von widerständigen Netzwerken.
Ein packend geschriebenes Debüt
Es ist ein spannendes und nur wenig bekanntes Kapitel der Geschichte, das Dicker hier aufschlägt. Dass der Roman ausgerechnet im Frühjahr des russischen Krieges gegen die Ukraine erscheint, ruft unterschiedlichste Empfindungen wach und führt einmal mehr vor Augen: Was lange unmöglich schien, kann und wird immer wieder passieren, auch in Europa:
Die größte Gefahr für die Menschen, das waren die Menschen selbst. Und die Deutschen waren nicht schlimmer verseucht als andere, bei ihnen hatte sich die Krankheit nur schneller ausgebreitet.
Zu diesem Schluss kommen Pal und ein Kamerad während ihres ersten Einsatzes. Kameradschaft, Freundschaft, Liebe, Solidarität und Verrat - das sind die großen Themen in diesem Roman, der sich erkennbar wie ein Debüt liest. Schon hier wird deutlich, wie packend Joël Dicker schreiben, wie plastisch er Figuren entwickeln kann, wie genau er recherchiert.
Sprachlich oft nah am Pathos
Wie er das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, Vätern und Söhnen in den Mittelpunkt rückt, befremdet hingegen durchaus, auch sprachlich ist er oft nah dran am Pathos:
"Wie sollen wir in der Fremde, fern von unseren Vätern, überleben?", fragte Pal. "Das frage ich mich jeden Tag." Key löschte das Licht. (...) "Wieso hast du das Licht ausgemacht?" "Damit wir im Dunkeln weinen könnten." "Weinen wir also." "Weinen wir um unsere Väter."
Pal wird seine große Liebe Laura verraten, um seinen Vater zu schützen und vor diesem sterben. Sein Sohn jedoch wird leben. Dicker will viel in diesem Debüt und manches gerät ihm dabei arg plakativ. Doch die Geschichte reißt mit und die Fragen, die er aufwirft, beschäftigen uns alle, in diesem Frühjahr mehr denn je. Wozu Krieg? Was macht er mit den Menschen? Und: Welche Mittel sind legitim?
Die letzten Tage unserer Väter
- Seitenzahl:
- 416 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Französischen von Amelie Thoma und Michaela Meßner Das Hörbuch, gelesen von Thorben Kessler, ist bei HörbucHHamburg erschienen und kostet 24 Euro (als Download 17,95 Euro)
- Verlag:
- Piper
- Bestellnummer:
- 978-3-492-07138-3
- Preis:
- 25 €
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